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Die Midlife-Krise

Der überraschende Rücktritt des Matthias Strolz hat Aspekte, von denen die Außenwelt noch nichts mitbekommen hat. Es lässt sich eine ganze Reihe von klaren Zusammenhängen und Nicht-Zusammenhängen herausarbeiten.

Die spannendsten davon:

  1. Es gibt keinerlei Anzeichen, dass der Rücktritt des Neos-Chefs innerparteilich erzwungen worden wäre. Alle diesbezüglichen Gerüchte sind Nonsens – schon deshalb, weil es den Neos ohne Strolz ganz gewiss schlechter gehen wird. Was sie alle wissen. Die Nachfolgerin ist zwar hübscher, hat aber noch lange nicht die Ausstrahlung von Strolz. Und zeigt auch keine Ansätze, seine Fehler auszubessern.
  2. Es spricht alles dafür, dass der Neos-Gründer und -Chef von einer persönlichen Midlife-Crisis gepackt worden ist. Also von jenem Zustand, der vor allem Männer in der Mitte des Lebens erfasst, wo sie sich frustriert eines Tages fragen: "Das kann doch nicht alles gewesen sein?" und entweder Ehefrau oder Job fallenlassen, oder beides. Sie glauben irgendwie, hinter der nächsten Ecke würde eine noch viel spannendere Aufgabe oder eine noch viel großartigere Frau warten. Nur weil diese nett lächelt, nur weil man den Job hinter der Ecke nicht so kennt wie den bisherigen. Bei einem ungeduldigen Menschen wie Strolz ist eine solche Krise doppelt logisch.
  3. Eng damit verwandt und im Hinterkopf von Strolz zweifellos ebenfalls relevant ist das Gerede von der "Work-Life-Balance". Hinter dieser Phrase verbirgt sich immer Frustration oder Ärger im Job – obwohl es das in jedem Job gibt! – und der diffuse Wunsch, mehr Spaß, mehr Freizeit im Leben zu haben. Seit die meisten Menschen nicht mehr unbedingt für ihren Lebensunterhalt so viel arbeiten müssen, taucht diese Work-Life-Sehnsucht ständig auf.
  4. Seit einigen Wochen gibt es aber auch einen eindeutigen politischen Rücktrittsgrund, welcher der Öffentlichkeit jedoch nicht bewusst geworden ist: Die Neos sind nämlich durch die Ergebnisse der Landtagswahlen bundespolitisch irrelevant geworden, woran auch die Eroberung eines Landesrats in Salzburg nichts ändert. Denn die SPÖ hat (durch den Kärntner Erfolg) im Bundesrat die Blockade-Masse von einem Drittel erobert. Dort können jetzt keine Verfassungsgesetze mehr gegen den Willen der Sozialdemokraten durchgebracht werden, Zwar hat der Bundesrat nicht bei allen Verfassungsgesetzen ein Blockaderecht - aber sehr wohl bei allen, wo es auch um Rechte der Länder gehen würde. Das sind die meisten. Damit ist die seit Oktober aufgeflammte Hoffnung der Neos wieder zunichte gemacht, dass die Koalition sie brauchen würde, um die gemeinsam gegen Rot und Grün mögliche Verfassungsmehrheit im Nationalrat zur Wirksamkeit zu bringen, die es dort ja seit der Nationalratswahl gibt. Das bedeutet aber für Strolz weitere viereinhalb Jahre politisches Eunuchentum. Das ist naturgermäß zutiefst frustrierend.
  5. Dazu kommt ein weiterer sachpolitischer Frust: Strolz hat immer wieder zu spüren bekommen, dass Hans-Peter Haselsteiner, der weitaus wichtigste Financier der Partei, in allen entscheidenden strategischen Fragen auf dem letzten Wort beharrt. Das bedeutet aber: Die Neos werden nie eine Koalition mit der FPÖ eingehen dürfen. Da es sich mit der ÖVP alleine wohl nie ausgehen wird, heißt das, dass die Neos immer nur - also auch nach den nächsten Wahlen - Mehrheitsbringer für Rot-Grün sein können, sollte sich das endlich einmal ausgehen, nie jedoch für eine bürgerliche Mehrheit.
  6. Der Strolz-Rücktritt erinnert frappant an Eva Glawischnig. Die einstige grüne Chefin hat vor einem Jahr ähnlich überraschend alles hingeschmissen, obwohl sie das weder wegen innerparteilicher Rücktritts-Forderungen noch aus Altersgründen tun hätte müssen. Bei beiden hat der Rücktritt zweifellos mit den in den vorhergehenden Absätzen skizzierten Phänomenen "Midlife-Crisis" und "Work-Life-Balance" zu tun. Auf Strolz hat nicht einmal der berufliche Absturz von Glawischnig abschreckend gewirkt, obwohl diese nach ihrem freiwilligen Rücktritt nun bloß einen einst politisch wild bekämpften Glücksspielkonzern als Arbeitgeber gefunden hat. Strolz hat freilich bessere Job-Chancen als eine Ex-Grüne.
  7. Bei beiden war aber zweifellos auch der Dauerfrust eines ewigen Oppositionellen eine wichtige Rücktrittsursache. Beide wollten unbedingt mitgestalten, hatten aber keinerlei Möglichkeiten dazu. Da und dort Landes- beziehungsweise Stadträte sind noch keine Antwort auf die Existenzfrage einer Partei (und schon gar nicht, wenn man die Länder so hasst wie Strolz).
