Ägypten: Eine falsche „Fatwa“ und grundlegende Irrtümer

Gelegentlich – und nicht nur im Sommerloch – macht eine von irgendwem verkündete „Fatwa“ Schlagzeilen, weil ihr Inhalt besonders grotesk erscheint. Sei es wegen geforderter Verhaltensweisen oder gar einem „Todesurteil“, wie einst gegen den Schriftsteller Salman Rushdie.

Allerdings gibt es selbst unter Muslimen heftige Kontroversen beim Thema Fatwa. So etwa im August in Ägypten, als ein Imam Hashem Islam geplante Proteste gegen Präsident Mohammed Mursi als Abtrünnigkeit („ridda“) von Demokratie und Freiheit bezeichnete. Er rief die Ägypter auf, gegen die Protestierer vorzugehen und diesen, wenn sie Gewalt anwenden sollten, mit Gewalt zu antworten. Wer selbst dabei ums Leben komme, gelange ins Paradies. Umgekehrt sei man nicht für den Tod von Gegnern verantwortlich und daher auch nicht zur Zahlung von Blutgeld an deren Familien verpflichtet.

Prompt regte sich massiver Widerspruch. Besagter Imam berief sich zwar auf die Al-Azhar Universität, aber das Religionsministerium sprach ihm jede Berechtigung im Zusammenhang mit Al-Azhar ab, und selbst die Muslim-Bruderschaft wies die Fatwa zurück. Trotzdem kam es zu Blutvergießen.

Doch was ist eigentlich eine Fatwa? Sie ist eine bloß unverbindliche Rechtsmeinung, die meist auf Anfrage von einem dazu befugten Rechtsgelehrten, einem „Mufti“, erstellt wird – was täglich hunderte Male vorkommt. Imam war zwar in der Frühgeschichte des Islam ein Ehrentitel für herausragende Rechtsgelehrte, ist dies heute aber nur noch bei den Schiiten (etwa Ayatollah Chomeini). Bei den Sunniten hingegen ist Imam bloß der Vorbeter in der Moschee. Wenn er, wie im obigen Fall, zwar in Al-Azhar studiert hat, ist er damit noch lange kein Mufti, und seine „Fatwa“ widersprach gleich mehrfach den Bedingungen.

Denn Mufti wird man nur nach einer strengen Ausbildung in islamischem Recht und einem Training für dessen Anwendung in Gegenwartsfragen. Eine eigene Wissenschaft ist dabei das Regelwerk zur Erstellung einer Fatwa („adab al-fatwa“). Der Mufti darf sich nicht durch Parteilichkeit oder eigene Neigungen leiten lassen und er muss auch die wahrscheinlichen Folgen bedenken. Die Fatwa muss eindeutig begründet und formuliert sein, um Missverständnisse auszuschließen. Ihre allfällige Durchsetzung steht aber keinem Mufti und nicht einmal Al-Azhar zu, sondern einzig den staatlichen Instanzen.

Soweit die schöne Theorie. Praktisch allerdings hängt das „Gewicht“ einer an sich unverbindlichen Fatwa von dem Maß an Autorität ab, das man deren Verkünder zubilligt. Und ein fachlich ungebildetes, autoritätshöriges Publikum vertraut eben auch Halbgebildeten oder gar Scharlatanen und lässt sich von diesen verhetzen. Wie sich gerade wieder an den Reaktionen auf einen zweifellos infamen und kategorisch abzulehnenden Film zeigt – und wie es ja auch im aufgeklärten Abendland vorkommt, selbst bei manchen naturwissenschaftlichen Themen…

Dr. Richard G. Kerschhofer lebt als freier Publizist in Wien.

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