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Wie sakrosankt ist Herr Juncker eigentlich?

Das letzte gallische Dorf der Linken liegt in der Hofburg.

Man könnte es humoristisch nehmen: Alexander van der Bellen, der gelegentlich aus tiefem Schweigen erwachende Bundespräsident, hat uns nicht aufgefordert, aus Solidarität mit dem kritisierten EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker durch die Gegend zu torkeln. Vor einiger Zeit wollte er ja, dass die Österreicherinnen aus Solidarität mit den Kopftuchträgerinnen alle das Kopftuch anlegen. Nun denn. Das wenigstens nicht.

Dass er freilich die Kritik und Rücktrittsaufforderung eines freiheitlichen Mandatars wegen des sonderbaren Auftritts des Herrn Junckers beim vergangenen NATO-Gipfel gleich als "unflätig" und schädlich für Österreich brandmarkt, verwundert doch ein bisschen. Es hätte in letzter Zeit vielerlei Anlässe gegeben, wo ein mahnendes Wort aus der Hofburg gepasst hätte – aber ach, all die verbalen und mafios-symbolischen Entgleisungen hätten ja dem linken Lager eine Rüge eingebracht. Da verschanzte sich der letzte Linke in einer Staatsfunktion lieber in seiner Hofburg.

Die angekreidete Rücktrittsaufforderung an Juncker durch einen freiheitlichen EU-Abgeordneten ist jedenfalls in einer Demokratie in Ordnung – im Unterschied etwa zur Aufforderung eines Gewerkschafters, die österreichische Regierung zu stürzen.

Aber Van der Bellen ist halt ein echter Schweige-Präsident, wenn’s zum Wohl der eigenen Leute ist.

Das ist nun unser Problem. Mit Herrn Van der Bellen müssen wir leben. Und es entscheidet nicht über Wohl und Wehe unseres Landes.

Was es aber für die EU heißt, Juncker nicht mehr oder weniger sanft zu einem Rückzug zu überreden, ist da schon viel brisanter.

Wer das Video des kritisierten Auftritts gesehen hat (das Tagebuch veröffentlichte den Link zeitnah unter "Spannend"), weiß, dass das nichts mit einem Ischias-Anfall oder Rückenproblemen nach einem vor Jahren erlittenen Unfall (so die Erklärung des Juncker-Büros) zu tun hat: Wer kann noch ständig lächeln, wenn ihn Schmerzen so plagen, dass er sich nicht mehr auf seinen eigenen zwei Beinen halten kann?

Es war auch nicht der erste einschlägige Auftritt des Kommissionspräsidenten.

Dafür gibt es nur zwei Erklärungen: Alkoholmissbrauch oder eine neurodegenerative Erkrankung – auch Rita Hayworth wurde Alkoholismus nachgesagt, weil sie sich in Juncker-Manier bewegte, aber es war eine Alzheimer-Erkrankung. Beides aber wäre Grund genug, sich zurückzuziehen, wenn man wirklich am Wohl dieser Europäischen Union interessiert ist.

Ob er das wirklich je war, lässt sich bezweifeln.

Unter seiner Präsidentschaft haben die Briten für den Brexit gestimmt – und Juncker war auf Tauchstation, obwohl er, ohne sich in die Abstimmung einzumischen, Zeichen hätte setzen können, wenn es ihm um die Union gegangen wäre.

Unter seiner Präsidentschaft hat die Kommission den Kopf in den Sand gesteckt, als die Völkerwanderung über uns hereinbrach, und außer versuchter Zwangsquoten keine Strategien entwickelt.

Unter seiner Präsidentschaft hat sich die EU auf kein einziges nennenswertes Projekt einigen können, das den Bürgern den Sinn der Union näher gebracht hätte. Im Gegenteil, unter seiner Präsidentschaft wurde die endlich abgeschaffte Verordnung über die Gurkenkrümmung durch den zulässigen Bräunungsgrad von Pommes Frites ersetzt.

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Über diese Negativ-Bilanz werden die EU-Bürger im kommenden Mai aber ohnehin entscheiden können, und die christdemokratischen Parteien, deren Kandidat Juncker war, werden wohl die Zeche für diese ihre Fehlbesetzung zu zahlen haben.

Was den Bürgern in Europa und auch in Österreich aber anders als den US-Bürgern verwehrt bleibt, ist die Möglichkeit, über den Gesundheitszustand ihrer Regierenden offen informiert zu werden. Wir haben hierzulande unsere Erfahrungen damit gemacht, wie trotzig die Arbeitskraft beeinträchtigende Erkrankungen verschwiegen und verborgen werden – das war bei Alois Mock der Fall, bei Thomas Klestil und anderen. Im 21. Jahrhundert wäre es an der Zeit, auch in Europa offen über die Gesundheit von politischem Spitzenpersonal zu informieren.

Mit Juncker wäre ein guter Anfang zu machen. Denn es geht am Problem vorbei, wenn er selbst in Richtung seiner Kritiker sagt: "Auf Euren Kleinkram lach‘ ich". Eine derartige Reaktion ist nur traurig. Denn sie zeigt, für wie sakrosankt er sich hält. Das hat mit einem demokratischen Selbstverständnis absolut nichts zu tun.

 

 

 

 

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