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Gaddafi und Europa: Solidarität und Vernunft

Keine Zeitung ist in den vergangenen Wochen ausgekommen, ohne die EU oder den Westen als solchen zum Mitschuldigen an den verbrecherischen Vorgängen in Libyen oder zuvor Ägypten zu stempeln. Diese Vorwürfe sind aber dumm und kurzsichtig.

Hätte Europa viel lautere Kritik an den arabischen Diktaturen geübt, hätte das vielleicht einen Tag lang geholfen, den eigenen Zorn- und Adrenalin-Pegel abzubauen. Geändert hätte das mit Gewissheit nichts. So wie ja auch in der Vergangenheit Kritik an brutalen und unmenschlichen Regimen wirkungslos geblieben ist. Gewirkt hat nur militärisches Eingreifen, wie etwa zur Beendigung des Kosovo-Krieges. Aber auch dieses Rezept hat nicht immer funktioniert: Trotz großer Opfer und Kosten ihres militärischen Eingreifen konnten Amerika & Co die Problemländer Afghanistan und Irak (oder einst auch Somalia, Libanon und Vietnam) nicht befrieden.

Allzu laute europäische Kritik wäre aber nicht nur unwirksam, sondern auch sehr gefährlich gewesen. Denn insbesondere Libyens unberechenbarer Gewaltherrscher Gaddafi hat eine lange Tradition in Geiselnahmen. Was hätte etwa Europa getan, wenn sich Gaddafi ein paar Dutzend oder mehr Europäer als Revanche für allzu aggressive Kritik geschnappt hätte? So wie er das schon einmal bei zwei Schweizern aus Rache dafür getan hat, dass die Schweizer Polizei einen seiner Söhne – völlig zu Recht – kurzfristig festgenommen hatte (wegen schwerer Misshandlung seiner Diener in einem Schweizer Hotel). Damals wusste kein einziger der nun so schlauen Leitartikler ein Rezept zur Befreiung der beiden. Geholfen haben letztlich nur die von der Schweiz schließlich in Serie gesetzten Demutsgesten vor Gaddafi. Ähnliches ist auch der einzige Ausweg der EU gewesen, nachdem der – wahrscheinlich geisteskranke – Gaddafi bulgarische Krankenschwestern unter abstrusen Vorwürfen eingesperrt hatte.

Es ist also oft ziemlich gut, dass an der außenpolitischen Front nicht heißblütige und oberflächliche Journalisten, sondern (hinter den oft ebenfalls populistisch denkenden Ministern) auch bedächtige und erfahrene Diplomaten agieren. Dass also – im Gegensatz zu den Forderungen der Medien – die Tonlage der EU-Politik erst dann schärfer geworden ist, als die meisten EU-Bürger außer Landes waren. Und dass dabei sofort die Verantwortung wieder auf den UNO-Sicherheitsrat abgeschoben wurde.

Aber auch selbst wenn keinerlei Gefahr einer Geiselnahme oder eines Terrorschlages (wie die auf Gaddafis Befehl ausgelöste Explosion eines vollbesetzten Passagier-Flugzeugs über Lockerbie) droht, sollte in aller Ruhe überlegt werden, ob es wirklich sinnvoll ist, gegen eine Diktatur Sanktionen zu ergreifen.  Es sei denn, eine Diktatur steht so knapp vor ihrem Ende wie seit einigen Tagen Gaddafi nach verbreiteter Überzeugung (freilich wäre ich angesichts der hemmungslosen Entschlossenheit des Gaddafi-Clans und der chaotischen Strukturen der Opposition auch darin noch ein wenig vorsichtig).

Sanktionen dienen primär als psychologisches Dampfventil angesichts unerträglicher Berichte über einen Gewaltherrscher. Das ist in mediengesteuerten Demokratien immer ein wichtiger Aspekt. Die nun vom UNO-Sicherheitsrat beschlossenen Sanktionen sind genau ein solches Dampfventil – mit dessen Öffnung so lange zugewartet worden ist, bis fast alle Ausländer, zumindest sofern sie das wollten, Libyen verlassen haben. Entscheidende Bedeutung im Ringen um die Macht hat es hingegen nicht, wenn Gaddafi keine Waffen (mehr!) bekommt, wenn er und seine Familie nicht ins Ausland reisen dürfen und wenn deren Konten gesperrt werden. Man kann sicher sein: Sollte es Gaddafi wider Erwarten gelingen, sich wieder zu konsolidieren, werden diese Sanktionen sehr rasch wieder verschwinden. Wäre es anders, hätte man ihn ja schon seit Jahrzehnten bestrafen müssen.

