Der große rote Ausverkauf

Nie waren die Umfragewerte der SPÖ schlechter als vor der anstehenden Nationalratswahl. Ein Duell um die Kanzlerschaft gibt es nicht. Die Sozialdemokratie sichert nach hinten ab. Paradox, aber wahr: Liegen die Meinungsforscher nicht ganz falsch, wird die größte Oppositionspartei verhältnismäßig mehr verlieren als ihr direkter Konkurrent, die FPÖ. Zwar werden die Freiheitlichen auch Stimmen einbüßen, aber nicht in dem Ausmaß, wie innenpolitische Beobachter direkt nach dem Bekanntwerden des Ibiza-Videos angenommen haben. Das hat schon die EU-Wahl bewiesen.

Langsam, aber sicher wird sich jene Partei, die bis 2017 mit einer Ausnahme über Jahrzehnte den Kanzler stellen konnte, der Realität stellen müssen, dass die 20-Prozent-Marke in Griffweite ist. Mit der Stabilität als Volkspartei ist es vorbei, eine Karriere als Protestpartei nicht ausgeschlossen. Auf den großkoalitionären Rettungsanker, der in stürmischen Zeiten immer wieder Sicherheit versprach und Schwächen kaschierte, ist kein Verlass mehr. Die nostalgische Beschwörung der guten alten Zeiten zieht nicht mehr und ist für viele Wähler eher kein Konzept für die Zukunft. Wie orientierungslos die Sozialdemokratie durch die Gegend wandelt, zeigt auch die Tatsache, wie spielerisch leicht die Grünen gerade wieder ihre Stimmen zurückholen.    

Die Antwort der SPÖ auf die anhaltende Wählererosion: Der große rote Ausverkauf. Mit Altbewährtem retten, was zu retten ist. Und zwar Platz zwei. Was auf gut Sozialdemokratisch so viel heißt wie: Wir versprechen allen alles und verteilen den Kuchen, den andere backen müssen.

Den Wahlberechtigten verspricht man kürzere Wartezeiten auf Behandlungen, staatliche Pflegegarantie, beste und neueste Medikamente für alle, ein quasi geschenktes Klimaticket, Mindestlohn und vieles mehr.

Die Umverteilungspartei hat sich warmgelaufen, Erbschafts- und Vermögenssteuern sind auch aus dem Sack. Kaum kreativ und wenig faktenorientiert war dabei die Argumentationslinie, die sich Rendi-Wagner von ihren Beratern soufflieren ließ. Denn sogar die Schweiz, im Kern ja alles andere als reichenfeindlich, würde Vermögenssteuern einheben, so die SPÖ-Chefin bei einer Fernsehdiskussion. Richtig recherchiert. Die Eigenheiten des Steuersystems der Schweiz hat sie aber außer Acht gelassen. Dass die Gesamtsteuerbelastung im Nachbarland niedriger ist als in vielen anderen Ländern, auch in Österreich, hat sie genauso vergessen zu erwähnen.                 

Immer wenn es vor einer Wahl für die Sozialdemokratie eng wird, besinnt sie sich auf ihre alte Tugend, Wähler mit dem Geld anderer zu locken. Nun hat die SPÖ aus Erfahrungen gelernt, das muss man ihr durchaus zugutehalten. Seit den 1970ern wählten Österreichs Bürger stets die Politiker, die ihnen am meisten Geld versprochen hatten. Bruno Kreisky war sozusagen der Großmeister dieser Disziplin.

Das Prinzip dahinter: Vor der Wahl die Erhöhung von Sozialleistungen aller Art ankündigen, nach der Wahl Steuern und Schulden nach oben fahren. Mit dem Rechtfertigungsverweis auf Banken und Kapitalismus. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Versprach Kreisky vor der Wahl 10.000 Schilling Geburtenbeihilfe, musste der Wähler nach der Wahl für den Kassettenrekorder 32 Prozent Luxussteuer zahlen. Seit Jahrzehnten sind die Österreicher nichts anderes gewohnt.                    

Allerdings ist die SPÖ von heute nicht mehr mit der Partei von Kreisky vergleichbar. Sie weckt keine Emotionen mehr, eher Neid und Unzufriedenheit. Der Wähler lässt sich nicht mehr ganz so leicht mit einer Karotte vor der Nase in eine bestimmte Richtung lenken.

Die Ausgangslage knapp vor der Wahl ist also keine leichte. Erschwerend kommt hinzu, dass die Partei trotz Kurz-Abwahl nicht vorbereitet war auf ein Duell mit einem konstant populären Altkanzler. Das rächt sich jetzt. Für die SPÖ gilt, die 20-Prozent-Hürde zu überwinden.

Mag. Jürgen Pock ist Kommunikationsexperte und Polit-Blogger.

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