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Deutschland, das Land, wo einem der Atem wegbleibt

Der österreichische Blick auf Deutschland macht fassungslos. Noch nie haben sich die beiden Länder so weit auseinanderentwickelt. Die deutschen Uhren ticken in einem bisher unbekannten Ausmaß anders.

Der Wahltriumph der Angela Merkel sollte vor allem die österreichischen Bürgerlichen fundamental nachdenken lassen. Die deutsche Bundeskanzlerin hat einen Sieg in dem Ausmaß erlebt, das die ÖVP nur 1966 und 2002 erlebt hat. Davon ist die ÖVP in ihrem gegenwärtigen Zustand hingegen weit entfernt. Man vergleiche nur die Qualität fast jedes einzelnen Ministers in Berlin und Wien. Freilich muss man sich dazu auch bewusst machen, dass Merkel in den letzten Jahren alle innerparteilichen Kritiker und Konkurrenten ausgesessen oder abgeschossen hat. Das hat sie zuletzt so ungemein stark gemacht. In der Volkspartei lassen die Herren Pröll und Leitl hingegen schon den dritten eigenen Parteichef ins Abseits laufen.

Zweite Vergleichsebene: In Deutschland wird es wohl zur großen Koalition kommen müssen – obwohl beide Parteien das gar nicht wollten. In Österreich hingegen wird es zur großen Koalition kommen, weil sich beide von vornherein aneinandergekettet haben, egal was die Wähler sagen. Und ohne dass es eine gemeinsame Vision dieser Koalition gäbe. Was die ÖVP nicht begreift: Mit einem Werner Faymann ist kein Staat zu machen. In Deutschland haben aber beide Großparteien – vor allem CDU/CSU, aber auch SPD – deutlich gewonnen. Im Österreich einer inhaltslosen großen Koalition werden beide hingegen verlieren. Der Zusammenhang liegt auf dem Tisch.

Die dritte deutsch-österreichische Vergleichsebene ist eine ganz andere. Sie ist aber besonders atemberaubend: Die gleichen Wähler-Prozentsätze wie jetzt in Deutschland würden in Österreich zu einem komplett anderen Ergebnis führen. Sowohl FDP wie auch „Alternative für Deutschland“ würden nach dem österreichischen Wahlrecht beide sicher ins Parlament kommen, was sie in Deutschland zumindest nach dem vorläufigen Ergebnis nicht werden. Nach dem österreichischen Wahlrecht stünde Deutschland mit diesem Ergebnis daher eine komplett andere politische Zukunft bevor.

Viertens, das was nach einer theoretischen Linksmehrheit im Deutschen Bundestag aussieht – minimal, politisch nicht verwertbar, aber doch – ist bei den Wählern in Wahrheit eine rechte Mehrheit. Das sollte den vielen Parteien des vielschichtigen bürgerlichen Spektrums da wie dort eine klare Lehre sein: Wenn sie sich nicht wieder stärker zusammenfinden, dann haben sie weniger Einfluss, als sie eigentlich nach der Größe der Zustimmung unter den Bürgern hätten.

Fünftens, so sehr der schwere Dämpfer für Grüne wie Linke gut und erfreulich ist (die SPD hat nicht einmal die Hälfte des Gesamtverlustes der beiden Linksaußen für sich erringen können!): Die Tatsache, dass die postkommunistische „Linke“ ab nun noch vor den Grünen die drittgrößte Partei Deutschlands und die Führerin der Opposition ist, ist dramatisch. Das gibt diesem in Wahrheit total zerstrittenen Haufen, der von alten DDR-Apparatschiks dominiert wird, unglaubliche Chancen.

Dramatisch ist sechstens aber auch: In vielen Diskussions-Formaten und Podien wird es künftig so wie im Bundestag drei Parteien auf der Linken geben und nur eine auf der Rechten. Das wird das Gesamtbild der deutschen Diskussionslage dramatisch nach links verschieben. Denn ständig werden in vielen scheinbar gerechten Foren künftig drei Linke nur einem Rechten gegenübersitzen. Das ist eine katastrophale Verzerrung der Realität und wird den Debattenschwerpunkt noch weiter nach links verschieben.

Siebentens: Um einen Mann ist es jedenfalls schade: um Peer Steinbrück. Er ist zweifellos der klügste Sozialdemokrat in deutschsprachigen Ländern, der auch enorm viel von Wirtschaft versteht. Er wird nun aber wohl aus der Politik ausscheiden und nicht einer großen Koalition zur Verfügung stehen, die ihn eigentlich dringend bräuchte. Gerade in Österreich kann man diese Verschwendung an Humanressourcen nur bedauern, wo bei der Sozialdemokratie nur Demagogie und Machtgier zu finden ist.

Achtens hat der Wähler klar gezeigt: Für Parteien wie die FDP gibt es keine Zukunft. Wirtschaftspolitisch liberal, aber gesellschaftspolitisch oft links zu sein, das hat keine ausreichende Unterstützung unter den Menschen. 

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