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Hessen – Berlin – Wien: ein Vergleich

Sie werden sich aneinanderklammern wie zwei oder drei Betrunkene, die jede Orientierung verloren haben. Diese Prognose scheint relativ sicher. Die Berliner Regierungsparteien denken auch nach der katastrophalen Niederlage der hessischen Landtagswahlen nicht daran, irgendwelche Konsequenzen zu ziehen, die zu Neuwahlen führen könnten. Haben sie doch alle so wie in Bayern schwer verloren – jeweils mehr als zehn Prozentpunkte. Was also jetzt? Die SPD mag zwar von einer Linkskoalition träumen – nur geben dem die Wähler keine Mehrheit. Und die auf der rechten Seite des politischen Spektrums rechnerisch mögliche Alternative mit FDP und AfD will die CDU keinesfalls – solange Angela Merkel dort das Sagen hat.

Das dramatische Wahlergebnis der Landtagswahlen von Hessen hängt in keiner Weise mit Hessen zusammen. Dort hat es kein einziges wirklich die Wähler bewegendes Landes-Thema gegeben. Das Ergebnis ist ausschließlich eine furchtbare Ohrfeige für die Berliner Koalition. Diese ist in Hinblick auf die Wählerunterstützung längst keine "große" mehr. Sie fällt schon eher eher unter Artenschutz.

Welch Unterschied zur fast gleichzeitig gewählten Wiener Rechtskoalition, die sich souverän hält und eher Wählerunterstützung dazu gewinnt! In Berlin stürzte die Koalition hingegen bei jeder Umfrage noch tiefer ab.

Vielleicht überdenkt man daher auch in der ÖVP noch einmal den sich abzeichnenden strategischen Fehler, mit einer Liste komplett nach Merkel-Art in die nächsten Wahlen zu gehen. Also in die zur EU. Will man wirklich sehenden Auges in die erste große Niederlage des Sebastian Kurz gehen? Denn mit dieser Liste wird es unmöglich sein, die Schuld nur auf einen Othmar Karas abzuwälzen. Man hätte ihn ja nicht aufstellen müssen.

Zurück nach Hessen. Dort wird es fast unmöglich, eine Zweiparteienkoalition zu machen. Fast keine Zweierformel hat im Sechsparteienparlament überhaupt die notwendige Mehrheit. Nach dem nunmehrigen Ergebnis der Auszählung gibt es für eine weitere schwarz-grüne Regierung eine hauchdünne Mandatsmehrheit. Mehrheiten mit nur einer Stimme sind aber eine vorprogrammierte Pannenserie, bei der man vor jeder Grippewelle bangen muss. Ein Regierungsauftrag sieht anders aus. Eine ebenso hauchdünne Mehrheit gäbe es für eine Koalition der beiden großen Verlierer, also CDU und SPD - aber das wäre nach diesem devastierenden Ergebnis wohl doch zu grotesk. Bei allem Wissen um die Politikersehnsucht nach der Macht.

Was ist die Alternative? Eine "Jamaika-Koalition", also Schwarz-Grün-Gelb? Gelb steht für die FDP, die bei fast allen Wahlen signifikant, wenn auch auf niedrigem Niveau dazugewinnt. Das wäre freilich nur eine Koalition für Menschen mit ganz schlechtem Gedächtnis: Denn im vergangenen Winter ist ja auf deutscher Bundesebene der Versuch, eine Jamaika-Koalition zu bilden, nach monatelangen Verhandlungen gescheitert. Die FDP hat klar gesagt: Mit den Grünen geht es einfach nicht.

Jetzt soll es in Hessen auf einmal doch gehen? Das müssen die Freidemokraten ihren Wählern erst einmal zu erklären versuchen. Haben sie doch in Hessen erneut einen deutlichen Zugewinn erzielt, obwohl alle Zeitungen sie im Vorjahr verflucht haben, weil sie nicht mit den Grünen in die Berliner Regierung gegangen ist. Das einzige Argument, das die FDP eventuell versuchen könnte: Sie könnte betonen, dass die Grünen in Hessen bürgerlicher sind und nicht so radikal links wie die Bundesgrünen. Ob es ihnen wer glaubt? Schaun wir mal.

Auf bundesdeutscher Ebene wird es in den nächsten Tagen jetzt wieder eine Krisensitzung nach der anderen geben. Es wird kräftig das Ergebnis "analysiert" werden, dann wird man schwören, man werde die notwendigen Lehren ziehen und alles besser machen. Und dann geht es so weiter wie bisher. Es können ja weder die Unionsparteien noch die Sozialdemokraten in ihrer gegenwärtigen Struktur ernsthaft an vorzeitige Neuwahlen denken.

Die einzige Hoffnung auf Veränderung liegt beim bevorstehenden Parteitag der CDU. Da drohen Merkel mit Sicherheit gewaltig viele Streichungen. Aber ihr ist zuzutrauen, dass sie dennoch bleibt, solange sie 51 Prozent bekommt. Vorerst ist jedenfalls noch völlig fraglich, ob sich irgendein Gegenkandidat aus der Deckung wagen wird, hat doch Merkel alle Schlüsselpositionen mit ihren Leuten besetzt. Und Alternativen, die sich aufdrängen, gibt es kaum.

Doch sollte man dennoch vorsichtig sein: Auch beim CDU/CSU-Fraktionsvorsitz ist völlig überraschend ein Gegenkandidat aus der Kulisse getreten und hat gegen Merkels Willen gewonnen. Das könnte auch beim Parteivorsitz passieren.

