Das grammatikalische und das biologische Geschlecht

 

Die deutsche Sprache unterscheidet drei grammatikalische Geschlechter (Genera), die Natur nur zwei Geschlechter (Sexus). Genus ist eine grammatikalische Kategorie, Sexus eine biologische. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Substantiven, die generisch (oder allgemein) für beide Geschlechter, aber spezifisch (im Sinne der Biologie) für nur ein Geschlecht stehen können.

Zum Beispiel:

generisches Maskulinum:

generisch der Bär, der Koch, der Lehrer, der Wiener

spezifisch der Bär (gegenüber die Bärin), der Koch (gegenüber die Köchin), der Lehrer   (gegenüberdie Lehrerin), der Wiener (gegenüber die Wienerin)

generisches Femininum:

generisch die Katze, die Ziege

spezifisch die Katze (gegenüber der Kater), die Ziege (gegenüber der Ziegenbock)

generisches Neutrum:

generisch das Pferd, das Rind, das Kind

spezifisch der Hengst / die Stute, der Stier (Bulle) / die Kuh

Doch nicht in jedem Fall ist die Dichotomie generisch/spezifisch vorhanden. Während es zu Katzeoder Kuh männliche Bezeichnungen gibt, fehlen diese z.B. bei Person und Kind; in den beiden letzteren Fällen könnte man zwar auf Mann bzw. Bub (oder Junge) ausweichen, doch die Bedeutung von Mann/Frau und Bub/Mädchen stimmt mit Person und Kind semantisch nicht überein, weil diese Bezeichnungen ja beide Geschlechter einschließen. Außerdem wird das Genus nur im Singular unterschieden, im Plural gibt es keinen Genusunterschied (oder wenn man so will, bezogen auf Lebewesen: nur genus commune).

Die meisten Substantive des Deutschen lassen keinen allgemeinen, durchgehenden Zusammenhang zwischen der Bedeutung (Semantik) eines Wortes und seinem Genus erkennen. Abgeleitete Substantive (wie etwa Kundschaft, Mehrheit) sind dabei meist eine Ausnahme, da das Wort­bildungselement (-schaft, -heit) dem damit gebildeten Wort ein bestimmtes Genus (hier Femininum) vorgibt und es gleichzeitig in eine bestimmte Bedeutungskategorie (in unserem Fall Abstraktum) einordnet.

Weiters sollte man bei Bezeichnungen wie Arzt oder Lehrer zwischen der Funktion und der Personunterscheiden. Die Funktion meint beide Geschlechter (auch im Plural!), bei der Person aber ist zwischen Arzt und Ärztin, Lehrer und Lehrerin, Student und Studentin zu unterscheiden.

Daher wird neuerdings "geschlechtsneutralen" Bezeichnungen wie Lehrende, Studierende usw. der Vorzug gegeben (sofern solches möglich ist). Mit diesen sind zwar beide Geschlechter gemeint, aber auch auf Plurale wie die Lehrer und die Studenten trifft dies zu, wenn man auch einschränkend behaupten kann, dass die Frauen nur "mitgemeint" sind, denn man weiß ja, dass Lehrer und Studenten in der Regel nicht nur Männer, sondern auch Frauen sind, was genau so auch auf die "neutralen" Bezeichnungen Lehrende, Studierende zutrifft.

Das Wort "mitgemeint" ist daher ein manipulativer Kunstgriff der "feministischen Linguistik", denn Frauen sind inkludiert (mit eingeschlossen) wie auch das generische Maskulinum der Mensch beide Geschlechter einschließt – ebenso das generische Femininum die Geisel bzw. Person und das generische Neutrum das Kind.

Bei keinem dieser Wörter kann man von einem "Nur-Mitgemeint-Sein" sprechen; dies gilt auch für die generisch maskulinen Berufs- und Herkunftsbezeichnungen wie Lehrer und Wiener. Zum vielfach eingeforderten und verordneten "geschlechtsneutralen Formulieren" ist festzustellen, dass "geschlechts-neutrale" Bezeichnungen in der deutschen Grammatik gar nicht vorgesehen sind und daher in Widerspruch zur Realität stehen, da sie im Singular ohne Artikel gar nicht verwendet werden können und der Artikel immer vom jeweiligen Genus, also dem grammatikalischenGeschlecht, abhängig ist. Im Singular ist nur der/die/eine Lehrende/Studierende bzw. ein Lehrender/Studierender möglich, nur im Plural auch Lehrende/Studierende (ohne Artikel) bzw. die Lehrenden/Studierenden (mit Artikel) – wie ja auch bei Lehrer und Student.

Da eben jedes Substantiv im Deutschen einem der drei grammatikalischen Geschlechter zuzuordnen ist, kann es keine "geschlechtsneutralen" geben. Daran ändern auch Formen wie Lehrende/Studierende nichts; diese entsprechen darüber hinaus keineswegs genau dem Lehrer/Studenten, sind sie doch Partizipia. Lehrende und Studierende sind eben nicht zwingend Lehrer und Studenten!

Es ist allerdings ein geschlechtsneutraler Sprachgebrauch in dem Sinn möglich, dass man Personenbezeichnungen vermeidet und durch allgemeine Ausdrucksweisen wie Institutionen, Betriebe usw. ersetzt, wie z.B. Bewerbungen sind an die Direktion zu richten anstatt an den/die Direktor/Direktorin.

Sprachwissenschaftlich gesehen hat also das biologische Geschlecht mit dem grammati­kalischen primär nichts zu tun. Außerdem haben nicht alle Sprachen ein grammatikalisches Geschlecht, können aber dennoch das biologische Geschlecht eindeutig ausdrücken. In vielen Sprachen gibt es Wortbildungselemente, mit denen eindeutig weibliche Begriffe erzeugt werden, meist gibt es mehrere, im Deutschen aber nur eines, nämlich -in  – und dieses hat sich krebsgeschwürartig in der feministischen Nomenklatur ausgebreitet, vom Binnen-I, Schräg-strich, Gender Gap (_), Sternchen (*) oder Doppelpunkt (:) bis zur x-Form (z.B. Professx) usw. All dies findet bisher in der amtlichen deutschen Rechtschreibung keine Berücksichtigung, doch im Unterrichtswesen und vielfach auch auf amtlichen Formularen wird vielfach darauf bestanden. Nicht nur in Österreich – wie dies zuletzt Hannover und Hamburg gezeigt haben. Zuletzt ist auch der Duden auf diesen Zug aufgesprungen. Auch an den österreichischen Bildungseinrichtungen ist das "Gendern" mehr oder weniger verpflichtend.

Es widersprechen also die von der "feministischen Sprachwissenschaft" verordneten "gendergerechten" Schreibungen den grundlegenden grammatikalischen und orthografischen (auch orthoepischen) Regeln des Deutschen und sind ein Eingriff in die natürliche Sprache. Schreibungen wie LehrerInnen, Ärzt/innen und Student*innen sind darüber hinaus nicht vorlesbar. Und der ORF verlängert (ungewollt?) seine Nachrichtensendungen mit ständigen Doppelnennungen à la Wählerinnen und Wähler, Österreicherinnen und Österreicher usw. Aber von Einbrecherinnnen und Einbrechern hört man nur ausnahmsweise.

(Heinz-Dieter Pohl ist ein österreichischer Sprachwissenschafter und Namenforscher. Er war Universitätsprofessor für Allgemeine und Diachrone Sprachwissenschaft an der Universität Klagenfurt.)

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)
Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print



© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung