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Wien wählt in verwirrender Vielfalt

Kaum ein Wähler wird imstande sein, angesichts der Vielzahl der bei den Wahlen in Wien und seinen Bezirken antretenden Parteien irgendwie den Überblick zu bewahren. Noch dazu, da etliche Listen nur in bestimmten Wahlkreisen oder Bezirken kandidieren, und das teils bei den Gemeinde-, teils bei den Bezirkswahlen. Dennoch ist es in einer Demokratie unfair, dass in Wien die Kleinparteien ganz totgeschwiegen werden. (Mit nachträglicher Ergänzung)

Am spannendsten wird zweifellos das erstmalige Antreten einer Erdogan-nahen Türkenpartei sein. Diese hat die Kandidatur in ganz Wien geschafft. Wofür sie in den letzten Wochen viele Unterschriften sammeln musste. Schon das zeigt ihre Stärke.

Diese Liste wird ganz sicher die Wahlchancen von Rot und Grün deutlich beeinträchtigen, die ja zuletzt den Großteil der türkisch-stämmigen Wähler hinter sich hatten. Zwar lässt sich noch nicht seriös absehen, wie erfolgreich die Liste „Gemeinsam für Wien“ wirklich sein wird; sie wird ja in den SPÖ-nahen Medien weitgehend ignoriert. Aber die türkische Community hat ganz eigene Informationskanäle, die weniger beeinflussbar sein dürften. Daher wird „Gemeinsam für Wien“ sicher Zehntausende Stimmen erringen.

Dies erscheint umso sicherer, als die Türken die Liste gemeinsam mit den – zahlenmäßig allerdings viel weniger zahlreichen – Rumänen gebildet haben. Was wahltaktisch geschickt ist, aber verblüfft, da die Rumänen nicht gerade Moslems sind.

Überraschend ist auch, dass die Türkenpartei als einzige neben der ÖVP die Bildung einer Koalition mit der FPÖ für möglich bezeichnet. Wieweit freilich die Gerüchte stimmen, dass unter den Unterstützungserklärungen für die Türkenliste auch einige von freiheitlichen Funktionären stammen, lässt sich nicht überprüfen. Die Chancen der FPÖ verbessert das Antreten dieser Liste jedenfalls.

Traditionell ein Stachel im Fleisch von Rotgrün ist die diesmal unter dem Titel „Wien anders“ firmierende extrem linke Liste, die primär von Kommunisten und den Überresten der Piraten unterstützt wird.

Auch Konkurrenz für FPÖ und ÖVP

Aber auch FPÖ und ÖVP haben unangenehme Konkurrenz: etwa durch die Liste WWW („Wir wollen Wahlfreiheit“) eines Stadtgastronomen. Dieser darf dank einer eher überraschenden Unterstützung durch die letzten Nationalrats-Abgeordneten des Teams Stronach kandidieren (wer nur fünf Unterstützungserklärungen von Abgeordneten hat, braucht in diesem undemokratischen Wahlsystem keine 3000 Unterschriften von normalsterblichen Bürgern zu sammeln). WWW scheint zwar weder Team noch Wahlchancen zu haben, dürfte den beiden rechten Parteien aber mit seiner zentralen Forderung nach echter Direkter Demokratie etliche Stimmen wegnehmen. Die ÖVP hat diese bei vielen Wählern populäre Forderung des letzten Parlamentswahlkampfes im Vorjahr entsorgt. Auch die FPÖ hat sie nicht mehr sonderlich klar forciert. Ebenso hört man bei den Grünen schon länger nichts mehr von einem Verlangen nach Direkter Demokratie.

Ziemlich offen ist hingegen, wem die Neos Konkurrenz machen werden. Das wird eine der spannendsten Nebenfronten dieses Wahlkampfs. Die Neos sind ja gesellschaftspolitisch (Feminismus, pro Zuwanderung, Anti-Kirche) ganz links, damit in der Szenen-Schickeria eine Konkurrenz zu Grün. Wirtschaftspolitisch hingegen sind sie sehr ordnungsliberal, etwa durch ihr Auftreten gegen Kammerzwang. Deshalb fürchtet sich vor allem die ÖVP vor den Neos. Was zur Folge hat, dass die Schwarzen in keiner gesellschaftspolitischen Frage mehr die konservative Fahne zeigen. Das wird aber natürlich den Trend von der ÖVP Richtung FPÖ noch verstärken.

