Ein kontrollierter Rückbau

60 Jahre nach Gründung der Europäischen Gemeinschaft hat ein routiniert-abgehobenes Polit-Establishment die Ursachen für den Brexit noch immer nicht verstanden. Den Briten ging es nicht nur um die zunehmende Migration, es ging vor allem um die unerträgliche Zentralisierung wichtiger Agenden und den damit verbundenen Souveränitätsverlust, nicht zuletzt auch durch die Entscheidungen des EuGH. Dennoch beklagt etwa Jean-Claude Juncker aktuell die fehlende Sozialunion in der EU, während andere auf eine Finanzunion hinarbeiten. Die Mitglieder des „Club Méditerranée“ – also die wirtschaftspolitisch verantwortungslosen Südländer – wünschen sich eine solche Union, die dafür sorgt, dass ihre Finanzabenteuer aus den Taschen der stabilitätsorientierten Länder gezahlt werden.

Daneben zeigt sich auch ein neuer Ost-West-Konflikt, denn die ehemaligen Satellitenstaaten der Sowjetunion, die jahrzehntelange Befehlsempfänger aus Moskau waren, zeigen immer weniger Verständnis für Bevormundung und Dirigismus.

Die Griechenlandkrise, die sich nunmehr in ihrem siebten Jahr befindet, bietet keinerlei Aussicht auf ein positives Ende. Ganz im Gegenteil: erneut werden die Euroländer Milliarden in dieses hoffnungslose Projekt versenken, weil man sich seit 2010 die Geburtsfehler des Euro nicht eingestehen will und daher konsequent falsche Maßnahmen ergreift. Zwar hat man sich in der Zwischenzeit neue Regeln für Bankenpleiten verordnet, ist aber, beim ersten Anlassfall in Italien, sofort bereit – in bewährter EU-Tradition – die eigenen Regeln zu brechen. Auch bei den Budgetsündern Frankreich, Spanien und Portugal wird seit Jahren EU-Recht gebrochen. Und wenn der zuständige EU-Innenkommissar die Länder auffordert, sie sollen abgelehnte Asylwerber konsequenter abschieben, dann zeigt dies die ganze Hilflosigkeit einer Kommission, die zwar 28 Staaten und 500 Millionen Einwohner vertritt, aber nicht in der Lage ist, funktionierende Rückführungsabkommen mit unwilligen Ländern abzuschließen. Auch die Aussetzung der Entwicklungshilfe für derartige Länder hat bislang nicht stattgefunden – wir haben’s ja.

Nunmehr wirft der Brexit seine Schatten voraus, und auch hier geht es ums Geld: Rund 14 Milliarden Euro wird der Ausfall der britischen Nettobeiträge ausmachen. Die EU-Politiker agieren, wie sie es in der innerstaatlichen Politik gelernt haben: man erhöht einfach die Steuern oder – auf EU-Ebene – die Beiträge der anderen Mitglieder. An Einsparungen wird kein Gedanke verschwendet. Dass diese – auch ohne Austritt der Briten – längst überfällig sind, ist kein Geheimnis, denn im Laufe der Jahre haben sich vor allem bei den Subventionen eine Reihe von teuren Gewohnheiten aufgebaut.

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat ein Papier mit fünf Entwicklungsszenarien vorgelegt, wie eine künftige EU aussehen könnte. Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz hat daraufhin schon eine Antwort: Die EU, die in den letzten Jahren „mehrmals falsch abgebogen“ ist und „Fehlentwicklungen zugelassen habe“, müsse sich in Hinkunft auf einige wesentliche Themen (Außenpolitik, Sicherung der Außengrenzen, Etablierung eines echten Binnenmarktes ohne nationalen Protektionismus) konzentrieren und dafür in anderen Fragen wieder stärker die Subsidiarität der einzelnen Länder berücksichtigen; ähnlich hat sich auch EU-Kommissar Johannes Hahn geäußert.

„Gefordert ist ein kontrollierter Rückbau, der die EU wieder in Einklang bringt mit der Realität souveräner Mitgliedstaaten“, meint etwa Thomas Fuster in der Neuen Zürcher Zeitung trocken.

Ob, beziehungsweise wann dies in der EU mehrheitsfähig wird ist noch ungewiss; das Positive an einer Politik, die immer wieder die falschen Prioritäten setzt, ist allerdings, dass die Schaffung eines europäischen Bundesstaats, von dem einige unverbesserliche Idealisten immer noch träumen – angesichts dieser dilettantisch-orientierungslosen Administration immer unrealistischer erscheint.

Prof. Dr Herbert Kaspar war langjähriger Herausgeber und Chefredakteur der ACADEMIA. Der Beitrag ist sein – leicht adaptierter - aktueller Kommentar aus der April-Ausgabe der ACADEMIA.

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