Die Gemeinwohl-Falle

Wie ein Lauffeuer entflammen Globalisierungskritik und Antikapitalismus heute unsere Gesellschaft – nicht weniger radikal als in den 1920ern. Das braucht niemand zu verwundern: Über 50 Jahre hinweg hatte Europa seinen Bürgern jede Wirtschaftsbildung verweigert. Dieses gefährliche Vakuum füllen heute die Kinder dieser (Nicht-)Politik – mit ihren „neuen“ Ideen aus alten Zeiten.

Wer in Europa heute über Wirtschaft spricht, hat nur ausnahmsweise schon einmal im Wirtschaftsunterricht gesessen. Die meisten Globalisierungskritiker haben (wie schon damals Marx) alle den gleichen Bildungshorizont: Zuerst Gymnasium (keimfrei von wirtschaftlichem Hausverstand gehalten) – und dann geisteswissenschaftlicher (Flower Power-)Fächermix.

Marx war Philosoph, Ziegler Soziologe und Philologe, ATTAC-Chef Felber gar gelernter Tänzer. Wer heute aber nie professionell erklärt bekommen hat, wie Wirtschaft funktioniert, der reimt sie sich durch Verschwörungstheorien zusammen: Durch die (angedeutete) Verschwörung des Kapitals, die der Spekulanten und die der Großkonzerne (die die Weltherrschaft anstreben).

Die geschürte Abstiegsangst

Europas Mainstream bedient sich heute altbewährter Mittel: Er schürt soziale Abstiegsangst. Angeblich würde die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer werden, die Armut würde steigen und nur einige Wenige würden auf Kosten aller profitieren. Liest man aber die (unbehandelten) Primärdaten selber, stellt sich gern das Gegenteil heraus.

So sank etwa die Quote der Armutsgefährdeten nach offiziellem EU-Armutsbericht von 14% (1993) bis auf 12% (2011). Bei Österreichern sind es überhaupt nur 10%. Und selbst auf die 10 % kommt man nur, wenn man vierköpfige Familien mit weniger als 2.165 Euro netto monatlich mitzählt. Und selbst dann sind die 10% noch zu viel: Denn darin sind auch die enthalten, die auch nur einmal einen einzigen Monat unter die 2.165 Euro gerutscht waren. Dauerhaft gefährdet sind nur 6%.

Wirklich arm waren in Österreich in den letzten 30 Jahren immer zwischen 3 und 4% der hier Lebenden – im EU-Deutsch nennt man sie „manifest depriviert“. Doch im Gegensatz zu früher besitzen sie heute Farbfernseher, Waschmaschine und Telefon.

Christian Felber: „Drehen an den Zahlen“

Die Grundaussage aller Globalisierungskritiker ist klar: Globalisierung und Kapitalismus machen (fast) alle ärmer – und die Welt schlechter. Um diese „hohen“ ideologischen Zielvorgaben zu erfüllen, steht man unter permanentem Druck, die Erfolge der beiden letztgenannten Bösewichte mathematisch kleinzurechnen.

So beklagte Christian Felber 2008, das durchschnittliche Weltwirtschaftswachstum der 90er Jahre wäre wegen Kapitalismus und Globalisierung nur bei 1,1% gelegen (die fetten 2000er Jahre hatte er gleich gar nicht angeführt). Je liberalisierter die Weltwirtschaft, desto niedriger sei ihr Wachstum (2007). Die offiziellen Zahlen des IWF kommen allerdings zu einem dreimal so starken Wachstum wie Herr Felber – alleine 1999 lag es bei fast 5%. Und die hohen Reallohnsteigerungen von über 10% gibt es in Indien oder China erst, seit man Märkte und Wirtschaft liberalisiert hat.

