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Das Bundesheer: doppelt todkrank

Das Bundesheer hat zwei zentrale Krankheitsherde: Erstens eine katastrophale Aushungerung. Darüber reden alle. Und zweitens eine völlig verfehlte Struktur. Darüber redet niemand (mir wurde das aber durch ein kleines persönliches Erlebnis jetzt wieder bewusst).

Das Heeresbudget ist einfach nur noch blamabel. Es gibt europaweit keinen Staat, der so wenig von seinem Nationaleinkommen für sein Heer ausgibt. Dabei sind Landesverteidigung, die innere und äußere Sicherheit der älteste und bis heute wichtigste Grund, warum es überhaupt Staaten gibt. Wenn ein Staat das nicht mehr schafft, stellt er letztlich die eigene Existenzberechtigung in Frage.

Der jetzige Offenbarungseid erfolgt zu einem Zeitpunkt, da in bedrohlicher Nähe – Ukraine, Syrien, Irak, Libyen – Kriege toben. Da die österreichische Bevölkerung sich ganz klar für die allgemeine Wehrpflicht ausgesprochen hat. Da es laut Verfassungsschutz auf österreichischem Staatsgebiet heute so viel Terroristen wie noch nie gibt, die eine rasch wachsende Sicherheitsbedrohung darstellen.

Zugleich knöpft uns dieser Staat so viel wie noch nie von unseren Arbeitserträgen für Steuern und Abgaben ab. Zugleich macht dieser Staat Schulden wie noch nie. Aber er gibt fast das ganze Geld nicht für seine Hauptaufgaben, sondern für Wählerbestechung aus, welche die Profiteure euphemistisch „sozialstaatliche Wohlfahrt“ nennen.

Er tut das, weil keine Partei glaubt, dass sie mit einer Parole „Sicherheit statt Konsum“ Wahlen gewinnen kann. Vielleicht haben die Parteien mit dieser Haltung in ihrem am nächsten Wahltag endenden Interessenkalkül sogar Recht. Europas üppigstes Pensionssystem, Gratis-Unis, Subventionen für alles und jedes: Das scheint vielen Österreichern möglicherweise wichtiger als die derzeit eher abstrakte Bedrohung der eigenen Sicherheit. Viele simple Menschen glauben ja, dass jede Vorbereitung auf Landesverteidigung überflüssig ist, wenn keine Panzerarmeen an Österreichs Grenzen stehen; und sie übersehen dabei, dass es viele Jahre brauchen würde, um in der Stunde der Gefahr wieder verteidigungsfähig zu werden.

Egal ob dieser dumpfe Phäakismus wirklich dominant ist – die Politik glaubt jedenfalls, dass die Österreicher so fühlen. Dementsprechend handelt sie so, wie sie handelt. Sie missachtet damit zwar total die wichtigste Aufgabe eines Staates. Sie tut dies aber vorerst ungestraft.

Der Personalzylinder

Genauso wichtig ist es, den zweiten Krankheitsherd ungeschminkt anzusprechen. Denn darüber reden auch jene Heeresoffiziere nie, die sich öffentlich zu Recht häufig über den katastrophalen Geldmangel beklagen.

Dabei geht es um die Tatsache, dass wir viel zu viele Berufssoldaten haben. Dass 70 Prozent der Heeresausgaben Personalkosten sind. Dass wir vor allem viel zu viele ältere und vor allem höhere Offiziere haben, die nicht nur entsprechend teuer sind, sondern denen auch jedes sinnvolle Betätigungsfeld fehlt. Vierseitige Erlässe, ob Soldaten in einem Kasernenhof die Kappe aufzuhaben haben oder was sie dort singen dürfen, sind ja nur noch die Karikatur einer sinnvollen Betätigung.

Dennoch werden ungerührt jedes Jahr wieder neue Leutnant-Jahrgänge unten in dieses System hineingestopft. Diese werden dann – Überraschung, Überraschung – im Lauf der Zeit alle älter und wollen alle Generäle oder zumindest Obristen werden. Auch bei den Unteroffizieren landet jeder in den höchsten Dienstgraden.

Über dieses Krebsübel des Bundesheers redet natürlich kein Berufssoldat freiwillig.

Das ist aber alles andere als ein neues Phänomen. Ein Tagebuch-Leser hat mir Aussagen des damaligen Verteidigungsminister Prader (ÖVP) vom Beginn des Jahres 1970(!) geschickt, die haargenau auch auf heute passen.

Georg Prader damals wörtlich: „Wenn ich einen Stab auflöse, sind die Leute ja weiter da – . . . nur nicht mehr in echter Funktion. . . Solange das ganze Offiziers- und Unteroffizierskorps zylindrisch an die Spitze hinaufwächst, ist die Spitze gar nicht in der Lage, das zu verdauen. . . Unten wird ständig aufgestockt, oben geht nichts in Pension. Hier ist also die Crux, und da muss der Hebel angesetzt werden. Da kann nur ein völlig von den orthodoxen Beamtenschemen abweichendes Pensionsrecht die Lösung bringen . . . Das ist das Thema Nummer eins, das wir behandeln müssen – sonst ist alles andere eine Rederei.“

Goldene Worte. Die aber 44 Jahre später genauso gesagt werden können. Denn seither ist beim Thema „Nummer eins“ absolut nichts anders geworden. Nur Prader selbst war bald nicht mehr Minister.

Die Erkenntnis-Renaissance

Auch die von Prader getadelte Rederei ist gleich geblieben. Auf Praders Erkenntnis ist nun (übrigens ebenfalls in der „Kleinen Zeitung“) der jetzige Verteidigungsminister Gerald Klug gekommen. Er wünscht sich eine auf 15 bis 20 Jahre begrenzte Soldaten-Laufbahn. Denn es sei nicht mehr zeitgemäß, mit 20 ins Heer einzutreten und mit 65 auszutreten.

