Piefke meldet sich ab

Österreich proklamiert „Kampf um die Deutschen" – Die Zugehörigkeit zur EU schuf neue  Rahmenbedingungen für das Zusammenleben der einstigen Rivalen – Lob und Tadel für den Nachbarn im Spiegel der Umfrageforschung

Die Geschichte Deutschlands und Österreichs ist gekennzeichnet von enger kultureller Verflechtung, aber auch von wechselhaften Phasen politischer oder militärischer Partnerschaft mit existenzbedrohender Rivalität. Mittlerweile hat die Zugehörigkeit der beiden sprachverwandten Wohlstandsländer zur EU ganz neue Rahmenbedingungen für das Zusammenleben geschaffen.

Das Hegemoniestreben von einst hat seine Sinnhaftigkeit verloren und wurde von der gemeinsamen  Suche nach Synergien innerhalb der europäischen Gemeinschaft unter vorwiegend wirtschaftspolitischen Überlegungen abgelöst. Was zählt, sind Harmonien und Nutzerwartungen, die sich über einen weiten Bogen von Hoffnungen spannen. Dass dabei das Interesse der  Österreicher an den Deutschen besonders deutliche Abdrücke hinterlässt, ist angesichts der unterschiedlichen Potentiale beider Länder nicht weiter verwunderlich.

Bezeichnend für die österreichische Perspektive ist ein vom Wiener Wirtschaftsministerium eingeleiteter Strategieprozess mit dem Ziel, die reichen Deutschen nicht nur als Touristen, sondern auch als potentielle Investoren und Wirtschaftspartner für die Alpenrepublik zu begeistern. Die  führenden Medien des Landes proklamierten die Aktion als „Kampf um die Deutschen".

Ganz allgemein hält man es in Wien für dringlich, dem eigenen Land ein neues, zeitgemäßeres Erscheinungsbild zu verpassen, das nicht mehr von Lippizanern und Heurigenseligkeit geprägt ist, sondern moderne Züge aufweist und Österreich als eine Wirtschaftsnation mit entsprechender Infrastruktur, hohem Qualitätsniveau der Arbeitskräfte, Weltoffenheit und Innovationskapazität ausweist. Das Kennwort dafür heißt „Nation Branding".

Wie sieht unter all diesen Umständen das Bild aus, das speziell Deutsche und Österreicher einerseits vom jeweils anderen Land und andererseits von sich selbst besitzen? Die IMAS-Institute in München und Linz haben in gleichlautenden Repräsentativbefragungen Antworten darauf gesucht und sind auf bemerkenswerte Sachverhalte gestoßen.

Piefke ist Vergangenheit

Generalisierend lässt sich feststellen, dass die Bewohner der beiden deutschsprachigen Nachbarstaaten einander mit weit überwiegender Sympathie begegnen. Rund drei Viertel der Deutschen haben eine grundsätzlich gute Meinung von den Österreichern, etwa drei Fünftel der Österreicher mögen umgekehrt die Deutschen. Die Abneigung gegenüber der jeweils anderen Bevölkerung beläuft sich in der Bundesrepublik auf rund ein Neuntel, in Österreich auf rund ein Viertel der Bewohner.

Dass die Österreicher eine vergleichsweise distanziertere Haltung zu den Nachbarn beziehen, hängt vermutlich weniger mit historischen Ressentiments, als mit dem Gefühl zusammen, das Angehörige kleiner Länder ganz allgemein im Schatten großer Staaten verspüren. Anzeichen von tief empfundener Abneigung zwischen Österreichern und Deutschen sind statistisch jedenfalls kaum wahrnehmbar: Eine uneingeschränkt schlechte Meinung von den Bewohnern des Nachbarlandes wurde vom IMAS in Österreich bei lediglich vier, in der Bundesrepublik sogar nur bei zwei Prozent der Erwachsenen registriert.

Was Österreich betrifft, symbolisiert der preußische Militärmusiker Gottfried Piefke nicht länger den ungeliebten Typus des schnoddrigen, schnarrenden und arroganten Deutschen. Piefke hat sich abgemeldet und taucht allenfalls noch in der kabarettistischen Kleinkunst auf.

Erstaunlich konform reagierten die repräsentativ ausgewählten Deutschen und Österreicher auf die Frage, ob sie sich vorstellen könnten, für längere Zeit im Nachbarland zu leben oder zu arbeiten. Da wie dort antwortete jeder Dritte vorbehaltlos mit Ja, da wie dort wurde ein solcher Transfer von deutlich mehr als der Hälfte der Bevölkerung ausgeschlossen.

Die Bereitschaft, sich dauerhaft im Nachbarstaat niederzulassen, korreliert bei näherer Betrachtung auffallend stark mit der sozialen Schicht. Als Faustregel kann gelten, dass sowohl in Deutschland als auch in Österreich jeweils knapp zwei Fünftel der sozial- und wirtschaftlich leistungsfähigsten Schichten bereit wären, ihren Beruf im jeweils anderen Land auszuüben. Dieser Bereitschaft kommt angesichts des zunehmenden Mangels an Fachkräften eine erhebliche Bedeutung zu.

Das Vorstellungsbild der Deutschen von Österreich

Im Zentrum des Forschungsinteresses lag die Frage nach den „pictures in our heads", also den gefühlsmäßigen Vorstellungen, die Deutsche und Österreicher voneinander haben.