Jean Zieglers falsche Zahlen

Jean Ziegler behauptet, die Länder der Dritten Welt hätten 54 Milliarden Euro an Entwicklungshilfegeldern erhalten, während sie im gleichen Zeitraum 436 Milliarden für Kredite geleistet hätten. Die Zahl von 436 Milliarden Euro gibt es zwar – doch betraf sie die Zahlungen von Ländern wie Polen, China oder Russland. Und die hatten keinen einzigen Cent Entwicklungshilfe bekommen.

Den 18 ärmsten Ländern hingegen sind die Schulden hingegen sogar erlassen worden – 2000 um 47%, fünf Jahre später um den Rest. Die meisten afrikanischen Länder erhalten heute durchschnittlich 40% ihrer jährlichen Budgets vom „Norden“ geschenkt. So finanziert (im Sinne permanenter Geldgeschenke) die BRD in Kenia 96 Ministerien – kommt selber aber schon mit 16 aus.

AK-Irrtum: ATX- Manager bekommen nicht das 48fache ihrer Mitarbeiter

Kaum eine Woche vergeht, in der nicht eine „auf Untergang und Ungerechtigkeit“ getrimmte Meldung die AK verlässt– und ohne Prüfung oder gar Kritik den Weg in Österreichs Medienlandschaft findet. So behauptete die Arbeiterkammer Wien im Jahr 2008, Österreichs Vorstände würden das 48fache der Österreicher verdienen, während sie die Löhne der eigenen Mitarbeiter um 5% gesenkt hätten. Dabei vergleicht die AK die Konzern-Vorstandseinkommen aber nicht mit Konzern-Löhnen, sondern mit einem nebulos definierten „österreichischen Durchschnittsgehalt“, das vor allem niedrige Handwerkerlöhne beinhalten dürfte. Konzernangestellte verdienen auch schon mal das Doppelte.

Und die 5%ige Lohnsenkung resultiert alleine aus den Wechselkursverlusten der Ostwährungen im Zuge der Finanzkrise 2007/2008. Beim Umrechnen der Gehälter ihrer osteuropäischen Angestellten in Euro waren diese plötzlich insgesamt um 5% weniger wert, die Lohnsummen österreichischer Bilanzen schrumpften damit entsprechend. Die Andeutung, Österreichs Führungskräfte würden die Löhne ihrer Angestellten kürzen, während sie ihre eigenen Rekordgagen weiter erhöhten ist nicht nur falsch und manipulativ, sie stachelt eine ganze Gesellschaft zu Wutbürgern auf.

Das (fair gerechnete) Verhältnis österreichischer Vorstände zu österreichischen Mitarbeitern liegt bei etwa 1 zu 11.

Gemeinwohl-Ökonomie konkret durchgedacht

Die Vertreter einer politischen „Gemeinwohl-Ökonomie“ schwärmen von der Neuigkeit ihrer Ansätze. Blickt man aber in die jüngere Geschichte, dann muss man nicht erst auf Lenins „Neue ökonomische Politik“ zurückgreifen, um ein „Deja-vu“ zu haben.

So hatte Indien bis 1991 einen „Dritten Weg“ verfolgt, der dem Felbers mehr als ähnlich war. Dort hatte man Konzerne verstaatlicht, vom neoliberalen Weltmarkt war man abgeschottet, „Profite“ duldete man nur bei Genossenschaften oder kleinen Handwerkern – und auch nur, solange sie sich keine Maschinen leisten konnten. Patente wurden nicht geschützt – wie Felber dachte man, Erfinder würden „aus purer Lust am Forschen und ganz ohne Absicht auf Profit“ das Land technologisch nach vorne bringen. Außerdem würde man durch Patentschutz andere von der Produktion ausschließen.

1991 stand das Land dann vor der Pleite, 40% der Armen weltweit lebten in Indien. Stichwort „Mutter Teresa“.