Ein Teil der Union kann sich jedenfalls über das Hessen-Ergebnis freuen: Die CSU. Sie hat zwar vor zwei Wochen in Bayern auch schwer verloren, aber sie hat noch immer einen deutlich höheren Wähleranteil als die Union sonstwo in Deutschland (CSU in Bayern 37 Prozent, CDU in Hessen 27 Prozent). Und sie hat auch nicht so einen hohen Prozentsatz der eigenen Wähler verloren: Die CSU hat 22 Prozent ihrer Wähler verloren, die Hessen-CDU hingegen 29 Prozent. Und vor allem weiß ganz Deutschland: Die Hessen-CDU ist ein braver Merkel-Gefolgstrupp, die Bayern-CSU das Gegenteil.

Also auch aus dieser Ergebnisanalyse heraus dürfte es nur eine Konsequenz geben: Merkel müsste abdanken. Noch nie ist in Deutschland ein Politiker so unbeliebt geworden.

Fast völlig verschwiegen wird von allen berichtenden Medien, dass der größte Zugewinn an Stimmprozenten von der AfD errungen worden ist (Plus 9,1 Prozent) und nicht von den Grünen (Plus 8,5). Auch wenn man CDU, AfD und FDP zusammenrechnet, gibt es keinen Linksruck für Rot-Rot-Grün, sondern eine weitere Rechtsbewegung – freilich ist die viel zaghafter als bei bisherigen deutschen Regionalwahlen.

Man kann sicher sein: Das wird so weitergehen. Die AfD wird gewinnen und gewinnen, ähnlich wie es der  FPÖ in Österreich ab den 80er Jahren geglückt ist. Sie wird gewinnen, bis entweder die CDU doch zu einer Koalition bereit ist, oder bis die CDU selbst eine totale Kursumkehr vornimmt, Merkel verabschiedet, und ähnlich wie Sebastian Kurz in Österreich einen konservativeren und immigrationskritischen Kurs einschlägt.

Aus österreichischer Perspektive bleibt noch der Blick auf die Grünen interessant, den zweiten Sieger hinter der AfD. Die deutschen Grünen schwimmen nämlich derzeit auf einer Erfolgswelle, die österreichischen haben sich in ihre Bestandteile aufgelöst. Woran liegt diese so unterschiedliche Entwicklung? Die bessere Umwelt-Hysterie ist es eher nicht. Der Unterschied hat wohl andere Ursachen:

  1. In Österreich hat sich die Affäre Glawischnig katastrophal ausgewirkt. Eine grüne Parteichefin, die zu einem Spielbankkonzern wechselt, ist selbst für viele städtische Bobos unverdaulich.
  2. In Österreich hat sich der Konflikt Pilz sehr negativ ausgewirkt. Parteispaltung, Intrigen, persönliche Affären sind Gift für einen Partei.
  3. Auch die üble Performance der Wiener Grünen wirkt sich österreichweit negativ aus: Wer sich wider eine parteiinterne Urabstimmung mit einem stadtbildzerstörenden Immobilienspekulanten ins Bett legt, sollte sich nicht wundern, wenn die Wähler davonlaufen.
  4. Die österreichischen Grünen haben weit und breit keine attraktiven Persönlichkeiten gefunden.
  5. Die deutschen Grünen haben sich eindeutig in die Mitte bewegt. Vor allem in Baden/Württemberg, Tübingen, Bayern und eben auch Hessen präsentieren sich die Grünen (ganz anders als in Berlin und im Norden) schon fast komplett verbürgerlicht. Sie äußern sich dort auch immer distanzierter zur Massenmigration.
  6. Am wichtigsten für den grünen Erfolg ist aber jeweils der Zustand der Sozialdemokraten. Wechseln doch die Wähler nach Belieben zwischen den beiden völlig verwechselbar gewordenen Parteien. Und da macht vor allem die SPD derzeit – zur Freude der Grünen – einen total chaotischen Eindruck. Sie wechselt ständig den Parteivorsitzenden, sie droht ständig mit Koalitionsbruch. Und doch wissen alle, dass sie sich das niemals trauen wird.
  7. Die SPÖ ist zwar mittlerweile ähnlich kaputt und orientierungslos wie die SPD. Sie wird fast täglich von einer neuen Panne und Affäre geplagt. Die jüngste blamiert den Exminister Drozda, der bei Ausscheiden aus der Regierung einfach ein Kunstwerk mitnahm. Dieses Verhalten fällt wohl eigentlich unter einen Strafrechtsparagraphen – aber natürlich nicht bei dieser Staatsanwaltschaft. Jedoch war bei der Parlamentswahl im Vorjahr der Zustand der SPÖ noch nicht so offenkundig. Deshalb haben damals viele linke Wähler SPÖ gewählt – in der Hoffnung, dieser damit zum Verbleib im Bundeskanzleramt verhelfen zu können.
  8. Wären die österreichischen Grünen imstande, dem Vorbild ihrer deutschen Brüder zu folgen – personell wie auch inhaltlich – dann hätten sie wohl ebenso gute Chancen, zur führenden Kraft im linken Lager zu werden. Immerhin haben sie ja einen Gutteil der Journalisten hinter sich.

Aber das ist deutlich leichter gesagt, als verwirklicht.

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