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Wie konnte es nur soweit kommen? Die 18 größten Fehler der Westens

Die Weisheit, dass schon den Anfängen zu wehren sei, ist zwar (mindestens) zweitausend Jahre alt. Aber eine ehrliche Analyse der Ursachen des russischen Einmarsches in die Ukraine zeigt, dass sie auch im 21. Jahrhundert nicht beherzigt wird. Das ist deprimierend. Eine Aufzählung der schlimmsten Fehlentwicklungen und Versäumnisse der letzten Jahre tut daher not. Sie ändert zwar gewiss nichts daran, dass dieser Krieg und seine jetzt schon Tausenden Toten zu 99,9 Prozent untilgbare schwere Schuld des Wladimir Putin und jener wenigen Menschen sind, auf die der einsame Mann im Kreml vielleicht(!!) noch hört. Aber dennoch waren es auch die vielen Fehler Europas, die dem Kreml-Herrscher seinen verbrecherischen Krieg ermöglicht oder zumindest erleichtert haben.

Es ist eine Schande, dass heute die einzige Hoffnung der ganzen freien Welt, den Aggressor in die Schranken zu weisen, auf dem Rücken der tapferen ukrainischen Männer ruht, die sich meist mit bloßen Gewehren den russischen Panzern und Bomben entgegenstellen. Zu denen auch jene vielen Zehntausenden Ukrainer und Nicht-Ukrainer zählen, die mit eindrucksvollem Mut und gerechter Empörung aus aller Welt dem angegriffenen Land kämpfend zu Hilfe gekommen sind.

Ihnen sei die – unvollständige – Aufzählung jener Fehler gegenübergestellt, die Putin möglicherweise erst zum Angriff motiviert haben. Die ihm diesen erleichtert haben. Die alle abschreckenden Signale für ein solches Verbrechen aus dem Weg geräumt haben.