In Österreich würde der Umbau zu einer „demokratischen Gemeinwohl-Ökonomie“ zur Verstaatlichung der letzten freien Medien und aller größeren Unternehmen führen – die Aktionäre würden enteignet, die Sparvermögen zwangsweise umgeleitet werden. Firmen wie SPAR und BILLA würden zwangsweise verstaatlicht und in Genossenschaften umgewandelt werden.

Felbers Angst vor dem Monopol-Kapitalismus

Karl Marx verbalisierte als erster die Angst vor unkontrolliert wachsenden Konzernen. Doch gibt es von allen Firmen, die zu Zeiten Marx´ am Kurszettel der Londoner Börse gestanden hatten, keine nennenswerte überlebende mehr – geschweige denn, dass diese die Welt kontrollieren würde.

Menschen, die die Ängste anderer Menschen (etwa vor dem unkontrollierten Wachstum der Konzerne) schüren, haben selber Angst. Und dagegen hilft nur Bildung. Wirtschaftsbildung.

Von den 15 weltgrößten Konzernen aus dem Jahre 1970 sind heute nur mehr drei unter den „Top 15“. Viele Firmen gingen Pleite (Stichwort „GM“ oder „LTV“), manche wurden übernommen („Chrysler“), viele waren aber nur langsamer gewachsen als das BIP der restlichen Welt – und so verloren sie an Bedeutung.

Was ist zu tun?

Dass das Klima wärmer und der Meeresspiegel höher wird, ist tragisch – aber es ist „beherrschbar“. Geht Europas Jugend aber wieder Populisten auf den Leim, werden „zwei Grad mehr“ noch unser kleinstes Problem sein. Europa braucht Bildung – und vor allem Wirtschaftsbildung! Im Gymnasium muss schleunigst BWL eingeführt und von echten Wirtschaftsakademikern unterrichtet werden. In mindestens vier Jahrgängen mit mindestens zwei Wochenstunden. Religion hat in acht Jahrgängen die gleiche Wochenstundenzahl – hier schult man Österreichs Jugend aber eher im Sinne Felbers oder Zieglers.

Wer wie Marx und Ziegler oder Felber nie in einer Firma war, geschweige denn in leitender Position, der stellt sich das fremde Wesen Wirtschaft so vor, wie er es einst im Gymnasium gehört hat – dort unterrichtet von ehemaligen Gymnasiasten, die vor ihrem Studium nur ausnahmsweise in der Wirtschaft gewesen waren. Deshalb müssen wir unsere Wirtschaft in die Schulen holen! In Form von Vorträgen und als Praktikum im Sommer. Wer schon einmal dort gearbeitet hat, der hat vielleicht bemerkt, dass dort nicht ausschließlich Menschenfresser werken.

Österreich muss schnellstens pluralistische Medienstrukturen aufbauen. Dazu soll die Ausbildung von Betriebswirten zu Wirtschaftsjournalisten dienen. Österreichs staatliche Fernseh- und Radiokanäle sind zu demokratisieren; das kann die Privatisierung bedeuten – aber in jedem Fall die Vorgabe, mindestens ein Viertel der politisch wertenden Berichte aus konservativer oder wirtschaftsliberaler Sicht darzustellen.

Wenn es Europa nicht schleunigst gelingt, seine Jugend bildungspolitisch im 19. Jahrhundert abzuholen, dann braucht es sich nicht zu wundern, wenn uns „neue Wirtschaftsmodelle“ wieder dorthin zurückführen wollen!

Der Betriebswirt und Wirtschaftspädagoge MMag. Michael Hörl hat 2011 Europas erstes „Globalisierungskritik-kritisches“ Buch veröffentlicht: „Die Finanzkrise und die Gier der kleinen Leute“. 2012 folgt jetzt sein Fortsetzungsbuch „Die Gemeinwohl-Falle – Wie man mit Halb- und Unwahrheiten eine Gesellschaft aufwiegelt“.
Es hat 432 Seiten und 120 Bilder und Tabellen und wird in Österreich von Morawa vertrieben.

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