Im Gehege des Verhetzungsparagraphen: Wie weit darf Kritik an einer grünen Politikerin gehen?

Wollte die rot-schwarze Vorgängerregierung bereits bloß "diskriminierende" Äußerungen unter Strafe stellen (siehe hier), so deutet das aktuelle Regierungsprogramm Kritik am Verhetzungsparagraphen an, wenn es eine systematische Erhebung der diesbezüglichen Rechtsprechung fordert. Wie dringend eine solche Erhebung wäre, zeigt ein jüngst ergangener Schuldspruch für Kritik an der Grün-Politikerin Ulrike Lunacek.

Ein Pensionist hatte auf Facebook gepostet: "Bei den Grünen ist eine hässlicher als die Andere, aber die Lesbe Lunacek stellt alles in den Schatten. Die sollte man in ein Gehege mit 100 affengeilen Flüchtlingen sperren." Er habe sich mit dem Posting auf eine Aussage bezogen, wonach Lunacek um Verständnis für die sexuellen Bedürfnisse von Flüchtlingen geworben haben soll, erklärte der Angeklagte vor Gericht, und dabei spontan an die Vergewaltigung einer jungen Frau auf einer Toilette am Praterstern gedacht. 

Für den zweiten geposteten Satz wurde er wegen "Verhetzung" verurteilt – offenbar nach jenem Passus des § 283 StGB, demzufolge es strafbar ist, unter anderem Flüchtlinge in einer Weise zu beschimpfen, "die geeignet ist, diese Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen". Hinsichtlich der subjektiven Tatseite bedarf es der Absicht, die Menschenwürde anderer zu verletzen. Eine Verletzung der Menschenwürde liegt laut Judikatur etwa dann vor, wenn Personengruppen mit Tieren gleichgesetzt werden.

Aber inwieweit hat der Angeklagte Flüchtlinge mit Tieren gleichgesetzt? Wenn er von "affengeilen" Flüchtlingen spricht, so hat der einer bundesdeutschen Jugendsprache entstammende Ausdruck "oberaffengeil" längst jeden bewussten Bezug zu Affen getilgt. (So denkt auch niemand, der sich "sauwohl" fühlt, an Schweine.) Es bleiben also nur "geile" Flüchtlinge. Die Metapher des Geheges lässt zwar an Tiere denken, doch ergeht im vorliegenden Zusammenhang keine Forderung, dass Flüchtlinge eingesperrt gehören, weil sie wie Tiere seien, sondern dass Ulrike Lunacek in eine Situation versetzt werden möge, der sie (so wie die junge Frau am Praterstern) nicht entkommen kann.

Hinzu kommt, dass "Flüchtlinge" erst seit 2016 den Schutz des Verhetzungsparagraphen genießen, handelt es sich hierbei doch um keine so eng umrissene Gruppe wie "Türken" oder "Afghanen". Je unbestimmter die Gruppe ist, desto massiver und pauschaler sollte eigentlich die Beschimpfung ausfallen müssen. Das Vorliegen einer pauschalen Beschimpfung ist hier jedoch keineswegs zwingend: Die Gruppe der "affengeilen Flüchtlinge" kann getrost eine Teilgruppe der Gruppe aller "Flüchtlinge" sein, sodass, wenn überhaupt, nur gegen diese Teilgruppe "gehetzt" wurde.

Regelmäßig unterstellen Gerichte allerdings, dass mit Formulierungen wie "kriminelle Türken" alle Türken gemeint seien und nicht bloß jene, die kriminell sind und nur beiläufig aus der Türkei stammen. Dabei hätte ein Gericht die Aufgabe, bei mehreren möglichen Interpretationen nicht per se die für den Angeklagten ungünstigste heranzuziehen! Zwar kann eine Teilgruppe als repräsentativ für die Gesamtgruppe genommen sein, doch fällt eine solche Unterstellung bei inhomogenen Großgruppen wie eben "Flüchtlingen" schwerer.

Vor allem aber geht die Kritik des Pensionisten an Ulrike Lunacek, und die Flüchtlinge sind nur Beiwerk und Anlass dieser Kritik. Eine regelrechte Absicht, Flüchtlinge zu beschimpfen, scheint in diesem Fall weit hergeholt. Es müsste dem Angeklagten geradezu darum gegangen sein, Flüchtlinge zu beschimpfen, doch die Beschimpfung gilt Ulrike Lunacek. Kritik an Politikern ist jedoch nach gefestigter Judikatur auch dann zulässig, wenn sie in harscher Form erfolgt. (Kurz gesagt: Ein Politiker muss mehr "aushalten" als ein Durchschnittsbürger.) Aus diesem Grund sollte auch der erste Satz des Postings keineswegs als strafbare Beleidigung durchgehen, denn es ist zulässig, eine Frau schön zu finden oder auch nicht.

Nimmt man all diese Überlegungen zusammen, kann der Eindruck entstehen, dass österreichische Gerichte neuerdings Verhetzung vorschieben, um Kritik an einer Politikerin und deren Positionierung zu unterbinden.

Wilfried Grießer, geboren 1973 in Wien, ist Philosoph und Buchautor.

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