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Wohlstand – Wachstum – Industrie – Energie – Schiefergas: eine Kette von Zusammenhängen

Was hat Ivo Morales eigentlich in Moskau besprochen? Diese Frage sollte den Westen deutlich mehr interessieren als der vieldiskutierte Zwischenstopp, den er auf dem Rückflug einen Tag in Wien machen musste. Vielen Menschen passiert ja deutlich Schlimmeres als ein ungeplanter Zwischenstopp in einem zivilisierten Land. Hingegen ist das Gesprächsthema von Morales in Moskau weit darüber hinaus für ganze Kontinente spannend.

Morales hatte in Moskau nämlich an einem geheimen Forum Gas exportierender Länder teilgenommen. Das ist der Welt ob der Snowden-Hysterie völlig entgangen. Dieses Forum ist eine sehr diskrete und sehr informelle Gruppe. Es sagt Europa und Amerika den Kampf an – vermutlich ohne aber zu wissen, wie das gehen soll. Es scheint in Wahrheit ein Ohnmachts-Forum zu sein. Hoffentlich stimmt dieser Eindruck auch und das Forum ist wirklich ohnmächtig.

Denn es versucht, den weltweiten steilen Verfall der Gaspreise zu verhindern. Diese gehen vor allem deshalb nach unten, weil im Westen, insbesondere in Nordamerika sehr viel neuentdecktes Gas gefördert wird. Das hat die USA von einem Energie-Importeur zu einem Exporteur verwandelt. Das hat den Amerikanern ermöglicht, auf einen neuen Wachstumskurs zu gehen und die Krise der letzten Jahre zumindest vorerst zu überwinden.

Ähnliches spielt sich auch in Teilen Europas ab. Aber eben nur in Teilen. Jene Länder hingegen, die noch immer von langfristigen und teuren Verträgen vor allem mit Russland abhängig sind, haben heute einen um 30 bis 40 Prozent höheren Gaspreis als die anderen, die vom Weltmarktpreis profitieren. Das hält keine Wirtschaft auf Dauer aus – aber damit auch kein Gaspreis-Vertrag.

Die bevorzugten Länder Europas können sich aus zwei Gründen billiger versorgen: Teils über eigene Gasfunde, teils über Flüssiggas aus dem Weltmarkt, das nun statt nach Amerika nach Europa fließt. Sie brauchen dazu freilich geeignete Hafenanlagen.

Daher bauen etwa die langfristig und strategisch denkenden baltischen Staaten vehement an den technischen Einrichtungen, damit auch sie sich bald mit verflüssigtem Gas auf dem Seeweg versorgen können. Sie tun alles vor allem aus einem Motiv: Sie wollen von Russland noch unabhängiger werden. Denn sie haben den Zugriff des großen Nachbarn in der Geschichte deutlich und schmerzhaft kennengelernt.

Auch in vielen Ländern Europas wäre das Schiefergas, das die wirtschaftliche Lage der Nordamerikaner so deutlich verbessert hat, durch neue Techniken abbaubar. Jedoch stößt das in manchen Ländern auf erbitterten Widerstand. Zumindest derzeit. Angesichts eines scheinbar ungefährdeten Wohlstands begreift dort die Bevölkerung nicht die Bedeutung von Energie und Industrie für den eigenen Wohlstand. Man wird freilich abwarten müssen, wie lange sich dieser Widerstand auch in Zeiten einer progressiven Krise hält.

EU kämpft für Netzneutralität

Aber nicht nur durch die eigenen Gas-Funde Europas und durch den Verfall des Weltmarktpreises verschlechtern sich die Karten der bisherigen Gas-Monopol-Länder. Die EU hat noch an einer weiteren Energiefront den Gaskrieg angesagt: Sie besteht darauf, dass Firmen, die Energie „erzeugen“ (also etwa Gas fördern), völlig getrennt werden von jenen, die diese Energie in der EU über ihre Netze verteilen und verkaufen.