Sanktionen haben nämlich noch nie ein Regime gestürzt. Nicht einmal der Sturz der weißen Minderheitsregierung in Rhodesien, das dann zu Robert Mugabes Terrorstaat Zimbabwe geworden ist, ist primär auf die internationalen Sanktionen zurückzuführen. Obwohl das kleine und unbedeutende Rhodesien eines der wenigen Beispiele für sehr weitgehende und spürbare Wirtschaftssanktionen war. Aber in fast jedem Fall haben Sanktionen nur zu einer Erhöhung der Profite für Schmuggler und Sanktionenbrecher geführt.

Außerdem gibt es keinerlei funktionierenden Maßstab dafür, wann man überhaupt Sanktionen verhängt. Ab wie vielen politischen Gefangenen, ab wie vielen getöteten Demonstranten, ab wie vielen hingerichteten Regimegegnern, ab welcher Einschränkung der Meinungsfreiheit sind sie notwendig und legitim? Oder hängt die Entscheidung nur davon ab, ob Medien, NGOs und Oppositionsgruppen (oder auch PR-Agenturen) laut genug über ein Land berichten, ob im Ausland die emotionale Empörung hoch genug steigt?

Versucht man nämlich, gerechte Maßstäbe anzuwenden, also Gleiches gleich zu behandeln, dann müsste leider ein Gutteil der Länder auf diesem Globus mit Sanktionen belegt werden. Um nur einige bewusst sehr unterschiedliche Beispiele zu nennen:

  • China (Unterdrückung der Tibetaner und Uiguren, Tienanmen-Massaker mit Tausenden Toten, Verfolgung von ganz friedlichen Anhängern der Demokratie),
  • Sudan (Millionen Tote im Bürgerkrieg, erzwungene Islamisierung),
  • Türkei (völkerrechtswidrige Okkupation Nordzyperns, regelmäßige militärische Einfälle im Nordirak, Unterdrückung der Kurden und Armenier),
  • Iran (Niederschlagung der Demokratiebewegung, Verfolgung von religiösen Minderheiten),
  • Spanien (Verfolgung all jener, die sich für Autonomie und Unabhängigkeit des Baskenlandes einsetzen),
  • Venezuela (Verfolgung von Dissidenten, zunehmende Ausschaltung der Demokratie),
  • Kuba (brutale Diktatur, Verfolgung jedes Demokratiefreundes, jahrzehntelang Not und Elend),
  • Russland (politische Schauprozesse mit vorgegebenem Urteil gegen Oppositionelle wie Michail Chodorkowski, Unterdrückung der tschetschenischen Minderheit, Angriffskrieg gegen Georgien, Interventionen in Moldawien oder der Ukraine).

Die Liste ließe sich von Nordkorea über etliche Staaten Mittelasiens oder der Karibik bis Sri Lanka oder Burma fortsetzen. Konsequenterweise müssten wir mit all diesen Staaten die Wirtschaftsbeziehungen abbrechen, wenn die – emotional und moralisch durchaus verständlichen – Forderungen richtig sein sollten, dass man Libyen, Tunesien oder Ägypten seit langem wirtschaftlich unter Druck setzen hätte müssen. Und selbst wenn man sich mit welchen Argumenten immer auf diese drei Länder beschränkt hätte, hätte man noch ein paar weitere Kleinigkeiten klären müssen, wie etwa:

  • Was tun mit Österreichs größter Bank, ist doch Libyen der größte Eigentümer der Unicredit und damit der Bank Austria?
  • Was tun mit dem Welthandel, wenn etwa Ägyptens Regierung zur Revanche den Suezkanal gesperrt hätte?
  • Was tun mit der Treibstoffversorgung, die gerade für Österreich zu einem wichtigen Teil aus Libyen kommt?
  • Was tun mit ein paar Millionen schwarzafrikanischer Immigranten, die künftig auf ihrem Drang nach Europa von Libyen sicher nicht mehr aufgehalten werden, wie es Gaddafi auf Grund eines Abkommens mit Italiens Berlusconi getan hat?

Je mehr man nachdenkt, umso klarer wird: Europa, wie auch die restliche Welt, sollte sich nur dann in die Angelegenheiten anderer Länder einmischen, wenn man sicher sein kann, dass die Einmischung am Ende des Tages auch erfolgreich ist, wenn sie also notfalls auch militärisch erfolgt. Oder wenn die Revolutionäre schon gewonnen haben. Sei es auch noch so furchtbar, was in anderen Ländern passiert.

Denn offen sei eine sehr persönliche Lehre eingestanden: Ich habe mich – wie viele – sehr über den Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein gefreut und mich in vielen Kommentaren auch dafür eingesetzt. Das Chaos, das dort nachher herrschte, war aber wohl in vielerlei Hinsicht schlimmer für die Iraker als die Zeit vorher. Selbst wenn man in Betracht zieht, dass Saddam Husseins rak zwei Angriffskriege ausgelöst hat.

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