Eine Diversion bringt Österreich auf den Weg zur Bananenrepublik

In einer Demokratie ist es legitim, für oder gegen die jeweils gerade im Amt befindliche Regierung zu sein. Von niemandem wird daher verlangt, die von 2017 bis 2019 amtierende Bundesregierung unter Kurz/Strache gut zu finden. Die Frage ist aber, welche Methoden zulässig sind, um eine missliebige Regierung zu stürzen. Der normale Weg zu diesem Ziel führt über seriöse parlamentarische Oppositionsarbeit, die bessere sachpolitische Alternativen aufzeigt. Macht sich aber die Regierung krimineller Machenschaften schuldig, so ist es natürlich legitim, diese Machenschaften aufzudecken und dabei auch investigativjournalistische Methoden zu verwenden. Dies gilt auch dann, wenn man von Berufs wegen gar nicht Journalist ist – denn der Beruf des Journalisten ist einer der ganz wenigen Broterwerbe, für den man keine Ausbildung, kein Diplom und keinen Gewerbeschein braucht.

Die Ibiza-Affäre, die zum Rücktritt des Vizekanzlers Strache und zum Sturz des ersten Kabinetts Kurz geführt hat, war allerdings, den gegenläufigen Behauptungen der Protagonisten zum Trotz, kein Journalismus: die Täter haben überhaupt nichts aufgedeckt, was sie nicht selbst inszeniert haben. Stattdessen haben Sie versucht, die beiden FPÖ-Politiker Strache und Gudenus zu einer kriminellen Handlung (oder zumindest zur Verabredung eines entsprechenden Tatplans) zu verleiten und sie dabei gefilmt, um das solcherart hergestellte Material dann gegen sie zu verwenden.

Ermittlungstechnisch war die Aktion ein Fehlschlag: die beiden Politiker hatten zu Beginn des verhängnisvollen Besuchs in der Finca der vermeintlichen Oligarchennichte keine wie auch immer gearteten eigenen Tatpläne, die im Laufe des Abends aufgedeckt worden wären; trotz zahlreicher einschlägiger Geschäftsanbahnungsvorschläge, die nicht von ihnen ausgingen, sondern ihnen im Verlauf eines mehr als siebenstündigen Trinkgelages von den selbsternannten "Investigativjournalisten" unterbreitet wurden, haben sie dort nichts gesagt oder getan, das strafrechtlich gegen sie verwertbar gewesen wäre. Trotzdem wurde das politische Ziel der Aktion erreicht: Der Ruf der beiden Politiker war ruiniert, sie verloren Ämter und Macht, und die verhasste türkis-blaue Regierung stürzte.

Die politische Kultur in Österreich liegt, wie man spätestens seit der Waldheim-Affäre im Jahr 1986, den von interessierten Kreisen im Inland orchestrierten EU-Sanktionen im Jahr 2000 und der Silberstein-Affäre im Jahr 2017 weiß, sehr im Argen – aber mit dem Ibiza-Komplott ist das schon bisher niedrige Niveau der politischen Auseinandersetzung noch einmal unterschritten worden. Man hätte in dieser Situation auch ein mahnendes Wort des Staatsoberhaupts erwartet – doch es kam nicht.

Und so besteht bis heute der äußerst unangenehme Eindruck, dass der Bundespräsident, der ja irgendwann zu Wahlkampfzeiten "der Präsident aller Österreicher" sein wollte, sein Amt entweder nicht mit der gebotenen Sorgfalt oder aber in höchst parteipolitischer Weise ausübt. Angesichts seines dröhnenden Schweigens fragt es sich nur, ob er gegen solche Aktionen zur Herstellung von "Kompromat", wie man sie sonst eigentlich nur vom KGB kennt, überhaupt keine Einwände hat oder ob er sie selektiv dann für zulässig hält, wenn dadurch das Interesse jener politischen Gruppierung gefördert wird, der er selbst entstammt.

Dass von den im linken Spektrum verorteten Parteien nichts als Beifallgejohle kommen würde, war hingegen zu erwarten: sie stehen unter keiner selbstauferlegten Neutralitätspflicht und sind schließlich auch sonst nicht dafür bekannt, sich um gute Sitten im politischen Alltagsbetrieb allzu große Sorgen zu machen.

  • Wollen wir wirklich, dass Kompromat und Agents provocateurs zum gängigen Repertoire der Innenpolitik werden?
  • Erwarten wir uns allen Ernstes, dass Politiker aus anderen Parteien als der FPÖ eine bessere Figur machen werden, wenn man sie in eine vergleichbare Falle lockt, ihnen reichlich Alkohol (und vielleicht noch andere Substanzen) verabreicht und dann sieben Stunden lang filmt, während man sie mit suggestiven Vorschlägen zu korrupten Projekten animiert?
  • Welcher österreichische Politiker wird, wenn man ihm anbietet, dass die reichweitenstärkste Boulevardzeitung des Landes konsistent die öffentliche Meinung zu seinen Gunsten beeinflussen wird, keine Gedanken darüber machen, welche (natürlich legalen) Gunsterweise er dem Eigentümer der Zeitung als Gegenleistung erbringen könnte?
  • Sind bis auf Strache und Gudenus alle Politiker für solche Gedankenspiele unzugänglich?
  • Werden wir von lauter Unbestechlichen regiert?

Für die beiden Opfer der Ibiza-Affäre habe ich zwar keine spezielle persönliche Wertschätzung, aber ich halte (mit wenigen lobenswerten Ausnahmen) das restliche politische Personal, gleichviel welcher Couleur, auch nicht für besser. Am wenigsten jene, die sich in den verschiedenen parlamentarischen Untersuchungsausschüssen als oberste Korruptionsjäger gerieren.