  8. Dass die Frustration ob der Ohnmacht einer Oppositionsrolle bei den Rücktritten eine ganz entscheidende Rolle spielt, kann man auch daran erkennen, dass bei Schwarz wie Rot die Chefs im Gegensatz zu Pink und Grün immer nur erzwungenermaßen abgetreten sind. Oder nach Wahlniederlagen schnell selbst aufgegeben haben, um nicht hinausgemobbt zu werden. 
  9. Strolz wird mit Sicherheit in nächster Zeit für viele Positionen ins Gespräch kommen, wo jemand gesucht wird, der weder ein aggressives Anti- noch Pro-Koalitionssignal bedeutet. Da kommt etwa die Leitung des ORF oder etlicher sonstiger Medienpositionen in Frage. Besser als etwa ein Wrabetz würde Strolz allemal arbeiten; und journalistische Erfahrung hatte der ja auch keine. Was natürlich nichts am Ceterum censeo ändert, dass der ORF-Gebührenzwang jedenfalls anachronistisch ist. Beim ORF ist überdies recht fraglich, ob die Koalition Strolz akzeptiert.
  10. Zwei Dinge haben Strolz in der Politik trotz seiner Intelligenz und rhetorischen Begabung sehr geschadet. Das eine war der ideologische Linkskurs der Neos, das andere sein Hang zur Esoterik, der vom Bäume-Umarmen bis zum Mitbringen kindlicher Glücksbringer bei der Rücktritts-Erklärung reichte. Beides könnte ihn auch in Zukunft behindern.
  11. Der Neos-Linkskurs war von Anfang an genuin. Hat sich doch die Partei zu je einem Drittel aus wirtschaftsliberalen ÖVP-Dissidenten, Gründissidenten und den Überresten des Liberalen Forums (einer Schmidt-Fischer-Haselsteiner-Gründung) zusammengesetzt. Das heißt: Die Neos waren von Beginn an zu zwei Dritteln gesellschaftspolitisch links geprägt. Das hat sich in den letzten Monaten noch deutlich verstärkt, als die Partei hoffte, sie könne aus der Implosion der Grünen Gewinn ziehen und diese beerben. Aus diesem Grund hat sich die Partei deutlich weiter nach links verschoben. Das klassisch (oder neo-)liberale Gedankengut war in der Folge überhaupt nur noch in ein paar Restelementen sichtbar. Was für ein Unterschied zur deutschen FDP! Diese war ja im Vorjahr zum Schluss gekommen, dass sich eine wirklich liberale Partei nicht einmal als Koalitionspartner mit den Grünen einlassen dürfe, geschweige denn sich als ideologischer Erbe der Grünen zu profilieren.
  12. Grüne wie Neos (wie die SPÖ) haben überdies auch den historischen Fehler begangen, die weitaus wichtigste politische Frage der letzten wie auch der nächsten Jahre zu übersehen, oder völlig falsch zu beantworten. Das sind Massenmigration und Islamisierung. Diesbezüglich sind in etlichen anderen Ländern sogar die Sozialdemokraten auf einem späten Weg zur Vernunft. Die Neos profilieren sich hingegen selbstbeschädigenderweise zunehmend als Pro-Migrations-Partei.
  13. Auch sonst hat Strolz die Neos in seltsame ideologische Ecken manövriert:
    • Etwa zu seinem Hauptsteckenpferd, dem Bildungskomplex, hat er zwar viele Worte abgesondert. Aber es ist nie auch nur annähernd wirklich klar geworden, was er da eigentlich genau will. Und dass Bildung wichtig ist, hätte die Nation auch ohne Strolz mitgekriegt.
    • Ähnlich unklar, aber mit dem gleichen manischen Fanatismus betrieben war sein Kampf gegen die "Fürsten der Finsternis", die Landeshauptleute. Letztlich bekam man dabei das Gefühl, dass ihn nur eines befriedigt hätte: eine Gesamtänderung der Verfassung zur Abschaffung der Bundesländer. Ein interessanter, aber weltfremder Gedanke. Und selbst wenn man – alle Bundesländer-freundlichen Umfragen ignorierend – dafür etliche Sympathie aufbringen könnte, ist die Föderalismus-Verfilzung doch maximal das fünftwichtigste Problem Österreichs.
  14. Für die Regierung bedeutet der Abgang von Strolz zweifellos eine positive Nachricht: Denn er war in den letzten Monate eindeutig der rhetorisch Beste unter den drei Oppositionsparteien. Damit sind jetzt alle drei Oppositionsparteien in einer veritablen Krise.
  15. Bei allen Fehlern des Matthias Strolz: Er war ein bunter, aber lebendiger Hund in dieser Republik, der nicht unsympathisch war, der einem in einem ohnehin recht armselig besetzten Parlament abgehen wird, und dessen Talente wohl besser zur Entfaltung gekommen wären, hätte er sie nicht für das Neos-Experiment vergeudet.

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