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Der Westen, Österreich und der Krieg

Nein, der Westen soll nicht Kriegspartei werden, das würde zu hundert Prozent zu einem Weltkrieg und zu siebzig Prozent sogar zu einem Atomkrieg führen. Ja, der Westen hat wahrscheinlich Mitschuld am Kriegsausbruch. Nein, der Westen ist nicht deshalb am Krieg schuld, weil er etwa Putin provoziert oder gedemütigt hätte. Ja, der Westen könnte deutlich mehr tun, um Russland für seinen verbrecherischen und terroristisch geführten Angriffskrieg zu bestrafen.

In den Reaktionen auf die russische Invasion schwirren derzeit viele nur halbverdaute Argumente durch die Luft. Verständliche und legitime Angst, selbst in einen Krieg verwickelt zu werden, mischt sich hierzulande mit einer geradezu lächerlichen Äquidistanz-Rhetorik, die seit Bruno Kreisky bei der SPÖ modisch ist (obwohl diese früher ganz klar pro-amerikanisch gewesen ist), und die seit Strache und Kickl bei der (einst ebenfalls eindeutig prowestlichen) FPÖ sehr oft sogar prorussisch klingt.

Dabei gibt es in der Geschichte kaum einen Krieg, bei dem die Verteilung von Schuld und Unschuld so eindeutig ist, wie bei dem von Wladimir Putin aus einer Mischung von Paranoia, großrussischem Chauvinismus, blanker Aggressivität, aber wohl auch völlig falscher Einschätzung der Realität vom Zaun gebrochenen.

Es hat auch vor dem Krieg niemand Russland gedemütigt, wie von Moskau-Freunden manchmal ausgestreut wird. Ganz im Gegenteil: Unter Gorbatschow und Jelzin gab es sogar eine Russland-Euphorie (Persönlicher Einschub: Als Folge dieser Euphorie haben beispielsweise damals alle meine drei Söhne Russisch in der Schule als zweite lebende Fremdsprache gewählt). Russland wurde enge Partnerschaft auf allen Ebenen ermöglicht, der elitäre G7-Klub wurde Russlands wegen zu einer G8-Gruppe. Sowohl Nato wie EU schufen für Russland eine privilegierte Kooperation. Reiche Russen konnten sich ungehindert einkaufen, wo sie wollten, von britischen Fußballklubs bis zu österreichischen Banken, Immobilien und Baufirmen.

Das einzige, was Russland – natürlich – von niemandem angeboten werden konnte, war eine imperiale oder koloniale Oberhoheit über souveräne Staaten oder gar deren Annexion, etwa nur deshalb, weil diese einst in irgendeiner Form sowjetisch waren. Das wäre für unser westliches Freiheitsdenken völlig unmöglich, das den Kolonialismus seit ein paar Generationen überwunden hat.

Einige linksradikale und neuerdings auch einige rechtsradikale Dummköpfe wollen da allen Ernstes einen Vergleich ziehen zwischen der russischen Aggression mit der Tatsache, dass seit 1945 amerikanische Truppen in einigen europäischen Staaten stehen. Dieser Vergleich ist aber völlig absurd: Denn die Amerikaner stehen immer nur in jenen Ländern, wo sie erwünscht sind. Es bräuchte etwa nur einen einzigen Beschluss des deutschen Bundestags und schon müssten die Amerikaner auch aus Deutschland abziehen. Und würden es mit Sicherheit auch tun.

Aber außer der deutschen Linkspartei hat das noch keine einzige Partei verlangt, höchstens bei einem Teil der AfD wäre das zumindest denkbar. Bei den Grünen war in deren Anfangsphase für manche der Antiamerikanismus Teil des Weltbildes. Heute kaum mehr.

Ein Abzug der Amerikaner aus Deutschland ist im Gegenteil mehrmals von den USA selbst andiskutiert worden. Am meisten durch Donald Trump. Er wollte durch diese Androhung Berlin dazu bringen, selbst mehr für die eigene Landesverteidigung zu tun. Diese ist ja (auch) von Deutschland seit mehr als 30 Jahren in der Wunschvorstellung einer Friedensdividende sträflich vernachlässigt worden.

Donald Trump hatte von den Deutschen verlangt, endlich, wie ja oft von Berlin selbst zugesagt, 2 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für die eigene Armee auszugeben. Dieses Versprechen war aber von Deutschland unter windigen Ausreden nie erfüllt worden. Jetzt, Trump ist keine zwei Jahre weg, ist Deutschland plötzlich unter dem Druck der Fakten bereit dazu, das zu erfüllen, was er verlangt hatte. Jetzt muss damit ausgerechnet eine Linksregierung indirekt zugeben, dass Trump zumindest in diesem Punkt recht hatte. Das ist ziemlich peinlich, wenn man sich erinnert, wie verächtlich sie einst über Trump und dessen Zwei-Prozent-Forderung gesprochen hatten.