Die gestern erfolgte Einstellung des Strafverfahrens gegen den am Ibiza-Komplott beteiligten Rechtsanwalts Ramin M. im Wege der Diversion ist im Grunde eine Einladung, es ihm gleichzutun. Für einen Angehörigen seines Berufsstands ist eine "freiwillige Geldbuße" von 15.000 Euro leicht verschmerzbar; auch gibt es in Österreichs linker Reichshälfte genügend Leute, in deren Augen der politische Zweck jedes Mittel heiligt, weshalb dieser Betrag im Wege des Crowdfunding schnell eingesammelt werden kann. Mit anderen Worten: Der im Nebenberuf "investigativjournalistisch" tätige Rechtsanwalt muss zur Begleichung dieses Betrags wohl nicht einmal in die Portokasse greifen.

Der dem Ex-Vizekanzler vom Gericht zugesprochene "symbolische Entschädigungsbetrag" von 500 Euro wirkt demgegenüber wie ein kalter Hohn einer politisierten Justiz gegen ein Verbrechensopfer; einen Ausdruck tätiger Reue oder einen angemessenen Tatausgleich kann man darin beim besten Willen nicht erblicken.

Darf man Herrn Strache als Verbrechensopfer, Herrn Mirfakhrai mithin einen Verbrecher nennen? Formal ist kein Schuldspruch und keine Verurteilung erfolgt. Immerhin ist aber davon auszugehen, dass nach Ansicht des Gerichts (und wohl auch des Beschuldigten selbst) die Wahrscheinlickeit einer Verurteilung hoch war – denn dies ist eine der Voraussetzungen der Diversion.

Im Übrigen stellt sich aber die Frage, ob hier nicht das Instrument der Diversion falsch eingesetzt wurde. Ursprünglich stammt es aus dem Jugendstrafrecht, war also dazu gedacht, einem unbesonnenen Jugendlichen, der über die Stränge geschlagen hat und mit dem Strafrecht in Konflikt gekommen ist, eine allerletzte Chance zu geben, damit er nicht durch einen Eintrag im Strafregister oder einen Gefängnisaufenthalt in einen Teufelskreis gerät, aus dem er sich nicht mehr befreien kann. Später wurde diese Möglichkeit auf das Erwachsenenstrafrecht ausgedehnt.

Herr Mirfakhrai ist aber kein unbesonnener Jugendlicher, und es besteht auch sonst kein Grund, ihn – wenn er sich denn tatsächlich der ihm vorgeworfenern Tat schuldig gemacht hat, was aber unstrittig scheint – mit solch ungewöhnlicher Milde zu behandeln. Im Gegenteil: Er ist Rechtsanwalt, gehört also einem Berufsstand an, der in besonderer Weise für die Rechtskultur in diesem Land verantwortlich ist. Von ihm wird sowohl eine besonders gute Kenntnis des Rechts als auch eine besondere Rechtstreue erwartet.

Hinzu kommt, dass er das Vertrauen, das man in Vertreter seines Berufsstands setzt, in besonders gröblicher Weise verletzt hat: Er hat sich bei Gudenus unter dem Vorwand eingeführt, eine Kaufinteressentin für einen forstwirtschaftlichen Grundbesitz, den Gudenus verkaufen wollte, zu vertreten. Somit war er zwar nicht von Gudenus selbst beauftragt worden, war ihm aber doch jene Loyalität schuldig, die man von einem Rechtsanwalt in einer derartigen Geschäftsanbahnungssituation erwarten darf.

Muss jetzt jeder, der in Österreich im Rahmen eines solchen Immobiliengeschäfts mit einem Rechtsanwalt zu tun bekommt, mit solchen Dingen rechnen, wie sie Gudenus mit Herrn Mirfakhrai erlebt hat? Dem Vertrauen in den Berufsstand ist die heutige Entscheidung bestimmt nicht dienlich, und man kann jetzt nur hoffen (darf aber wohl nicht erwarten), dass die Anwaltschaft die Kraft zur Selbstreinigung findet.

Zu den Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Diversion zählt, dass eine Bestrafung von Beschuldigten "nicht geboten erscheint, um den Beschuldigten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken". Diese Bedingung ist hier mit Sicherheit nicht erfüllt. Stattdessen weiß man jetzt, dass der mit Hilfe von "Kompromat" herbeigeführte Regierungswechsel ein Preisschild trägt, auf dem der Betrag von 15.000 Euro zu lesen ist. Zukünftige Kompromat-Produzenten werden diesen Betrag in ihr Gesamtbudget einplanen.

Ist Österreich noch ein Rechtsstaat? Nach dieser Entscheidung muss man diese Frage wohl mit Nachdruck verneinen. Denn sie beschädigt zugleich das Ansehen der (immer stärker als parteipolitisch motiviert erscheinenden) Justiz wie auch – falls es zu keinen standesrechtlichen Maßnahmen kommt – jenes des gesamten Anwaltsstandes.

Wir sind auf dem besten Weg in eine Bananenrepublik, wenn nicht bereits dort angekommen. Aber dafür sind wir wenigstens die türkis-blaue Regierung los, die Grünen sind an der Macht und diesem hehren Zweck hat sich wohl alles andere unterzuordnen.

Dr. Jakob Cornides ist Beamter der Europäischen Kommission, Generaldirektion für Außenhandel. Dieser Beitrag gibt die Privatmeinung des Autors wieder und ist der Institution, für die er arbeitet, in keiner Weise zurechenbar.

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