Was die Bundesbürger in massivster Weise Österreich zuordnen, sind die  Merkmale „Schöne Landschaft", „Urlaubsland", „Gute Küche, gutes Essen", „intakte Umwelt, gesunde Natur", „sympathische Bevölkerung" sowie „Fröhlichkeit, Humor und Lebensfreude". Kein Zweifel: Es ist die Beschreibung einer relativ heilen Welt, bewohnt von liebenswürdigen Genießern, die es sich gut gehen lassen und es  im Grunde nicht übermäßig eilig haben: Nur 28 Prozent der Deutschen bescheinigen den Österreichern Leistungsbereitschaft und Fleiß, nur jeder Vierte attestiert ihnen einen modernen Lebensstil, lediglich jeder fünfte Deutsche vermutet in Österreich gute Schulen und Universitäten, gar nur jeder achte lobt an der Alpenrepublik eine starke Industrie und Wirtschaft.

Kritisiert werden von den Deutschen an Österreich am ehesten die vermeintlich hohen Preise. Nur ganz wenige Bewohner der Bundesrepublik nehmen hingegen Anstoß an einem Übermaß an Zuwanderern, großen sozialen Unterschieden, Kriminalität oder Korruption.

Die Deutschen über Deutschland

Fundamental anders, als es ihrem Bild von Österreich entspricht, sind die Vorzüge, die die Deutschen dem eigenen Land zuordnen. Lediglich in der Wertschätzung einer ebenfalls schönen Landschaft und guten Küche bestehen Überschneidungen. Was die Deutschen an der Bundesrepublik ungleich stärker hervorheben als an Österreich sind die Kennzeichen „Starke Industrie", „Leistungsbereitschaft, Fleiß", „moderner Lebensstil" sowie „gute Schulen und Universitäten".

Ungeachtet  dieses sehr dynamisch und modern wirkenden Selbstporträts verweisen relativ wenige Bundesbürger auf einen hohen Wohlstand ihres Landes oder auf eine durch Fröhlichkeit und Humor gekennzeichnete Gesellschaft. Ähnlich schwach ist die Überzeugung der Deutschen, in einer intakten Umwelt und gesunden Natur zu leben. Ausdrücklich und in extremer Weise kritisiert wird von ihnen am eigenen Land ein Übermaß an Zuwanderern, eine große Kluft zwischen Arm und Reich, zu hohe Lebenshaltungskosten sowie zu viel Kriminalität.

Die Perspektiven der Österreicher

Das Eigen- und Fremdbild der Österreicher ist in wesentlichen Punkten spiegelverkehrt zu dem der Deutschen. Was in ihrer Betrachtung der nördlichen Nachbarn ins Auge sticht, ist Bewunderung. Demgemäß besteht das Lob der Österreicher für Deutschland in ungemein massiven Hinweisen auf die Merkmale „Starke Industrie und Wirtschaft" sowie „Leistungsbereitschaft und Fleiß". Deutlicher als es umgekehrt der Fall ist, imponieren den Österreichern an den Deutschen überdies „moderner Lebensstil" und „gute Berufsmöglichkeiten". Vergleichsweise selten entdecken die Bewohner der Alpenrepublik an ihren Nachbarn die gewissermaßen epikuräischen Kennzeichen „Fröhlichkeit, Humor, Lebensfreude", „gute Küche", oder auch die Ettiketierung als „Urlaubsland".

Kritisiert wird von den Österreichern an Deutschland hauptsächlich ein vermeintliches Übermaß an Zuwanderern (Ausländern) und eine als hoch empfundene Kriminalität.

Charakteristisch für die Einschätzung Österreichs durch die eigene Bevölkerung ist ein generell sehr starkes Heimatbewusstsein, das sich in außerordentlich hoch dotierten Hinweisen auf „schöne Landschaft", „Urlaubsland", „gute Küche, gutes Essen", „Kultur", „Sicherheit, Ordnung", „Fröhlichkeit und Lebensfreude" ausdrückt. Nahezu parallel zu diesen Wesenselementen von Gemütlichkeit bescheinigen sich die Österreicher aber auch ein Maß an Leistungsbereitschaft und Fleiß, das in seiner statistischen Ausprägung nur geringfügig unter dem Selbstbild der Deutschen liegt.

Auch in der Überzeugung von guten Berufsmöglichkeiten, Wohlstand oder sozialen Rechten der Arbeitnehmer gibt es zwischen  beiden Nationen keine nennenswerten Unterschiede. Bemerkenswert ähnlich ist nicht zuletzt der große Ärger beider Nachbarn über zu viele Zuwanderer und zu hohe Lebenshaltungskosten.

Nicht zu übersehen sind allerdings zwei Schwachstellen im Selbstverständnis Österreichs, die sich nachteilig auf die innere Entwicklung des Landes auswirken können: Zum einen ist es die unbefriedigend geringe Überzeugung, über eine starke Industrie und Wirtschaft zu verfügen und zum anderen eine erschreckende Gegenwartsnähe von Korruption als Folge einer Kette von Skandalen im öffentlichen Leben.

Andreas Kirschhofer-Bozenhardt war langjähriger Leiter des renommierten Meinungsforschungsinstituts Imas; von Imas stammen auch die analysierten Daten.

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)
Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print



© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung