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Eine sehr schlechte, viele gute Seiten einer Wahl

Emmanuel Macrons Zweidrittel-Sieg bei den französischen Präsidentenwahlen hat mehrere gute Seiten und eine sehr schlechte. Vor allem aber bedeutet dieser Sieg eine große Gefahr: Sollten er und seine künftige Regierung die Immigrationsskepsis der Franzosen weiterhin ignorieren, sollten sich seine teilweisen guten und teilweise völlig unbekannten Reformideen als leeres Gerede erweisen oder nicht die erhofften Erfolge bringen, dann waren diese Wahlen nur die letzte Zwischenetappe am Weg Marine Le Pens zur Macht. Diese hat immerhin genau doppelt so viele Stimmprozente erhalten wie einst ihr Vater, als dieser 2002 den Aufstieg in die Stichwahl geschafft hatte. Die jetzt vor Macron liegende Aufgabe ist gewaltig, ist wahrscheinlich die schwierigste, die ein französischer Präsident seit Charles de Gaulle zu bewältigen hat.

Dagegen war der Wahlsieg geradezu ein Kinderspiel.

Beginnen wir mit der negativen Seite seines Sieges, die aber die wichtigste ist: Viele in Paris und Brüssel könnten sich nun im Glauben bestärkt fühlen, das Nein der Europäer zu Massenmigration und Islamisierung sei ja doch nicht sonderlich gravierend, sondern nur eine kurzfristige Stimmung gewesen.

Was sicherlich eine völlig falsche Sichtweise ist. Dieses Thema war jedenfalls eindeutig das allerwichtigste im Wahlkampf der Front National und die treibende Rakete hinter dem unaufhaltsamen Aufstieg der Le-Pen-Partei. Dieser Aufstieg bleibt Faktum, auch wenn es diesmal (noch) nicht zum Gesamtsieg gereicht hat.

Gewiss: Auch Macron hat mit keiner Silbe Islamisierung und Migration befürwortet. Aber er hat dieses Thema keineswegs in seiner ganzen Dramatik erkannt oder betont.

Aber dennoch hat Le Pen wohl zu Recht verloren. Und zwar deshalb, weil:

  • viele Wähler trotz Zustimmung zu Le Pen in punkto Massenmigration/Islamisierung in allen anderen Fragen mit ihr überhaupt nicht übereinstimmen;
  • es nach wie vor gelingt, Le Pen trotz ihrer eindeutigen Versuche der Mäßigung als gefährlich extremistisch zu stempeln;
  • hinter Le Pen keinerlei bekannte und vertrauenswürdige Persönlichkeiten stehen (während sich  hinter Macron nach dem ersten Durchgang eine – freilich ziemlich wendehalsige – Armada aus allen traditionellen Lagern gesammelt hat);
  • Le Pen in fast allen anderen Punkten eine falsche Politik verfolgt.
    1. Sie hat – und das ist wirklich schlimm – im Wahlkampf völlig unnötigerweise gegen Deutschland gestänkert, ja gehetzt. So als ob die Wirtschaftskrise Frankreichs von Deutschland verschuldet wäre und nicht von den Franzosen selbst, ihren Überregulierungen, Wohlfahrtsexzessen und Gewerkschaften. Wer eine Ahnung von der Geschichte hat, der kann es nur besorgt sehen, dass in Frankreich erstmals nach 70 Jahren antideutsches Gerede wieder für viele Bürger offensichtlich attraktiv geworden ist. Waren doch die Jahrhunderte davor immer wieder von Kriegen mit Millionen Opfern geprägt, wo Frankreich gegen Deutschland (und einst insbesondere auch den Kaiser in Wien) gestanden ist, intrigiert und gekämpft hat. Le Pen gefährdet damit leichtfertig die große Versöhnung (die ja Frankreich den für endgültig gehaltenen Verzicht Deutschlands auf Elsass-Lothringen gebracht hatte!).
    2. Le Pen setzt im Zuge ihres Vive-La-France-Kurses auch die gesamte Mitgliedschaft Frankreichs in der EU aufs Spiel. Das würde eine Katastrophe bedeuten, sosehr auch die vielen Fehler der EU zu geißeln sind, von der Überregulierung bis zum Diktat der Political Correctness.
    3. Le Pen will auch den Austritt Frankreichs aus dem Euro. Das wäre zwar für Deutschland und auch Österreich gar nicht schlecht. Das wäre aber für Frankreich in seinem maroden Zustand eine Katastrophe. Denn der Euro hält die französische Misswirtschaft noch irgendwie am Leben.
    4. Le Pen hat in allen Wirtschafts- und Sozialfragen ein eindeutig sozialistisches Programm. Das aber ist genau der Kurs, der Frankreich jetzt zusammen mit Griechenland und Italien zum größten Problemfall Europas gemacht hat.

