Zur Freude an der Wissenschaft ermutigen

Wir sind Zeitzeugen der Abdankung der Schulen als Wissensunternehmen am Lernmarkt einer Wissensgesellschaft. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden in den Lehrplänen und (vor allem) in der schulischen Praxis immer unbedeutender. Die Schüler erwerben in den Schulen immer weniger (Hintergrund- und Orientierungs-) Wissen. Die Kompetenzen- und Erlebnisschule, in der immer mehr Mythen erzählt werden, benötigt keine fachlichen Autoritäten mehr. Wohin führt aber eine Schule, in der die Lehrer die Schüler nicht mehr zur Freude an der Wissenschaft ermutigen? Was bedeutet der Abschied vom Logos für die Jugendlichen?

Die Mythenerzähler unter den Lehrern bewirken einen Verlust an rationaler Diskussion mit sachlichen Argumenten. Präsentation, Desinformation und Emotionalisierung treten immer mehr an die Stelle der Vernunft. Esoterische Spielereien beginnen sich auszubreiten. Manipulation und Indoktrination erfreuen sich bei zahlreichen Bewusstseinsbildungsexperten unter den Lehrern einer immer größeren Beliebtheit.

Wissenschaft ist eine Schöpfung des "Europäischen Geistes", ein im antiken Griechenland entwickelter Weg zur Welterkenntnis und eine Praxis zur Weltgestaltung durch technische Leistungen.

Wissenschaftler stellen Fragen, suchen, forschen, artikulieren Vermutungen, üben konstruktive Kritik und versuchen, Streitfälle rational zu entscheiden. Es ist ein europäisches Kultur- und Zivilisationsgut, Aussagen an den Maßstäben der Vernunft zu messen und Fragen dort aufzuwerfen, wo bisher fraglose Übereinkunft geherrscht hat. Argumente können wissenschaftlich überprüft und möglicherweise (im Lichte von "Wahrheit als Übereinstimmung mit den Tatsachen") widerlegt werden.

Es gibt wissenschaftliche Theorien, die sich bisher bewährt haben. Sie erklären Ausschnitte der Realität, zeigen Zusammenhänge und Wirkungen auf und haben einen vergleichsweise hohen Informationsgehalt. Zahlreiche Wissenschaftler/Forscher haben kühn, phantasiereich und experimentierfreudig an der Formulierung dieser vorläufigen Theorien mitgearbeitet.

Generationen von Wissenschaftlern haben bei ihren Bemühungen auch Fehlschläge und Irrtümer überwunden und sie haben gelernt, neue Fragen und neue Antworten zu suchen. Mit der Zeit fanden sie bessere Lösungen.

Das Kennenlernen bisher vorliegender Hypothesen ist zweifellos eine Voraussetzung für etwaige Lernprozesse von Schülern. Die Jugendlichen müssen ja nicht mehr selbst durch alle bisherigen Irrtümer hindurchgehen und alles neu finden. "Entdeckendes Lernen" erlaubt auch eine Teilnahme am "Großen Gespräch". Diese bietet den Schülern Herausforderungen und Impulse für die Entwicklung neuer Fragen und Perspektiven.

Vielfalt setzt Denken in Bewegung. Neues entsteht im geistigen Wettstreit – auch in der Auseinandersetzung mit der "Tradition". Diese ist ein potentieller Förderer der Lernfreude von Jugendlichen. Warum sollten die Schüler auf bisherige Erkenntnisse in den Wissenschaften verzichten?

Wissenschaft sucht nach Wahrheit. Sie orientiert sich als "Abenteuer mit Risiko" an der Idee der Objektiven Wahrheit. Da die menschliche Vernunft fehlbar ist, können Neuerungen und somit Lernprozesse nicht ausgeschlossen werden. Die Widerlegung wissenschaftlicher Aussagen fördert den Erkenntnisfortschritt.

Sollten wir in den Schulen nicht wieder mehr die vernünftigen Argumente betonen und eine Erörterung im Dialog pflegen, um die Jugend wieder mehr zur Freude an der Wissenschaft zu ermutigen?

Es ist Zeit, die an Mythen orientierten Klagen von Lehrern über die verderblichen Wirkungen von Wissenschaft, Forschung und Technik zu beenden. Ist es nicht unverantwortlich, den Weg vom "Logos zum Mythos" weiter zu gehen und mit den Urängsten der Schüler zu spielen?

Josef Stargl ist AHS-Lehrer in Ruhe und ein Freund der Freiheit. 

 

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