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Renaturieren Sie, Herr Bürgermeister!

Der Wiener Bürgermeister Ludwig zieht plötzlich seine frühere Zustimmung zur einstimmigen Ablehnung einer EU-Renaturierungsverordnung durch alle Bundesländer wieder zurück. Das setzt ganz Österreich in Aufregung. Was heißt das? Juristisch höchstwahrscheinlich gar nichts; politisch bedeutet es hingegen eine ganze Menge; und in der Sache gibt es jedenfalls eine Reihe von Dingen, die das Land Wien in Sachen Renaturierung tun könnte, ohne auf eine EU-Verordnung zu warten – würde sie ihren Meinungswandel ernst nehmen.

Der Reihe nach:

Die rechtliche Seite

Da ist die Lage eindeutig:

  1. In der Bundesverfassung heißt es: "Haben die Länder eine einheitliche Stellungnahme zu einem Vorhaben erstattet, das Angelegenheiten betrifft, in denen die Gesetzgebung Landessache ist, so darf der Bund bei Verhandlungen und Abstimmungen in der Europäischen Union nur aus zwingenden integrations- und außenpolitischen Gründen von dieser Stellungnahme abweichen."
  2. Naturschutz ist eindeutig Landessache.
  3. Die Bundesländer haben eine solche "einheitliche", also einstimmige, Stellungnahme gegen die in der EU diskutierten Renaturierungsverordnung abgegeben.
  4. Daher darf kein Minister einer solchen Verordnung zustimmen, auch die sich sonst so gerne über Gesetze hinwegsetzende Umweltministerin nicht.
  5. Denn die "zwingenden integrations- und außenpolitischen Gründe", die einzig ein nachträgliches Abgehen von dieser Stellungnahme der Bundesländer erlauben würden, müssten ressortmäßig der Außenminister oder die Europaministerin ins Spiel bringen. Was beide nicht getan haben.
  6. Ganz abgesehen davon, dass Beschlüsse der Bundesregierung eigentlich nur einstimmig gültig sind.
  7. Und ganz abgesehen davon, dass der ebenfalls für Teile der Materie zuständige Landwirtschaftsminister ebenso wie die Länder gegen diese Verordnung ist.

Was ändert sich aber nun an der Rechtslage, da der Wiener Landeshauptmann und offenbar auch der Kärntner plötzlich die Zustimmung zur "einheitlichen Stellungnahme" wieder zurückziehen und nun doch für die Renaturierungsverordnung sind??

Gar nichts. Dieser Rückzug ist hundertprozentig irrelevant.

Ein Gesetz wird ja auch nicht ungültig, wenn lange nach der Parlamentsabstimmung einmal einer oder mehrere Abgeordnete sagen, dass sie jetzt eigentlich doch gegen dieses Gesetz seien. Ebenso verlieren Urteile eines Richtersenats nicht nachträglich ihre rechtliche Wirkung, wenn ein oder mehrere Richter nachträglich ihre Meinung ändern. Auch bei Entscheidungen irgendeiner Jury ist das nicht möglich.

Nicht einmal der linkslastige Verfassungsgerichtshof kann nach Menschenermessen daran denken, das spätere Zurückziehen der Zustimmung zu einem gefallenen Beschluss durch jemanden, der früher dafürgestimmt hat, ausgerechnet bei den Landeshauptleuten für relevant zu erklären.

Die ÖVP könnte freilich überdies über die bisher skizzierten Fakten hinaus etwas Zusätzliches machen, um es der Frau Gewessler endgültig unmöglich zu machen, im EU-Umweltministerrat, wo Gewessler als Vertreterin Österreichs sitzt, einen Alleingang in Sachen Renaturierungsverordnung zu unternehmen. Die ÖVP müsste nur den Hauptausschuss des Nationalrats um einen entsprechenden Beschluss bitten. Wenn eine grüne Ministerin die Koalitionsdisziplin zu brechen beabsichtigt, dann kann das die ÖVP ebenso durch einen solchen Hauptausschuss-Beschluss.

Im Parlament wäre es dann fast undenkbar, dass außer Rot und Grün noch irgendeine andere Partei Frau Gewessler freie Bahn geben würde. Allein die Stimmen der Blauen würden der ÖVP reichen, dass die (von den Freiheitlichen plakatierte) Stopptaste betätigt wird. Damit wäre es ihr sogar noch durch eine zweite verfassungsrechtliche Schiene verboten, dem Verordnungsentwurf zuzustimmen.

Die politische Bedeutung

Auf EU-Ebene bedeutet der Versuch, eine solche gravierende Verordnung wenige Tage vor der EU-Wahl durchzupeitschen, ganz klar: Die linke Mehrheit in der EU will noch schnell ihre Anliegen durchbringen, bevor es diese Mehrheit nicht mehr gibt. Wobei inhaltlich in den letzten Jahren ganz klar die Grünen den EU-Ton angegeben haben.

Haargenau das Gleiche ist in Hinblick auf Österreich zu konstatieren. Denn diese Koalition ist ohnedies schon tot. Und der Wahltag fixiert. Das sind Zeiten, wo ein Koalitionsvertrag zunehmend unbedeutend wird.

Und in Hinblick auf die Zeit danach herrscht bei den Grünen eine gewisse Torschlusspanik. Denn es ist ja sehr unwahrscheinlich, dass sie weiterhin in der Regierung sitzen werden. Das war schon vor dem Fall Schilling unwahrscheinlich gewesen. Und das dürfte es jetzt noch viel mehr sein.

Es sei denn, es gibt am Wahlabend wider alle (vor und nach der Schilling-Peinlichkeit gemachte) Umfragen doch eine linke Regierungsmehrheit.

Politisch fällt freilich auf, dass zumindest von SPÖ-Seite alles getan wird, um einer solchen Mehrheit die Wege offenzuhalten. Anders ist der Umfaller des Wiener Bürgermeisters ja kaum zu erklären, der plötzlich für eine solche EU-Verordnung ist, die er zuvor abgelehnt hat – es sei denn, er widerspricht sich lieber selber, wenn er nur glaubt, die Koalition auseinanderdividieren zu können. In das gleiche Schema rot-grüner Freundschaft fällt das seltsame Auftreten eines Wiener SPÖ-Funktionärs, der auf Grund eines einzigen Gesprächs glaubt, Schilling ein Leumundszeugnis ausstellen zu können, und zu wissen behauptet, dass sie eh nicht vorhabe, nach der Wahl auf der grünen Liste in die kommunistische Fraktion zu wechseln.

Dabei fällt aber auch auf, dass zwar Kärnten auf SPÖ-Pfiff gemeinsam mit Wien Kehrt-Um zu machen versucht (wenn auch anscheinend nicht sehr begeistert), dass aber das dritte SPÖ-regierte Bundesland, das Burgenland – fast muss man sagen: erwartungsgemäß – nicht bei diesem peinlichen SPÖ-Richtungswechsel mitmacht. Das einzige Ziel der Babler-SPÖ ist es ja ganz offensichtlich, die ohnedies gewaltige Kluft zwischen Schwarz und Grün noch mehr zu vertiefen. Die Burgenländer hingegen sind mittlerweile so weit weg von der SPÖ-Linie, dass eine Linksregierung lustig zu werden verspricht. Denn selbst, wenn die Linksparteien (überraschenderweise) eine Mehrheit schaffen sollten, wird diese mit Gewissheit so knapp sein, dass sie auch von den burgenländischen SPÖ-Abgeordneten abhängig ist. Diese wären dann de facto vierte – oder fünfte – Partei, mit der sich alle anderen zusammenstreiten müssen.

Dabei zeigt sich schon in Deutschland, dass schon drei linke Parteien extrem schwer zusammenzuhalten sind. Dabei agieren in der österreichischen Linken noch viel mehr unterschiedliche Gruppierungen, zwischen denen es noch weniger Gemeinsamkeiten gibt als zwischen den drei Parteien der deutschen Linkskoalition.

Innerösterreichisch fällt auf, wie sehr der ORF jedes Mal zu marschieren beginnt, wenn Rot und/oder Grün für etwas zu kämpfen versuchen. Ob es höhere oder neue Steuern sind, ob es um die Verteidigung der illegalen Immigration geht, ob es um die Schwulen- und Trans-Lobby geht oder um angebliche Beiträge zur Planetenrettung.

Renaturierung in der Sache

Wenn dem Wiener Bürgermeister wirklich an der Renaturierung, an der Rückverwandlung regulierter Flussläufe in weitläufige Auen, Sümpfe und Nebenarme gelegen ist, dann könnte er ja eigentlich in Wien längst damit anfangen. In keinem anderen Bundesland ist in den letzten 200 Jahren so viel in eine absolut andere Richtung gegangen wie in Wien.

