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Wieso keine Türkei-Sanktionen? - Europa zittert vor Angst

Die EU ist ungerecht, heuchlerisch und misst mit zweierlei Maß. Der knieweiche Umgang mit der Türkei zeigt das ganz besonders deutlich. Aber nicht nur dieser. Derzeit muss man sich wieder besonders oft zwingen, sich daran zu erinnern, dass der gemeinsame Binnenmarkt nach wie vor einen gewaltigen Wohlstands-Bonus für alle Europäer schafft und hoffentlich, hoffentlich nicht in den Abwärtsstrudel der sonstigen Dummheiten und Skandale gerät.

Am empörendsten ist derzeit zweifellos das Kapitel Türkei. Diese führt seit einigen Tagen einen großangelegten Angriffs- und Eroberungskrieg gegen syrisches Territorium. Es ist geradezu erbärmlich, wie knieweich der ganze Westen darauf reagiert. Und der Osten sowieso. Auch die USA zeigen sich derzeit ziemlich hilflos, wenngleich sie zumindest etwas kritischer dem türkischen Vorgehen gegenüber sind.

Wie jämmerlich insbesondere Europas Haltung ist, merkt man besonders, wenn man vergleicht: 2014 hat Russland zuerst die Krim und dann die Teile der Ostukraine besetzt und erobert (dass in der Ostukraine angeblich nur Freischärler kämpfen, ist ein blöder Schmäh, hätten sich doch diese dort keine Woche ohne russische Unterstützung halten können). Das ist zu Recht als schwerer Bruch des Völkerrechts und des Friedens angesehen worden, der auch sicher nicht durch die davor stattgefundene innerukrainische Revolution gerechtfertigt werden kann. Denn diese hat weder Russland bedroht noch eine humanitäre Katastrophe ausgelöst. Das aber wären die einzigen akzeptablen Rechtfertigungen für eine Intervention.

Warum, so muss sich die EU daher fragen lassen, gibt es nicht auch gegen die Türkei jetzt die gleichen Sanktionen, wie sie gegen Russland verhängt worden sind? Warum ist die Türkei sogar noch immer ein Kandidatenland für einen EU-Beitritt? Warum sind noch immer viele EU-Länder mit der Türkei im Nato-Bündnis vereint? Warum hat die Türkei sogar massive europäische – vor allem deutsche – Waffenlieferungen erhalten? Aus Dummheit oder etwa gar, weil man sich vor den Millionen schon in Europa lebenden Türken fürchtet?

Das, was sich jetzt in Nordsyrien abspielt, ist nicht bloß die 27. Etappe im fürchterlichen syrischen Bürgerkrieg. Das ist ein neuer negativer Qualitätssprung. Gewiss haben auch im bisherigen Bürgerkrieg schon ausländische Truppen mitgewirkt, iranische, russische, amerikanische. Aber sie alle haben NIE Gebiete erobert, um selbst dort zu bleiben. Sie haben sogar immer den Eindruck erwecken können, dass ihr Engagement primär dem Kampf den totalitaristischen Banden "Islamischen Staat" und "Al Kaida" gilt, die beide zahllose Länder mit Mord und Terror überzogen haben.

Beides ist bei der türkischen Invasion anders: Ankara will ein Teil des syrischen Territoriums erobern, zumindest in einen kolonialen Status verwandeln. Und die Türken bekämpfen nicht IS & Co, sondern haben sich im Gegenteil sogar mit Gruppen verbündet, die "Al Kaida" sehr, sehr nahestehen.

Aber droht nicht – so mögen einige Advokaten der Türkei argumentieren – in Syrien (und im Irak) die Ausrufung eines unabhängigen oder autonomen Kurdistan? Das mag sein – aber das ist eine innersyrische Frage. Präsident Assad war bisher erstaunlich desinteressiert an den Kurdengebieten. Und die innersyrischen Kurden-Diskussion gibt jedenfalls keiner ausländischen Macht das Recht zur militärischen Intervention. Das ist genauso wenig ein Kriegsgrund, wie es etwa einst in der Ukraine der Sturz des Präsidenten Janukowitsch einer war.