Wieder Goldene Worte. Auch wenn es diesmal nur noch amüsiert – oder bitter aufstößt, dass Klug etwas als nicht mehr zeitgemäß erkennt, was schon 1970 nicht mehr zeitgemäß war.

Das ist das Reformtempo beim österreichischen Heer (das einst halt auch dann noch mit Vorderladern geschossen hatte, als der Gegner schon Hinterlader hatte; aber damals hatten sie wenigstens noch schöne Uniformen).

Klug meint, dass man nach diesen 15 bis 20 Jahren für die Heeres-Beamten halt im öffentlichen Dienst eine andere Beschäftigung finden müsse. Nur: Welche? Sitzen doch schon seit mehr als zehn Jahren beispielsweise viele Post-Beamte beschäftigungslos herum, die auch niemand anderer haben will. Sie haben zu Recht ein katastrophales Image als Effizienzbremsen. Sie zeigen keinerlei Leistungs-Motivation, da sie ja wissen, einer lebenslang geschützten Werkstatt beigetreten zu sein. Warum sich dann noch jemals anstrengen? Warum dann noch jemals umlernen?

Natürlich gäbe es für 40-jährige Offiziere und Unteroffiziere außerhalb des Heeres genug Möglichkeiten, für die Gesellschaft etwas Sinnvolles zu tun. Haben Sie doch auch viel Lebenserfahrung und oft technisches Wissen gesammelt. Nur werden sie dennoch nie freiwillig umsteigen. Nur werden sie sich so wie die Postler nie anstrengen, um noch etwas Neues zu lernen. Nur ist das Gehaltsschema im öffentlichen Dienst so absurd auf das Prinzip Dienstalter abgestellt, dass sie jeder neuen Dienststelle viel teurer kämen, als wenn diese sich junge Mitarbeiter sucht.

Mit anderen Worten: Der Teufelskreis lässt sich nur dann lösen, wenn auch im öffentlichen Dienst jeder Dienstposten automatisch ein befristeter wäre. Wenn sich auch die dort Tätigen damit abfinden müssen, dass jeder im Leben mehrfach etwas Neues anfangen muss. Wenn es keine nur durchs Lebensalter ausgelösten Gehaltserhöhungen oder Vorrückungen gäbe.

Zu all dem bräuchte es aber schon rein juristisch die Kraft eines Verfassungsgesetzes. Das wird es jedoch nie geben. Höchstens dann, wenn zuvor der Staat in griechisch-italienischer – oder gar libanesisch-somalisch-syrischer Manier kollabiert ist. Denn eine solche Reform wäre ja unbequem und das Gegenteil der jetzigen lebenslangen Sicherheit. Daher werden alle Beamten und Vertragsbediensteten (sie sind de facto genauso unkündbar!) sowie erst recht deren Gewerkschaft mit Feuer und Brand gegen jede Beeinträchtigung des jetzigen Schlaraffenland-Zustands kämpfen.

Und sich vorzustellen, dass ausgerechnet eine Regierung Faymann-Mitterlehner dieses Problem mit effizienten und mutigen Maßnahmen angeht – dazu fehlt mir absolut jede Vorstellungskraft.

PS: Persönliche Anmerkungen: Ich selbst bin einst nicht mehr zu Übungen beim Bundesheer gegangen, weil ich es physisch nicht mehr ertragen habe, von jedem Leistungsdenken freien Berufssoldaten beim Nichtstun zuzuschauen, deren ganze Tagesarbeit in 15 Minuten erledigbar wäre.

Ausgerechnet in den jetzigen Wochen der endgültigen Auflösung des Bundesheers – das ist mindestens 25 Jahre nach dem letzten Kontakt mit dem Heer! – bekomme ich einen mit meinem einstigen militärischen Grad adressierten Brief. Vom Bundesheer. Es lädt mich allen Ernstes „anlässlich Beendigung Ihrer Wehrpflicht“ zu einer „Feier“ ein, bei der mir ein „Dankschreiben ausgehändigt“ werden soll.

So gelacht habe ich schon seit langem nicht mehr. Über diese Einladung und all das, was da ein Oberstleutnant und seine Sachbearbeiterin dabei sonst noch so alles auf drei eng bedruckten Seiten schreiben. Etwa, dass ich bei der Feier schon eine Stunde vor der angegebenen Zeit dort sein soll (mit meiner Lebenszeit sind die Herren Offiziere immer schon sehr verschwenderisch umgegangen). Etwa, dass mir Fahrtkosten nicht ersetzt werden können (dabei habe ich so auf eine Beteiligung des Heeres an meiner Netzkarte gehofft). Etwa, dass ich meinen Dienstgrad künftig nur noch mit dem Zusatz „aD“ führen dürfe (welch Demütigung). Etwa dass meine „disziplinäre Verantwortlichkeit“ jetzt erlischt (endlich kann ich mich gehen lassen). Etwa dass das Wehrdienstbuch bei mir verbleibt (wo auch immer ich es vor ein paar Jahrzehnten abgelegt haben mag). Etwa dass ich weiter einer „Verschwiegenheitspflicht“ unterliege: Ich werde daher befehlsgemäß „strengstes Stillschweigen“ darüber bewahren, dass diese Operettenarmee auf das – absolut nicht mehr unterbietbare – Niveau des österreichischen Kabaretts abgesunken ist.

Jetzt weiß ich, wozu dieses Heer Oberstleutnante braucht. Und ich weiß nun auch, wie ich ganz persönlich dem Heer sparen helfen kann: Ich erspare ihm das Ausstellen eines solchen Dankschreibens.

 

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