  1. Zwar ist Putin jetzt zweifellos erstaunt und wohl auch ein wenig – ein wenig – erschrocken über die massiven wirtschaftlichen, kulturellen und sportlichen Reaktionen der gesamten Außenwelt mit Ausnahme Chinas, Serbiens, Nordkoreas und Zimbabwes. Nur: Es gibt keine Erklärung, warum die Außenwelt nicht schon viel früher so energisch auf Eroberungs-Feldzüge Russlands gegen souveräne fremde Länder reagiert hat. Gegen Georgien, gegen Moldawien, gegen die Krim, gegen die Ostukraine, gegen die revoltierenden Bürger Kasachstans. Diese Eroberungen und Interventionen unterscheiden sich – außer durch die Zahl der Opfer und Zerstörungen – rechtlich und moralisch in keiner Weise vom jetzigen Angriff auf die Ukraine. Das Fehlen der Reaktionen war daher eine klare Einladung an Russland, mit seinen Völkerrechtsverletzungen fortzufahren.
  2. Das einzige moralisch-politische Argument, das Putin vorbringen kann, ist jenes der Verweigerung der Selbstbestimmung von ukrainischen Regionen, die angeblich lieber unter seiner Herrschaft stünden. Hier ist eindeutig dem Westen vorzuhalten, dass er es auch einigen Ländern in seinen Reihen durchgehen hat lassen, dass sie seit Generationen Regionen und Volksgruppen die Selbstbestimmung vorenthalten (weshalb dort manche sogar zum Schluss gekommen sind, zur – aussichtslosen – Gewalt greifen zu müssen, um sich ihr Recht zu holen, so etwa geschehen im Baskenland und in Südtirol. Dazu kommen noch viele weitere Volksgruppen, die in Europa(!) entrechtet sind, obwohl sie in ziemlich geschlossenen Siedlungsbieten leben: etwa die Ungarn in der Südslowakei und Siebenbürgen, etwa die Flamen und Katalanen). Diese eigenen Versäumnisse haben die moralische Basis und das Freiheitsgerede Europas brüchig gemacht, das sich auf den seltsamen Standpunkt gestellt hat, Selbstbestimmung stehe nur den (ehemaligen) Kolonien zu, aber nicht europäischen Völkern. Dabei hätte man eigentlich mit drastischer Klarheit sehen müssen, dass das jahrzehntelange Blutvergießen in Nordirland erst, aber dann schlagartig zu Ende gegangen ist, als London ausdrücklich das Selbstbestimmungsrecht der Nordiren anerkannt hat.
  3. Dieses Ignorieren des Selbstbestimmungsrechtes hat auch direkt verhindert, dass eine echte Befriedung auf dem Balkan erreicht  worden wäre. So weigern sich Griechenland, Rumänien, die Slowakei, Spanien und Zypern auch nach Jahrzehnten, die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen. Was Bosnien zum ewigen Krisengebiet macht. Was dem Kosovo den Weg in die Sicherheit, also in die EU und Nato versperrt. Was die Wahrscheinlichkeit deutlich vergrößert hat, dass dort neuerlich ein Krieg ausbrechen könnte.
  4. So weigert sich die EU auch, den drei Teilen Bosniens die Selbstbestimmung zuzubilligen, obwohl diese ethnisch weitgehend getrennt sind und deren Bevölkerungen jeweils ganz unterschiedliche Wünsche haben, zu welchem Staat sie gehören wollen. Das erscheint vor allem den Serben als klare Diskriminierung gegenüber den seltsamerweise vom Westen unterstützten islamischen Bosniern, welche die Oberhoheit über die Serben behalten wollen. Das hat die Serben emotional weitgehend so wie 1914 in die Arme Russlands getrieben (mit dem sie hingegen unter Tito total übers Kreuz waren!).
  5. So gibt es bis heute keinen klaren internationalen Katalog von Rechten ethnischer, sprachlicher oder religiöser Minderheiten, der vor einem internationalen Gericht einklagbar wäre. Durch einen solchen Katalog hätte auch objektiv geklärt werden können, ob den russisch-sprachigen Ukrainern wirklich Unrecht widerfährt, wie (fast nur) von Moskau behauptet wird.
  6. So hat das ewige Hinhalten des Beitrittswillens mehrerer vor der Jahrtausendwende frei gewordenen Länder durch EU und Nato geradezu eine Einladung an Moskau dargestellt, sie wieder unter das russische Joch zu holen. Man hat diesen Ländern nicht einmal die Möglichkeit einer Mitgliedschaft zweiter Klasse ermöglicht, die ihnen volle Gleichberechtigung etwa in wirtschaftlicher Hinsicht zukommen lässt, jedoch die Freizügigkeit der Arbeitskräfte noch auf unbestimmte Zeit limitiert (vor deren Ansturm man sich in Westeuropa fürchtet). Es ist einfach absurd, dass seit weit mehr als einem halben Jahrhundert viele Milliarden in das überwiegend durch eigene Schuld zurückgebliebene Süditalien fließen, andere europäische Länder aber seit vielen Jahrzehnten auf die lange Bank geschoben wurden, obwohl sie davor nur durch die russische Herrschaft in die Armut getrieben worden waren. Man hat diesen so einhellig nach Westen strebenden Völkern aber auch nie klar gesagt: Wir wollen euch nicht in unsere Vereine aufnehmen, das kommt uns zu teuer, sucht lieber den Weg einer Neutralität und hofft halt, dass euch nichts passiert.
  7. So hätte auch an Länder wie Russland und die Türkei ein viel großzügigeres Angebot der EU auf Augenhöhe gemacht werden müssen, auch wenn diese ob ihrer Größe sowie ihres überwiegend außereuropäischen und undemokratischen Charakters keinesfalls für eine EU-Mitgliedschaft in Frage kommen. Das hätte vielleicht emotional Typen wie einen Putin oder Erdogan befriedigt.
  8. So hat der amerikanische Abzug aus Afghanistan verdammt einer Niederlage geglichen. Putin schloss daraus nicht ganz zu Unrecht, dass die Amerikaner nur noch ein Papiertiger sind, der heillos in seinen inneren Problemen wie Blacklivesmatter und Trump-Polarisierung verstrickt ist und nicht mehr als Weltpolizist agieren kann.
  9. So haben die westlichen Regierungen nach 1989 (als gerade die Stärke Amerikas unter Ronald Reagan die Sowjets politisch in die Knie gezwungen hat!) geglaubt, jetzt gäbe es ewigen Frieden zum Nulltarif, und haben daher stark abgerüstet. Sie haben alle an eine gewaltige Friedensdividende geglaubt und mit dem so ersparten Geld Wählerbestechung versucht und die Wohlfahrtssysteme fahrlässig weit ausgebaut.
  10. So hat der Westen auch nach den russischen Eroberungen in der Ukraine nicht erkannt oder Konsequenzen aus zahllosen Zar- und Stalin-nostalgischen Äußerungen gezogen, dass Moskau wieder eine aggressive Macht geworden ist.
  11. So wurde und wird vor allem der deutsche Pazifismus – nicht erst unter der Linksregierung, sondern schon unter Angela Merkel – weltweit als Schwächesignal ganz Europas gewertet. Die deutsche Bundeswehr schien nur noch gut dafür zu sein, Uniformen für schwangere Soldatinnen zu konzipieren. Das wurde eine einzige Botschaft an die Russen: der Westen ist kaputt.
  12. So stinkt Europas, aber auch Amerikas Dekadenz mittlerweile zum Himmel, die (nicht nur) Putin den Eindruck einer verkommenen und nicht mehr ernstzunehmenden Fäulnis macht: Siehe etwa den Schwulenkult, siehe das De-Facto-Redeverbot für nicht-linke Männer an immer mehr verweiblichten Universitäten, siehe das Indieknie-Gehen vor Millionen einmarschierenden Moslems, siehe die Peinlichkeiten der Political Correctness, siehe Wokeness und Identitätspolitik, siehe Gendersternchen, Mohrenkopf-Debatten und Regenbogenzebrastreifen.
  13. Ein besonders blamables Kapitel des Westens war einer der diversen Abrüstungsverträge, auf den besonders die österreichischen Diplomaten so stolz waren: Das war das Verbot von Landminen. Dabei sind Minen fast das einzige Kampfmittel, das sich ausschließlich zur Verteidigung auch gegen eine Übermacht eignet. Jetzt aber schwätzen die gleichen Diplomaten davon, dass man den Ukrainern nur Verteidigungswaffen geben solle.
  14. Ohne dass man Österreich in diesen Zusammenhängen als relevant ansehen dürfte, so passt das Verhalten all seiner Regierungen in Sachen Landesverteidigung doch klar in diesen Zusammenhang: von der totalen militärischen Kastrierung der zu fliegenden Fotoapparaten reduzierten Eurofighter durch die Herren Darabos und Gusenbauer über die Abschaffung der Milizübungen unter Schwarz-Orange und über den kranken Glauben, dass die Neutralität irgendeinen positiven Beitrag zu Österreichs Sicherheit brächte, bis zur von allen Parteien zu verantwortenden Peinlichkeit eines Heeresbudgets, das bei 0,6 Prozent der Wirtschaftsleistung herumkrebst. Hingegen hat das bisher auch neutrale Schweden jetzt eine kräftige Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent beschlossen und ist gleichzeitig eng an die Nato herangerückt.
  15. Eine den meisten europäischen Ländern eigentlich ständig um die Ohren zu schlagende historische Fehlleistung war der Hohn fast aller Regierungen, Linksparteien und Medien zum ständigen Verlangen von US-Präsident Donald Trump, die Rüstung jedes Nato-Landes auf das eigentlich seit Jahren vereinbarte Niveau von 2 Prozent des BIP zu bringen. Jetzt auf einmal, da die Ukraine schon zum Opfer geworden ist, sind sie alle dafür, sich diesem Ziel wenigstens anzunähern.
  16. Eine besondere strategische Hilfe für Russland war und ist die einseitige Abhängigkeit der Gasversorgung von russischen Importen. Aus Bequemlichkeit hat man auf die nötige Diversifizierung der Energiequellen verzichtet.
  17. Dazu kam der gleichzeitige absurde Beschluss Deutschlands, alle Kohle- und Atomkraftwerke zuzusperren, weil Deutschland ja zum Gelächter des Rests der Welt den Planeten retten muss. Dadurch ist Deutschland praktisch alternativlos vom russischen Gas abhängig.
  18. Eine weitere strategische Hilfe für Russland war der von allen europäischen Linksparteien, ob Grün, ob Rot, ob Pink sowie der EU-Beamtenschaft und Judikatur hasserfüllt betriebene Kampf gegen die eigenen Mitglieder Großbritannien, Polen und Ungarn, der das eine Land schon ganz aus der EU vertrieben und ein weiteres zu auffallend Russland-freundlichen Tönen veranlasst hat.

