Neues vom Verhetzungsparagraphen

Jüngste Pressemeldungen des Außenministers Sebastian Kurz lassen erahnen, in welche Richtung die von der ÖVP(!) initiierte Verschärfung des Verhetzungsparagraphen § 283 StGB gehen könnte: Erstens sollen anstelle von 150 künftig bereits 30 „aufgehetzte“ Personen für die Strafbarkeit öffentlicher Hetze genügen, und zweitens soll der Strafrahmen erhöht werden.

Wer um die Meinungsfreiheit besorgt ist, könnte aufatmen und nun denken, diese beiden Änderungen seien weiter nicht schlimm, da keine neuen Inhalte möglicher „Hetze“ hinzukommen. Die weitgefassten Rechtsbegriffe dieses Paragraphen werden nicht weiter aufgelockert, damit dieser besser „greifen“ könne.

Doch handelt es sich bei beiden Maßnahmen, die der eigentlich unzuständige Außenminister fordert, um eine Mogelpackung. Beginnen wir mit der Erhöhung des Strafrahmens von bisher zwei Jahren auf, sagen wir, fünf Jahre: De jure ist eine Handlung entweder strafbar oder nicht, und die Strafbemessung folgt hinterher. De facto entscheidet allerdings sehr wohl auch der Strafrahmen darüber, welche Handlung bereits unter einen Paragraphen fällt und welche (noch) nicht.

Als Beispiel sei der „Auffangparagraph“ 3g des NS-Verbotsgesetzes genannt: Hier wurde 1992 bewusst die Strafuntergrenze gesenkt, um bislang nicht verurteilte Handlungen zu erfassen – was auch prompt geschah und bis heute geschieht. Die vor 1992 häufigen Freisprüche durch die Geschworenen sind seitdem selten geworden.

Bei § 283 StGB soll der Strafrahmen hingegen erhöht werden. Hierdurch scheinen keine neuen Handlungen erfasst zu werden, sondern lediglich schon bisher erfasste härter bestraft werden zu können. Die Gefahr ist jedoch, dass während die bislang bestraften Handlungen mit höheren Strafen geahndet werden, auch hier am unteren „Ende“ der Skala ein Segment frei wird, die bisher straflosen Äußerungen zu erfassen.

Eine Mogelpackung stellt es auch dar, wenn zur Strafbarkeit künftig bereits vor 30 Personen getätigte Äußerungen reichen. Begründet hat Kurz dies damit, dass Islamisten, die junge Menschen zum Dschihad bewegen, selten vor größerem Publikum sprechen. Die Frage ist jedoch, ob eine Aufforderung zum Dschihad überhaupt unter „Verhetzung“ fällt. Hetzt, wer zum „heiligen Krieg“ für Allah aufruft, notwendig gegen eine bestimmte Gruppe? Die „Andersgläubigen“ oder „der Westen“ sind zu unbestimmt, um strafbare Hetze zu begründen.

Man sollte daher an den ursprünglichen Anlassfall des Vorstoßes des Außenministers zurückdenken: An antisemitische Postings auf dessen Facebook-Seite. Eine Herabsenkung der Schwelle auf 30 Personen ändert hier gar nichts, denn es wurden über 150 Personen sogar tatsächlich erreicht. Die Postings bezogen sich in diesem Fall zweifelsfrei auf eine bestimmte Gruppe.

Alleine, die Strafbarkeit der wenigen Inhalte, die publik geworden sind, scheint zweifelhaft. Sodass auch eine Erhöhung der Strafrahmen, wie sie sich gegenüber Dschihad-Predigern einer breiten Zustimmung gewiss sein kann, nichts bringt. Außer eben auf die hier angezeigte indirekte Weise, durch eine höhere Strafdrohung die „Sensibilität“ der Richter zu schärfen…

Dr. Wilfried Grießer ist Philosoph und Autor des Buches „Verurteilte Sprache. Zur Dialektik des politischen Strafrechts in Europa“ (Peter Lang, Frankfurt am Main 2012).

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