In den allerletzten Tagen hat die ÖVP aber immerhin mit einer starken Festlegung Pro-Gymnasium einen klaren Akzent in Richtung der bürgerlichen Wähler gesetzt. Dieser Akzent büßt freilich durch ganz anders laufende Schul-Vorschläge westösterreichischer Schwarzer etwas an Glaubwürdigkeit ein. Ansonsten hat sich die ÖVP ganz auf wirtschaftspolitische Kompetenz konzentriert, was zwar angesichts der Misswirtschaft im Rathaus sehr wichtig ist, aber angesichts der real existierenden Koalitionspolitik auf Bundesebene nicht unbedingt überzeugend. Und jedenfalls kann man mit Wirtschaftskompetenz nicht einmal zehn Prozent der Wiener Wähler entscheidend motivieren. So wichtig diese Kompetenz dann nach dem Wahltag auch wäre.

Nur noch in einzelnen Wahlkreisen haben einige andere Parteien die Kandidatur geschafft. Sie haben freilich alle keine echten Mandatschancen. Die bürgerlichen „Freidemokraten“ werden Blau und vielleicht auch Schwarz mancherorts marginal schaden, ebenso wie „Wir für Floridsdorf“ und die „Männerpartei“. Die „Sozialistische LinksPartei“ schadet hingegen potenziell Rot und Grün.

Bezirke: andere Spielregeln, andere Taktik

Pikant sind auch einige Kandidaturen reiner Bezirksparteien. Diese haben fast durchwegs den Hauptzweck, einer Gegenpartei beim Kampf um den ersten Platz im Bezirk zu schaden. Daher werden fast alle dieser kleinen Bezirksparteien insgeheim von einer anderen Partei unterstützt. Solche Kandidaturen machen in den Wahlen für die Bezirksvertretungen Wiens vor allem deshalb Sinn, weil in jedem Bezirk automatisch die auf Nummer eins landende Liste den Bezirksvorsteher stellt.

So schickt eine SPÖ-nahe Gruppierung im ersten Bezirk neuerlich die Liste WIR ins Rennen, die sich bürgerlich gibt und vor allem der ÖVP schaden soll. Man will damit aber in Wahrheit die Chancen für einen SPÖ-Vorsteher verbessern. WIR dürfte freilich im spannenden Megaduell ÖVP vs. Stenzel/FPÖ völlig untergehen.

Den Grünen wieder soll die Liste „Heribert Rahdijan“ beim Kampf um die Josefstadt schaden. Sie wird insgeheim von der ÖVP unterstützt. Die Grünen haben ja in dem studentisch geprägten Bezirk an sich die Mehrheit. Sie haben auch in der Person Rahdijan schon einmal den Vorsteher gestellt, sich dann aber nach der parteiinternen Machtübernahme durch den Linksflügel von diesem getrennt (ein Josefstädter Vorläufer-Spiel für die nunmehrige Causa Stenzel). Das hat dort noch einmal der ÖVP eine Chance gegeben. Deren jetzige Bezirksvorsteherin hat sich gleichzeitig auch selbst weit Richtung Grün bewegt – bis hin zur Gefährdung des bürgerlich-konservativen Wählerpotenzials. Mitentscheidend wird wohl sein, ob die vielen EU-Ausländer unter den Studenten, also vor allem die Deutschen, zur Bezirkswahl hingehen werden, wo sie ja zum Unterschied von den Gemeinde-Wahlen stimmberechtigt wären.

Im zehnten Bezirk wird eine zweite moslemische Liste kandidieren, die sich noch viel expliziter – sogar schon im Namen – zum Islam bekennt: „Befreiung – gleiche Rechte für Muslime“.

Auch sonst ist die Vielfalt auf Bezirksebene gewaltig: In etlichen Bezirken kandidiert die EU-Austrittspartei (wobei es freilich unklar ist, was der EU-Austritt mit einer Bezirksvertretung zu tun hat). Ebenso kämpft eine „Partei der Arbeit – Solidaritätsplattform“ auf mehreren Bezirksebenen. Auch das ist wohl nicht inhaltlich erklärbar, sondern nur dadurch, dass eine Kandidatur halt auf Bezirksebene leichter möglich ist.

PS: Es fällt auf, dass seit mehr als einem Monat keine einzige Umfrage zu den Wiener Wahlen veröffentlicht worden ist. Ist das nur Folge des Umstands, dass die Asylanten-Völkerwanderung alle Aufmerksamkeit beansprucht? Oder will man geheim halten, was diese Umfragen aussagen?

Nachträgliche Ergänzung: Nachdem sie vor wenigen Tagen eine Kooperation mit der FPÖ noch für möglich bezeichnet haben, haben Exponenten der Türkenpartei dies nun ausgeschlossen.

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