Hinter meinem Schreibtisch hängt eine Landkarte von Wien aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wo zwischen dem Donauarm, der heute Donaukanal heißt, und Stadlau ein breites Au-Gebiet voller mäandrierender Donauarme und dazwischenliegender Wälder und Auen liegt. Dieses beginnt vor Heiligenstadt und reicht weit über Albern hinaus und ist weit größer als das ganze damals verbaute Stadtgebiet Wiens. Würde Michael Ludwig ehrlich aus Begeisterung für Renaturierung handeln und nicht nur bösartig, dann würde die Wiener Stadtverwaltung diesen Zustand ganz von alleine wiederherzustellen beginnen.

Ebenso könnte Wien die zahllosen Bäche, die aus dem Wienerwald ins Stadtgebiet fließen, wieder aus ihren unterirdischen Kanälen befreien und ihnen wie früher ein lustiges Bachleben ermöglichen. Wie romantisch und planetenrettend wäre das doch alles! Mindestens ein, wenn nicht zwei Zehntausendstel eines Temperaturgrades würde das die Welttemperatur vielleicht senken.

Damit könnte die Gemeinde Wien sofort beginnen, ganz ohne auf EU-Verordnungen zu warten. Sie müsste nur ein paar Dutzend Milliarden Euro Schulden machen (blöd nur, dass sie keine eigene Sparkasse mehr hat, die ihr das Geld verschaffen würde) und ein paar Hunderttausend Menschen umsiedeln.

Wie? Das gehe doch nicht? Aber auf Kosten der anderen Bundesländer sollen solche irren Beschlüsse gehen?

Das ist haargenau jene Politik, die der Burgenländer Doskozil den Wiener Linksaußen-Genossen schon vor kurzem in anderem Zusammenhang in aller Deutlichkeit vorgeworfen hat. Die Wiener haben sich ja auch bei der Aufnahme der illegalen Massenmigranten als die Guten mit edler Haltung profilieren wollen; inzwischen aber rufen sie nach der Hilfe der anderen Bundesländer, um der verfehlten Rathauspolitik zu helfen, ihr die Migranten abzunehmen. Ganz ähnlich trickreich stellt man sich im Wiener Rathaus offenbar auch die Renaturierung vor: Sie sind die Guten, und die anderen sollen (drauf)zahlen.

Dadurch könnte die SPÖ es in der Tat schaffen, den Grünen ein paar Dutzend Stimmen von Straßenklebern und biedermeierlichen Naturromantikern abzunehmen, die die Stadt Wien in die Zeit der Schubert-Lieder zurückverwandeln und am Brunnen vor dem Tore wandern wollen.

Die Kleinigkeit, dass die SPÖ dann gleichzeitig fast alle ihre bisherigen Wähler verlieren wird, muss man für so ein hehres Ziel schon in Kauf nehmen.

Alle anderen, die auf die irrwitzigen Kosten einer künstlich hergestellten Naturromantik hinweisen, beschimpft man einfach als böse neoliberale Pfennigfuchser, die es nicht verstehen wollen, wenn nach der gewaltigen Donauregulierung des 19. Jahrhunderts, die in Wien einst das Überschwemmungsgebiet geschaffen hat, und nach dem noch teureren Bau von Donauinsel und Entlastungsgerinne (an dessen Kosten beziehungsweise an den dafür aufgenommenen Schulden wir jetzt noch zahlen …) im 20. Jahrhundert, nun im 21. Jahrhundert zum dritten Mal um noch größere Kosten die gesamte Wiener Fluss-Szenerie umgebaut wird.

Die spinnen, die Wiener, hätte da Freund Asterix gesagt.

Anmerkung für jene, die nicht genau wissen, was eine EU-Verordnung bedeutet: Während in Österreich eine Verordnung eine der Verfassung und allen Gesetzen untergeordnete Sache ist, stehen Verordnungen in der EU an der Spitze der Rechtsakte. Sie werden unmittelbar in allen Ländern wirksam und stehen auch über der österreichischen Verfassung. Sie haben also totalitär-absolutistische Züge; sie tragen massiv zur weiteren Entmachtung der Nationalstaaten bei; und sie sind das absolute Gegenteil zu den so oft in Sonntagsreden beschworenen Prinzipien Subsidiarität, Deregulierung und Entbürokratisierung.

Noch schlimmer ist, dass in der EU-Verordnung nirgendwo steht, welch gewaltige Summen die Umsetzung der Renaturierungsverordnung kosten würde. Während bei jedem österreichischen Gesetz eine diesbezügliche Folgenabschätzung vorgeschrieben ist, sind den EU-Gesetzgebern die Kosten völlig wurscht. Die fallen ja eh nur in den Mitgliedsländern an …

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