Also ist abgesehen von der Islam- und Migrationsfrage der Macron-Sieg eindeutig zu begrüßen? Jein. Denn wir hatten schon etliche französische Präsidenten (insbesondere Sarkozy) gesehen, welche die richtigen Reformen versprochen, aber nie umgesetzt haben.

Noch schlimmer:

  • Auch Macron will – ebenso wie Le Pen – weiter an der selbstmörderischen 35-Stunden-Woche festhalten.
  • Auch Macron hat ähnlich wie bei Le Pen fast nur Punkte angekündigt, welche das staatliche Defizit noch weiter drastisch erhöhen statt reduzieren (einzige Ausnahme: der geplante Beamtenabbau; aber auch der wird von Macron lange nicht so drastisch geplant, wie ihn Fillon wollte). Dabei hat Frankreich derzeit überhaupt Europas größtes Defizit!
  • Macron will eine – in Wahrheit völlig unerschwingliche! – „Sozialunion“ in der EU.
  • Und er steht auch ansonsten in Sachen EU für einen ganz schlechten Kurs: Er will bei vielen Themen noch mehr europäische Zentralisierung.

Positiv ist, dass die undurchsichtige Affäre mit gestohlenen Mails Macrons keine entscheidende Rolle gespielt hat, auch wenn der Rückgang der Wahlbeteiligung und die relativ hohe Anzahl ungültiger Stimmen vielleicht doch zum Teil damit erklärbar sind (aber auch sicher damit, dass viele Franzosen keinen der beiden Kandidaten als Präsident akzeptieren konnten). Aber es wäre schlimm gewesen, wenn sich die Wähler durch kriminelle Diebstahlsaktionen beeinflussen lassen hätten (wie es etwa 2006 der Erfindung einer illegalen privaten Pflegerin in der Familie Wolfgang Schüssels durch SPÖ-Spin-Doktoren und die Illustrierte „News“ tatsächlich geglückt war).

Solche Leaks, Diebstähle und andere kriminelle Aktionen waren mir schon immer widerlich. Und zwar unabhängig davon, ob russische Geheimdienste, das zeitweise von allen Linken dieser Welt hochgepriesene Wikileaks oder die  hierzulande sich immer wieder ständig selbst beweihräuchernden „Aufdeckerjournalisten“ dahinterstehen. Und zwar unabhängig davon, ob jetzt ein Teil der abgefangenen Dokumente gefälscht, verfälscht ist  oder nicht.

Dennoch habe ich zugleich ein kräftiges Stück Bauchweh: Der politmediale Apparat hat seine Kraft gezeigt, um ja nichts von den veröffentlichten Dokumenten an die Öffentlichkeit durchsickern zu lassen. Das hat in diesem Fall nicht geschadet – aber wo hört das auf, dass die politische Macht Nachrichten steuern oder verhindern kann?

Daher wird unweigerlich das Misstrauen nicht nur der Franzosen gewaltig wachsen: Wenn der Machtapparat das geschafft hat, ist er wohl auch sonst imstande, Vieles vor den Bürgern geheimzuhalten, was die Macht vor ihnen geheimhalten will. Er kann das – vor allem dann, wenn alle etablierten Parteien und Medien in einer Volksfront eine De-facto-Einheitspartei bilden.

Man kann und soll die skandalöse Einmischung unbekannter Hacker und Spione in den Wahlkampf deutlich verurteilen. Aber wirklich glaubwürdig bleibt man nur dann, wenn man auch das skandalöse Verhalten der französischen Staatsanwälte genauso verurteilt. Diese haben – ebenfalls zeitlich genau auf den Wahlkampf abgestimmt – dubiose Verfahren gegen alle relevanten Kandidaten rechts der Mitte eingeleitet: gegen Le Pen, gegen Sarkozy und gegen Fillon.

Das stinkt erbärmlich.

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