Die türkische Invasion ist sogar noch um eine Qualitätsstufe schlimmer. Während vermutlich auf der Krim eine Mehrheit der Bevölkerung nichts gegen den russischen Einmarsch gehabt haben dürfte (was freilich ohne ein faires Referendum bisher eine unbewiesene Annahme ist), gibt es in den vor der Eroberung stehenden syrischen Gebieten keine Türken, und niemanden, der die Türkei dort haben will.

Besonders schlimm ist die türkische Invasion für die nahöstlichen Christen, die seit Tagen verzweifelte – und bisher weitgehend überhörte! – Hilferufe nach Europa schicken. Diese Christen haben nach dem Schrecken der letzten Jahre in den kurdischen Gebieten (neben jenen unter Assad-Kontrolle) weitaus am sichersten überleben können. Jetzt sind sie auch dort bedroht und werden oft neuerlich vertrieben.

Absurd ist auch das türkische Argument, dass eine Selbständigkeit oder Autonomie der syrischen Kurden einen Einfluss auf die türkischen Kurden haben könnte. Das ist irrelevant, solange von Syrien aus keine militärische Aktion Richtung Türkei erfolgt. Die Kurden sind ja kein geborenes Sklavenvolk, das per definitionem immer und überall unterjocht werden muss, nur damit die türkischen Kurden keine Autonomie verlangen.

Noch ein Vergleich: Diese skurrile Argumentation zur Rechtfertigung des türkischen Einmarsches müsste etwa auch einen französischen Einmarsch in Spanien gut heißen, weil dort Basken mehr Autonomie oder Selbständigkeit verlangen, gibt es doch auch in Frankreich Basken. Ähnlich könnte Paris auch in Sachen Katalonien argumentieren und einen Krieg beginnen ...

Zurück zur  europäischen Nicht-Reaktion auf die türkische Invasion, die sich bisher darin erschöpft hat, "humanitären Zugang" zu den Gebieten zu verlangen. Ähnlich knieweich die Nato, deren Generalsekretär lediglich verlangt, die Türkei müsse "Augenmaß" bewahren; das Vorgehen müsse "verhältnismäßig und maßvoll" sein. Diese Formulierungen muss man sich in ihrer Grauslichkeit wirklich auf der Zunge zergehen lassen (und dann ausspucken). Eine "maßvolle" Invasion ...

Bis heute gibt es nirgendwo klare Töne zu hören, welche den Beginn eines neuen und vermutlich langen Krieges verurteilen. Geschweige denn Vorbereitungen für Sanktionen gegen die Türkei. Damit aber beginnen auch die Sanktionen gegen Russland – die ich bisher immer unterstützt habe – auf unglaubwürdigen Füßen zu stehen. Wenn die einen ungestraft wie bis ins 18. Jahrhundert wieder erobern dürfen, dann dürfen alle anderen auch.

Besonders enttäuschend ist auch das Schlafen der vielen linken oder angeblich christlichen "Friedens"-Initiativen. Diese sind ganz offensichtlich immer nur dann aktiv, wenn sie den Amerikanern einen angeblichen Friedensbruch vorwerfen können (obwohl diese seit vielen Generationen kein Land mehr für sich erobert haben).

Daher ist es auch recht peinlich, dass die erste Reise der neuen österreichischen Außenministerin in ein Nicht EU-Land ausgerechnet in die Türkei gegangen und mit den Tagen der Invasion zusammengefallen ist. Das heißt nicht, dass man die Türkei boykottieren soll. Gespräche sind immer gut. Aber dabei sollte ein so schwerwiegender Verstoß gegen Frieden und Völkerrecht auch immer klar angesprochen werden.

