Der neueste Streich der Gesamtschulfanatiker

„Stärkenportfolio“ nennt sich das neueste „Schmankerl“, das im Zuge des Neue Mittelschule-Gesamtschul-Wahns am Tapet steht, so etwa auch in der „Modellregion“ Zillertal in Tirol. Jeder Schüler soll demnach ein Portfolio anlegen, in dem er seine Stärken präsentiert. Dadurch soll das Kind sein Selbstbewusstsein stärken und die Beziehungsarbeit zwischen Lehrer und Schüler soll sich verbessern, so die Theorie.

Was aber zunächst nicht wirklich schädlich erscheint, entpuppt sich tatsächlich als Farce großen Ausmaßes.

Das wurde bei aktuell abgehaltenen „Fortbildungen“ ersichtlich, zu denen die Lehrer der „Modellregion“ angehalten worden waren. So mussten sich die versammelten Lehrer Schüler-Portfolios aus „Musterschulen“ ansehen, welche das Portfolio-Wesen bereits seit einiger Zeit praktiziert hatten. Dabei wurde folgendes offensichtlich:

  • Der Großteil der Portfolios beschränkte sich auf das Einkleben von Fotos, selbstgefertigten oder ausgeschnittenen Bildern, Auszügen aus Wikipedia-Texten und handgeschriebenen „Reflexionen“, die eigentlich nur als Darstellung eigener Befindlichkeiten bezeichnet werden können. So wurde etwa das auf diese Art erfolgte Anfertigen eines Plakates über die Katze als große „Stärke“ gefeiert.
  • Auf Gestaltung der Portfolios und sprachliche Richtigkeit wurde keinen Wert gelegt, vielmehr strotzte ein guter Teil der Portfolio-Texte nur so vor Rechtschreib- und Grammatikfehlern und war hinsichtlich des Schriftbildes unzureichend.
  • Teilweise wurden überhaupt keine Taten/Handlungen der Schüler im Portfolio gesammelt, sondern diverse Familienfotos oder Erinnerungsstücke – wie Zuckersäckchen oder U-Bahnkarten von einer Urlaubsreise nach Paris.
  • Die Schüler sollten „Reflexionen“ zu ihrem Tun verfassen, die sich allerdings tatsächlich eher als Darstellung von Befindlichkeiten und mehr oder weniger fundierte Werturteile erwiesen.
  • Die Schüler sollten „Feedback“ von Lehrern und Schülern bekommen. Dieses verzichtete durchwegs auf argumentative Auseinandersetzung mit dem vorgelegten Portfolio oder auf ein kritisches Hinterfragen und beschränkte sich vielfach auf Aussagen wie: „Das hast du sehr schön gemacht“ oder „Dein Portfolio ist sehr schön. Du bekommst dafür zwei Sterne“ (auch bei Schülern mit erheblichen Rechtschreibfehlern).
  • Es fehlten sowohl inhaltliche als auch gestaltungstechnische Richtlinien und Mindeststandards.

Wenn man sich also diese „Werke“ und den Umgang der Lehrer damit betrachtet, so ist die dahinterstehende Absicht leicht durchschaubar:

Auch die Nicht-Leistung bzw. mangelhafte Leistung wird honoriert, damit die Schüler „ein gutes Selbstwertgefühl aufbauen“ können. Dass dieses dann allerdings außerhalb der geschützten Werkstätte Schule keinen Bestand haben bzw. in der Arbeitswelt sehr schnell wieder zerstört sein wird, ist offenbar egal. Ebenso ist egal, dass es generell für die Arbeitshaltung und Leistungsbereitschaft junger Menschen ein fatales Zeichen darstellt, wenn offenkundig Unzureichendes anerkannt wird.

Die ganze Aktion ist eine Täuschung bzw. Selbsttäuschung, die über den wahren (unzureichenden) Leistungsstand vieler Kinder hinwegtäuschen soll und sie ist bewusst darauf angelegt, die Relationen im Leistungsstand zwischen den Kindern zu verschleiern.

Was wirklich für Beruf und Fortkommen wichtig ist, wird von Nebensächlichkeiten und Befindlichkeits-Schnickschnack verdeckt.

In der Gesamtbetrachtung stellt sich hier die Sinnfrage überdeutlich, zumal, wenn man den Zeitaufwand bedenkt, der hinter der ganzen Aktion steckt. Aufwand und „Ertrag“ stehen hier in keinem vernünftigen Verhältnis zueinander.

Der Autor ist Lehrer an einer Zillertaler „Neuen Mittelschule“ und hat zu seinem persönlichen Schutz um Anonymität gebeten.

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