Dieses Verlangen ist zweifellos zu einer der wichtigsten und positivsten Strategien im EU-Binnenmarkt geworden. Ein Binnenmarkt kann nur dann konkurrenzfähig sein, wenn er auch Zugang zu günstiger Energie hat. Dazu ist jedenfalls ein möglichst breiter Wettbewerb unter Energieanbietern notwendig, wie die EU richtigerweise erkannt hat. Und nur durch eine Trennung zwischen Netzbesitzern und Anbietern („Netzneutralität“) kann wirklich Wettbewerb unter diesen Anbietern entstehen.

Mehr Wettbewerb nützt immer den Abnehmern (also Privathaushalten ebenso wie arbeitsplatzschaffenden Unternehmen). Diese Strategie praktiziert die EU ja im übrigen auch an anderen Fronten. Beispielsweise:

  • beim Strom (Europa verlangt zu Recht eine Trennung von Erzeugung und Transport),
  • im Telekom-Bereich (die Netzbesitzer und Provider dürfen nicht eigene Programme in irgendeiner Weise bevorzugen),
  • oder bei der Bahn (beispielsweise muss die ÖBB endlich die volle Trennung zwischen der vom Steuerzahler bezahlten monopolistischen Infrastruktur und dem rollenden Betrieb durchziehen, wo voller Wettbewerb möglich ist. Der rollende Betrieb soll künftig mehreren konkurrierenden Unternehmen obliegen. Die „Westbahn“ ist da ein erstes Beispiel für einen solchen Wettbewerb).

Diese lobenswerte Strategie der EU stößt freilich EU-intern auch auf heftigen Widerstand. Dieser wird vor allem von den meist noch immer stark mit dem Staat verbundenen Platzhirschen ausgeübt (im Falle Österreichs sind das etwa ÖBB, Telekom, Wasseranbieter und Landes-Stromversorger).

Panik in Russland

Das Verlangen nach Entflechtung und Wettbewerb wird mit Sicherheit zu weiteren Preisreduktionen führen. Das löst naturgemäß in den fast zur Gänze vom Energieexport lebenden Ländern zusätzliche Panik aus. Als ob ihnen nicht schon Flüssiggas-Konkurrenz, Weltmarktpreise und Gasschieferfunde genug existenzielle Sorgen machen würden. Nach den neuen EU-Regeln müsste beispielsweise Russlands Gazprom, eines der größten Unternehmen der Welt, komplett die Versorgung, also unter anderem den Besitz der Pipelines, von der Gasgewinnung trennen.

Damit hat es die EU gewagt, der russischen Gas-Dominanz den Kampf anzusagen, natürlich ohne Russland oder die Gazprom beim Namen zu nennen. Dementsprechend hektisch hat der russische Präsident Putin seine Agitation gegen das EU-Energiepaket hochgefahren. Dementsprechend sucht er nun globale Allianzen. Russlands gesamtes Wirtschaftssystem würde ohne die fetten Energie-Exporte total kollabieren.

 An seinem Treffen mit Morales haben daher auch der neue (möglichweise nicht mehr ganz so absurd wie sein Vorgänger agierende) venezolanische Präsident Maduro teilgenommen sowie der ausscheidende Iran-Präsident Ahmadinedschad (dessen Nachfolger ebenfalls gemäßigter sein dürfte).

Aber unabhängig vom Ausmaß der verbalen Radikalität bleibt für alle vier Staaten der Gaspreis entscheidend. Bei dessen weiterem Verfall würde sich fast überall der Sturm der Bevölkerung gegen die Machthaber richten, welche die Notwendigkeit einer marktwirtschaftlichen, rechtsstaatlichen und industriellen Entwicklung verschlafen haben. Öl- und Gaseinnahmen haben das ja nie als dringlich erscheinen lassen. Das trifft übrigens auch auf Nigeria zu, das ebenfalls mit dieser Gas-Gruppe kooperiert.