Man könnte diese Liste noch lange fortsetzen. Aber alleine die aufgezählten Fakten machen es rational, dass Wladimir Putin zur Überzeugung gekommen ist, er könne sich die Eroberung der Ukraine leisten und werde dann nach ein paar Tagen der Aufregung noch vom Westen die Füße geküsst bekommen, wenn er am Ende großzügig einem Stück der Ukraine die Freiheit einer Halbkolonie lässt.

Putins große Täuschung liegt nicht im Westen, sondern in den Hunderttausenden tapferen ukrainischen Männern, die jetzt bis zum letzten kämpfen, nachdem sie Frauen und Kinder  Richtung Westen in Sicherheit gebracht haben. Sie wissen noch, dass Freiheit der Heimat ein ganz, ganz großes Gut ist. Und sie sind geschlossen gegen die Moskauer Illusionen, dass sie eigentlich "heim ins Reich" wollten.

Was für ein Kontrast auch zu den Medien eines todkranken Westens: Diese waren jetzt wieder eine ganz Woche voll von flächendeckendem Gejammer und Gekreische über die angebliche Frauendiskriminierung. Es ist unfassbar, wie ein völlig artifizieller "Tag" wie der Weltfrauentag die Redaktionen mehr interessiert als ernsthafte Debatten über Europas oder Österreichs Lage und Fehler. Und dann wundern sie sich, dass ihnen die Leser und Seher im Eilschritt davonlaufen.

Man wünscht sich wirklich, dass diese in fast allen Medien ungehemmt seiernden Journalistinnen auch nur eine Stunde mit Frauen aus der Ukraine reden müssten, um wieder ein wenig den Fuß auf den Boden der Realitäten dieser Welt zu bekommen.

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