Allerdings: Als Österreicher sollte man sich darüber nicht zu laut mokieren. Ist doch die Republik selbst weit davon entfernt, auch nur 1 BIP-Prozent für die Landesverteidigung auszugeben. Dabei müsste Österreich eigentlich als nicht einem Bündnis angehörender Staat doppelt so viel für die eigene Sicherheit ausgeben wie jene, die in eine starke Allianz eingebunden sind. Österreich stünde ja so wie heute die Ukraine in einem Ernstfall mutterseelenallein da.

Europa, dem Westen, den USA ist noch ein anderer Vorwurf zu machen: Man hat all die deutlichen Anzeichen übersehen, dass Russland unter Putin wieder eindeutig den Weg eines aggressiven und gefährlichen Imperialismus geht. Man hat sich – so wie bei China – durch die Tatsache täuschen lassen, dass beide auf einen kapitalistischen Wirtschaftsweg eingeschwenkt sind. Man hat jedoch übersehen, dass beide Großmächte militärisch und in ihren expansiven Ambitionen heute wieder mindestens genauso gefährlich sind wie am Höhepunkt des Kommunismus.

Allerspätestens 2014 mit dem russischen Einmarsch in der Ukraine (auf der Krim und in Teilen zweier östlicher Regionen) hätte eigentlich klar sein müssen, dass Russland einen Weg geht, der dem eines Adolf Hitler gleicht und nicht dem eines Michail Gorbatschow. Wir haben uns jedoch alle weiter dem Wunschdenken hingegeben, dass dem nicht so ist.

Bis auf (ein wenig) die USA, Großbritannien und Frankreich haben jedoch alle Demokratien weiterhin ihre Verteidigungsanstrengungen vernachlässigt. Gleichzeitig hat der Westen völlig die innigen Bitten der Ukraine und Georgiens ignoriert, in die Nato aufgenommen zu werden. Eine solche frühere Aufnahme hätte ganz zweifellos im Jahr 2022 Putin abgeschreckt. So, wie das etwa bei den drei kleinen baltischen Staaten der Fall ist, die 2004 in die Nato aufgenommen worden sind, und die von Russland seither trotz ihrer Kleinheit und exponierten Lage respektiert werden. Dabei gibt es dort russische Minderheiten, die man ja auch als Vorwand benutzen hätte können, um sie "retten" zu wollen (die freilich überwiegend den Status als EU-Bürger sehr genießen …)

Dass die Zeichen des russischen Handelns nicht so schwer zu lesen waren, beweist jedenfalls die Ukraine selbst. Bis 2014 war ihre Verteidigung in einem jämmerlichen Zustand. Man hatte sich offenbar auf die Souveränitätsgarantien des Budapester Memorandums verlassen. Man hatte bis dahin den Russen einen so massiven Rechtsbruch nicht zugetraut. Deswegen hatte die Ukraine damals den Russen militärisch absolut nichts entgegenzusetzen.

Ganz im Gegensatz zu jetzt: Inzwischen hat sich die Ukraine militärisch so erholt, dass ihr Widerstand den Russen – trotz totaler Luft- und Seeüberlegenheit – große Probleme bereitet und diese ihre Angriffstruppen jetzt komplett neu gruppieren müssen.

Es wäre aber 2014 auch ein wichtiges und abschreckendes Signal gewesen, der Ukraine den erbetenen raschen Weg "nur" in die EU zu öffnen. Beides verhindert zu haben, ist ein weiterer dicker Schlechtpunkt auf dem Schuldkonto von Angela Merkel (und von Nicolas Sarkozy).

Lassen wir die Vergangenheit voller Versäumnisse. Wir können sie ja nicht ungeschehen machen.

Was aber kann der Westen jetzt tun, in den nächsten Tagen, Monaten und Jahren? Ein paar Stichwörter zu einer sinnvollen Antwort:

  1. Europa sollte alles Erdenkliche tun, um die Abhängigkeit von russischen Gas- und Öllieferungen rasch zu reduzieren, deren Einnahmen für Russland überlebenswichtig sind; das heißt vor allem: Bau von Flüssiggas-Terminals.
  2. Gleichzeitig sollten alle in schier unendlichen Genehmigungsverfahren steckenden Energieprojekte rasch umgesetzt werden.
  3. Es braucht als absolute Sofortnotwendigkeit die Rücknahme aller Beschlüsse einer Einstellung von Kohle- und Atomkraftwerken. Es ist ja immer schon Wahnsinn gewesen, russisches Gas auch zur Erzeugung von Strom zu verwenden. Das wäre aber sogar noch in höherem Umfang notwendig, sollte Deutschland wirklich auf der Sperre dieser Kraftwerke beharren (Belgien hingegen hat diesbezügliche Beschlüsse bereits revidiert).
  4. Die EU müsste rasch den Zwang aufheben, einen bestimmten Teil der Ackerflächen brachliegen zu lassen, nachdem die russischen und ukrainischen Lebensmittelexporte einbrechen.
  5. Es braucht eine rasche (Wieder-)Herstellung der eigenen Verteidigungsbereitschaft – in Österreich sogar noch mehr als im Rest der freien Welt.
  6. Es braucht genauso die Reaktivierung von Zivilschutz und wirtschaftlicher Landesverteidigung.
  7. Es braucht eine Fülle von Bemühungen auf den unterschiedlichsten Kanälen, die versuchen, der russischen Bevölkerung klarzumachen, was für ein Verbrechen ihre Führung begeht. Die Ukraine hat da schon einige recht kreative Aktionen gesetzt.
  8. Es braucht faire Angebote an die Republika Srpska, um den Russen ihren einzigen Freund in Europa zu nehmen, die Serben. Es ist in der Tat wirklich nicht einzusehen, warum die in einem recht geschlossenen Gebiet lebenden Serben in Bosnien nicht genauso das Selbstbestimmungsrecht haben sollen wie etwa Kroaten oder Slowenen, und wie es de facto auch schon die Kosovo-Albaner bekommen haben.
  9. Es braucht dabei auch unbedingt eine Diversifizierung bei allen Produkten, die Europa importieren muss. Ist doch die Abhängigkeit von China in etlichen Bereichen genauso groß wie die von Russland beim Gas (und ist China doch auffallend nett zu den Russen).
  10. Es braucht massive Waffenlieferungen an die Ukraine, wo sich – glücklicherweise – vor allem Panzer- und Flugzeugabwehrwaffen, auch türkische Drohnen, als erstaunlich effektiv gegen die Angreifer erwiesen haben.

Für die bisherigen Defizite im Verhalten zu Russland gibt es viele Ursachen. Diese reichen vom naiven Wunschdenken unter den Bürgern und den meisten Parteien bis zur absurden Planetenrettungs-Panik, die von den Grünen mit großem Erfolg ausgelöst worden ist. Dadurch geriet Europa in vielen Bereichen auf einen völlig falschen Weg, auf dem die Hauptaufgabe jeder Politik, also die Sicherheit des Landes beziehungsweise der Union, völlig aus den Augen verloren gegangen ist. Zugleich sitzen aber die für diesen Planetenrettungsschwachsinn hauptverantwortlichen Grünen als einzige Partei sowohl in Berlin als auch Wien in der Regierung. Sie haben auch den EU-Apparat schon massiv unterwandert, wie man immer öfter an Initiativen der EU-Kommission erkennen kann.

Gewiss: Vieles wäre einfacher gewesen, hätte man viel früher dem paranoid-imperialistischen Kurs Putins ein knallrotes Stopplicht entgegengehalten. Aber es ist immer noch besser, man tut das jetzt als nie. Denn noch später würde es noch viel mehr Kraft erfordern.

Ob Europa wirklich dieses Stopplicht einschalten wird, ist freilich noch völlig offen. Auch in Österreich hat man ja noch nicht wirklich begriffen, dass Krieg ist, dass da vieles anders ist, und dass da ganz neue Notwendigkeiten entstanden sind.

Denn sonst könnten nicht alle Parteien geradezu einen Wettlauf begonnen haben, um die Illusion zu nähren, man könne die Wähler so stellen, als gäbe es keinen Krieg: nämlich durch ungedeckte Schuldenschecks auf die Zukunft, um sie durch sogenannte Entlastungspakete schadlos zu stellen. So, als ob es keinen Krieg mit all seinen unvermeidlichen Auswirkungen gäbe.

Wann nur wird die Politik dieses Landes in der Gegenwart ankommen?

Ganz typisch für diese kollektive Realitätsverdrängung ist etwa, dass die populäre Kompensation für die Preiserhöhungen in Höhe von immerhin vier Milliarden blitzschnell realisiert wird, während die Mehrausgaben für die Landesverteidigung weiterhin nur vage Rhetorik sind.

Freilich hat die Regierung mit diesem Verhalten Glück: Denn Linksparteien haben prinzipiell immer eine massive innere Ablehnung zu allem, was Bundesheer oder Landesverteidigung heißt. Denn die FPÖ, die einst ein ständiger Warner in Sachen Bundesheer gewesen ist, gibt sich seit längerem fast nur ihren skurrilen Verschwörungstheorien in Sachen Corona hin – und ist in weiten Teilen erschreckend russlandfreundlich, weshalb man keine sonderlichen Verteidigungs-Notwendigkeiten erkennen will.

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