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Ortstafeln und 100 Jahre Geschichte

In Kärnten haben wieder drei weitere Orte zweisprachige Ortstafeln bekommen. Das hat in der sommerlichen Nachrichtenflaute die Medien heftig erregt. Die gesamte historische wie juristische Dimension des Problems und die nicht nur einseitig zu beantwortende Schuldfrage fielen hingegen fast überall unter den Tisch. Wie üblich.

Man muss schon sehr blau- und einäugig sein um zu glauben, dass die Ortstafel-Frage durch die gegenwärtige Groteske einer Lösung nähergekommen wäre. Denn es darf ja nicht wahr sein, dass Ortstafeln nur deshalb aufgestellt werden, weil ein Provokateur zu schnell durch ein Ortsgebiet fährt und der Verfassungsgerichtshof den Schnellfahrer seiner Strafe entbindet (offenbar weil dieser die einsprachigen Tafeln nicht verstehen kann - was ja logischerweise dann auch allen Ausländern erlauben würde, mit 100 durch Ortsgebiete zun fahren). Und weil dann ein Landeshauptmann über Nacht nur deshalb Tafeln aufstellt, weil er sich vor der Haftung fürchtet, wenn ein weiterer Provokateur, der die geschwindigkeitsbegrenzende Wirkung von einsprachigen Ortstafeln nicht zu verstehen vorgibt, einen Unfall verursachen sollte. Diese Groteske ist einfach eine Schande. Für Kärnten genauso wie für Österreich und den Gerichshof, der sich auf diese lächerliche Weise einspannen hat lassen.

Historisch muss man die Geschichte der letzten hundert Jahre in ihrer Gesamtheit sehen: Da bekommt man dann gewisses Verständnis für die Kärntner, die ja außerhalb - vor allem von den Medien - gerne als chauvinistische Halbidioten dargestellt werden. Denn immerhin hat es nach beiden Weltkriegen massive, auch mit militärischer Gewalt vorgebrachte Gebietsansprüche aus Slowenien (samt dem dahinter stehenden SHS-Staat beziehungsweise Jugoslawien) auf Südkärntner Gebiet gegeben. Da ist schon nachvollziehbar, dass es lange vehementen Widerstand in Kärnten gegen den kleinsten Versuch gegeben hat, irgendein Indiz zu setzen, das zur Untermauerung slowenischer Ansprüche herangezogen werden könnte.

Auf der anderen Seite ist die brutale Verfolgung der Kärntner Slowenen in der Nazi-Zeit ebenso Faktum wie der Umstand, dass es heute völlig absurd wäre, noch an slowenische Ansprüche auf Grenzänderungen zu glauben. Schon deshalb, weil die Zahl der Slowenisch sprechenden Menschen stetig abgenommen hat.

Auch juristisch wird in den Medien vieles nicht korrekt widergegeben: Denn - wie Günther Winkler, Österreichs wohl bedeutendster Staatsrechtler der letzten 50 Jahre nachgewiesen hat, - der Staatsvertrag und der Minderheitenschutz-Artikel 7 brauchen zur endgültigen und zweifelsfreien Umsetzung ein Verfassungsgesetz. Dieses muss definieren, ab welchem Prozentsatz ein Gebiet gemischtsprachig ist, und die Feststellungsmethode klären, ob jemand ein Slowene ist oder nicht. Schnellfahrerei kann dem Gesetzgeber diese Aufgabe nicht abnehmen.

Die Schuldfrage

Wer ist nun schuld, dass diese Frage auch 55 Jahre nach dem Staatsvertrag in peinlicher Weise ungelöst ist?

1. Die Kärntner Parteien: Nicht nur die FPÖ und ihre diversen Ableger haben immer wieder die Ortstafelfrage aus parteipolitischen Motiven zur nationalistischen Stimmungsmache benutzt, auch die sozialdemokratischen Bürgermeister in den fraglichen Ortschaften waren immer vehement gegen die Ortstafeln. Und ebenso war die Kärntner ÖVP meist auf der gleichen Linie unterwegs.

2. Radikale Slowenenvertreter: Sie haben mit Schnellfahrereien zwar den Verfassungsgerichtshof aktivieren können, aber damit auch gleichzeitig neue antislowenische Emotionen befeuert. Sie haben vor allem immer etwas abgelehnt, was etwa für die Südtiroler der zentrale Eckstein ihres Minderheitenschutzes ist: nämlich eine klare Volksgruppenzählung. Mangels einer solchen wird der Anteil der Slowenen an Hand der bei Volkszählungen angegebenen Sprachkenntnisse geschätzt. Das ist eine sehr problematische Vorgangsweise. Eine Minderheit muss schon bereit sein, sich zählen zu lassen. Sonst sind den wildesten Behauptungen Tür und Tor geöffnet. Wer sich nicht zählen lässt, setzt sich selber in ein schiefes Licht.

3. Der Verfassungsgerichtshof: Er hätte der Politik nicht die klare Pflicht zur Erlassung eines Durchführungsgesetzes abnehmen und sich auf windige Strafmandate einlassen dürfen. Er hat damit den Respekt vor der Verfassung weiter geschmälert.

4. Der Bundespräsident: Wenn sich der VfGH aber in die Sache eingemischt hat, dann hätte der Präsident die Pflicht zur Exekution des Erkenntnisses gehabt.

5. Alle Regierungen seit 1955, die sich nicht ausreichend der Aufgabe angenommen haben. Sie taten dies nicht einmal dann, wenn sie die Zweidrittelmehrheit hatten, welche die beste Basis für eine ausreichende Lösung ist.

6. Die SPÖ der Gusenbauer-Zeit hat wohl überhaupt das ärgste Versäumnis zu verantworten: Zum ersten Mal in der Geschichte hat es 2006 einen Konsens zwischen der Kärntner und der Bundesregierung gegeben. Nach intensiven Vorarbeiten des Historikers Stefan Karner war ein genauer Katalog jener Ortschaften erarbeitet worden, die Ortstafeln erhalten sollten. Auch der (früher sehr scharfmacherische) Kärntner Heimatdienst war für diese Lösung und zwei von drei Kärntner Slowenenverbänden. Nur ein einziger Slowenen-Verband war dagegen: Ausgerechnet jener, der die Schnellfahrerei inszeniert hat. Inzwischen hat das - durchaus konsensorientierte - Laibach diesem Verband das Geld entzogen, worauf die ganze Führung zurücktreten musste, was deren Stellenwert nachträglich neuerlich klar macht. Dennoch hat die Gusenbauer-SPÖ damals im letzten Augenblick dem ausgehandelten Kompromiss unter Berufung auf diesen Verband die notwendige parlamentarische Unterstützung verweigert. Der wahre Grund war natürlich: Die SPÖ wollte nicht den Bösewichten Schüssel und Haider den Erfolg lassen, die Ortstafel-Frage gelöst zu haben. Worauf ja die ganze Antifaschismus-Propaganda der SPÖ in sich zusammengefallen wäre.

Dort stehen wir nun. Jeder weiß, über VfGH und Schnellfahrer gibt es keine wirkliche Lösung. In Wahrheit bleibt nur ein Weg offen: Zurück zum Schüssel-Haider-Pakt. Ob ausgerechnet ein Werner Faymann den Mut dazu haben wird?

Vorerst tut er das Einzige, was er in allen Fragen tut: Er sucht verzweifelt nach der längst möglichen Bank, auf die er das Ganze schieben könnte. Und Heinz Fischer wird halt noch ein paar Sonntagsreden halten, aber nie zugeben, dass er selber 2006 deutlich und energisch handeln hätte müssen.

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