Es müsste ja eigentlich auch für Diplomaten durchschaubar sein, warum die Türkei nach Jahren der Beschimpfungen Europa gegenüber rhetorisch um 180 Grad kehrt gemacht hat und etwa seit einem Monat nette Gutwetterstimmung zu verbreiten versucht. Sie tut dies ganz offensichtlich, um sich den Rücken für den neuen Krieg freizuhalten. Und es hat funktioniert – und ganz besonders gegenüber Österreich. Dabei hat Österreich seit den Tagen Schüssel/Plassnik eine klare Linie in Sachen Türkei. Aber offenbar ist die neue Regierung froh, wenn ihre Außenministerin irgendwohin eingeladen wird, sodass sie auch zu einem solchen Zeitpunkt ohne Wort der Kritik in die Türkei gefahren ist.

Manche werden nun sagen: Sie hat doch dort erreicht, dass Österreich wieder in der antiken griechisch-kleinasiatischen Stadt Ephesos graben darf. Das ist aber in Wahrheit die nächste Chuzpe. Denn diese Grabungen sind ja eine aufwendige touristisch-wissenschaftliche Entwicklungshilfe der österreichischen Steuerzahler für die Türkei gewesen, die Ephesos in ein überaus attraktives touristisches Ziel verwandelt hat. Aber, statt dass die Türkei Österreich dafür regelmäßig herzlich danken würde, hat sie vor einiger Zeit als "Strafe" für irgendeine unbotmäßige Äußerung aus Österreich die Ausgrabungen der österreichischen Archäologen gestoppt.

Jetzt dürfen wir wieder graben und zahlen. Devotesten Dank.

Neben dem Großskandal Türkei gibt es auch in den letzten Tagen schon wieder eine Reihe anderer europäischer Entwicklungen, die die Begeisterung für die EU weiter reduzieren:

  1. Der EU-Gerichtshof hat geurteilt, dass bei der Überprüfung eines Asylantrags nicht die sexuelle Orientierung eines Antragstellers überprüft werden darf, etwa durch einen psychologischen Test. Selbst dann nicht, wenn sich der Antragsteller auf seine sexuelle Orientierung als Asylgrund beruft (diese Meldung war typischerweise in keinem einzigen österreichischen Medium zu finden).
  2. Ähnlich unbefriedigend ist das Vorgehen der EU gegen Polen. Nicht dass das in Ordnung wäre, was bei der polnischen Justizreform passiert. Aber es ist geradezu harmlos gegen das Ausmaß von Korruption der Justiz und politischer Beeinflussung, das in Rumänien und Bulgarien stattfindet. Dort aber interessieren Brüssel die Justizskandale nicht. Offensichtlich deshalb, weil dort vor allem die Sozialisten die Schuldigen sind.
  3. Ganze Bücher könnte man schreiben über die schweren Fehler im Umgang mit der Digitalisierung, bei der Europa heute schwer hinter den USA und Ostasien zurückliegt. Zwar steht in jedem politischen Programm ganz dick das Wort "Digitalisierung", aber im Grund versteht man in Brüssel wie in den Mitgliedsstaaten darunter immer einen Kampf GEGEN die Digitalisierung und ihre Folgen. Man versucht diese gefürchtete Entwicklung mit Unmengen an Regulierungen, an Datenschutzschikanen und steuerlichen Diskriminierungen einzudämmen. Diese Vorgangsweise erinnert daran, wie in Europa einst die Eisenbahn-Gewerkschaften vielerorts durchgesetzt haben, dass jahrelang auf E-Loks die Heizer der früheren Kohlelokomotiven mitfahren mussten. Und am Schluss wundert man sich, dass Europa immer weiter zurückfällt.
  4. Das EU-Parlament hat durchgesetzt, dass nach dem Ausscheiden der Briten die Zahl der Abgeordneten dort nicht etwa komplett um die Zahl der ausscheidenden Briten reduziert wird. Statt dessen sollen die verbleibenden Länder etliche zusätzliche Sitze bekommen.

Hirnlos ist ein Hilfszeitwort für vieles, was sich da abspielt.

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