Nabucco musste scheitern

In diesem Zusammenhang wird auch klarer, warum das von Österreich forcierte Nabucco-Projekt einer interkontinentalen Gaspipeline gescheitert ist. Zuerst wurde es von Russland vehement bekämpft. Denn dadurch kommt erstmals mittelasiatisches Gas ohne Einflussmöglichkeit Moskaus aus Zentralasien direkt ins dichtbesiedelte Mitteleuropa. Das hat viel Zeitverzögerung ausgelöst.

Diese hat wiederum dazu geführt, dass sich am Ende die anfangs gar nicht im Spiel gewesene Mittelmeer-Variante Griechenland-Italien durchsetzen konnte. Mit dieser kann Russland freilich auch nicht viel Freude haben, umgeht sie doch ebenfalls russisches Gebiet.

Die Mittelmeer-Variante ist kürzer und geringer dimensioniert, daher billiger. Möglicherweise waren in den Mittelmeerstaaten aber auch Manager "beweglicher" als die Österreicher, bei der endemischen Korruption in Mittalasien mitzuspielen. Und zugleich hat die EU auch nicht mehr wie am Beginn das österreichische Projekt exklusiv unterstützen können (von dem freilich auch einige Osteuropäer profitiert hätten), seit auch südliche Mitgliedsstaaten in den Wettbewerb getreten sind.

Während der Jahre, an denen über Nabucco verhandelt worden ist, hat man aber noch etwas übersehen: Der Energiehunger Chinas wird ständig größer. Das hat nunmehr klar erkennbare Folgen: Künftig wird ein großer Teil des mittelasiatischen Gases nach Osten und nicht Westen fließen.

Doppelte Selbstbeschädigung

Billige Energie ist heute der wichtigste wirtschaftliche Faktor geworden. Sie kann mittelfristig sogar die italienische und die griechische Krise mildern, wenn nicht neue Unsinnigkeiten passieren. Mitteleuropa bleibt hingegen vom teuren russischen Gas abhängig.

Österreich und vor allem Deutschland haben in den letzten Jahren ihre Energieversorgung durch zwei fundamentale Fehlentscheidungen selbst schwer beschädigt. Beide Fehler werden die derzeit relativ günstige wirtschaftliche Lage der beiden Staaten mittelfristig massiv verschlechtern.

Die eine Selbstbeschädigung besteht in dem von Grün & Co erzwungenen Verzicht auf den Abbau von Schiefergas und -öl. Die andere ist die vor allem in Deutschland völlig schief gelaufene Energiewende. Die von der Regierung Merkel erzwungene Strompreisverteuerung zur Finanzierung von unwirtschaftlichen Sonnen-Paneelen und Windmühlen wird zu einer schleichenden Deindustrialisierung zu führen. Wenn Deutschland nicht nach den Wahlen wieder eine radikale Wende rückwärts macht, wird die Energiewende katastrophale Auswirkungen haben.

Ein Anlass für eine solche Wende zur alten Energiepolitik (also unter Einschluss von Nuklearstrom) könnte ausgerechnet aus Japan kommen. Der Tsunami in diesem Land und die Zerstörung eines Reaktors durch die Meereswellen hatten ja damals Merkel zu ihrer selbstbeschädigenden Energiewende veranlasst. In den letzten Monaten aber hat Japan kehrt von der Wende gemacht; es setzt angesichts seiner eigenen Krise wieder ganz auf Atomenergie. Soll jetzt Deutschland als gar nicht Betroffener radikaler auf den Tsunami reagieren als das betroffene Japan selbst? Das wäre absurd.

Wir lernen jedenfalls: Politik als Panikreaktion oder als emotionales Wunschdenken führt immer in die Irre. Sie kann nur funktionieren, wenn sie alle Zusammenhänge begreift:

  • Ohne Wachstum kein Wohlstand
  • Ohne Industrie kein Wachstum
  • Ohne günstige Energie keine Industrie
  • Ohne Atomstrom, ohne Schiefergasabbau, ohne Wettbewerb keine günstige Energie.

(Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.)

 

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