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Gegenwind für gleich vier Parteichefs

Der österreichischen Innenpolitik der letzten Wochen kann man viel nachsagen – aber gewiss nicht, langweilig zu sein. Vom überraschenden Nehammer-Besuch in Moskau über die ständigen - aber letztlich fast immer ergebnislosen Strafverfahren, die ständig von Oppositionspolitikern angestrengt werden, toben in fast allen Parteien auch innerparteiliche Turbulenzen. Dennoch werden sie sich alle am 1. Mai selbst feiern. Neben der Politik sind auch die Staatsanwälte in ein schiefes Licht geraten. Kein Wunder, dass das Land voller Neuwahlgerüchte ist - aber genau wegen dieser vielfachen Parteienkrise und wegen der zunehmenden Desorientierung und Wanderlust vieler Wähler wird es wohl keine Neuwahlen geben.

Nach dem überraschenden Rücktritt von Sebastian Kurz wegen heftiger Vorwürfe dieser Staatsanwälte, nach einem kurzen Zwischenspiel von Außenminister Alexander Schallenberg steht  mit dem bisherigen Innenminister Karl Nehammer ja schon der dritte Bundeskanzler binnen kurzem an der Spitze.

"Tapfer" ist wohl das Adjektiv, das einem zum ehemaligen Offizier Nehammer am ehesten einfällt. Er muss derzeit recht hilflos zusehen, wie sich alle anderen Parteien mit Lust auf seine Volkspartei stürzen, um ihr Wähleranteile abzujagen. Die unter Kurz so erfolgsverwöhnte ÖVP liegt erstmals bei einigen Umfragen wieder hinter der SPÖ. Freilich nicht, weil diese zugelegt hätte, sondern weil die ÖVP schlagartig die unter Kurz dazugewonnenen zehn Prozentpunkte verloren hat.

Dabei kann man Nehammer nicht nachsagen, dass er für einen anderen Kurs als Kurz eintreten würde. Aber ihm fehlt die persönliche Ausstrahlung seines Vorgängers. Zugleich leidet die ÖVP unter den Anschuldigungen gegen Kurz. Dieser soll im Parlament falsch ausgesagt und davon gewusst haben, dass – noch vor seiner Kanzlerschaft – ein um seine Gunst buhlender Spitzenbeamter eine Meinungsumfrage, mit der er glaubte, Kurz zu helfen, über eine Scheinrechnung falsch abgerechnet hat. Die Beweise gegen Kurz selber sind zwar weiterhin sehr dünn. Aber die WKStA-Staatsanwälte, die ganz eindeutig politisch motivert sind, gehen dennoch sehr entschlossen gegen ihn und fast die gesamte ÖVP vor. Daher sind als Ergebnis viele Wähler vorerst verunsichert: Vielleicht ist ja doch etwas an den Vorwürfen dran. Auch wenn ein Verfahren der WKStA nach dem anderen scheitert.

Gleichzeitig muss sich Nehammer immer noch dem Kampf gegen die Corona-Pandemie widmen, ohne dass er damit irgendwie punkten könnte, wie es am Anfang der Pandemie Kurz als entschlossener Anti-Corona-Kämpfer noch gekonnt hatte. Denn die einen – vor allem die SPÖ – haben es lange als grob fahrlässig kritisiert, dass die Regierung Nehammer etliche Maßnahmen gelockert hat. Die anderen – vor allem die FPÖ – sind hingegen empört, dass seit 1. Februar eine generelle Impfpflicht besteht – freilich nur auf dem Papier.

Zwischen diesen beiden Mühlsteinen wird die Regierung derzeit erdrückt. Vor allem, weil es ihr schon lange nicht mehr geglückt ist, andere Themen als Corona zu besetzen. Auch die Moskau-Reise von Karl Nehammer hinterließ keinen bleibenden Eindruck staatsmännischer Qualitäten.

Interessant ist der neue Finanzminister Magnus Brunner. Er fällt durch seine Kompetenz und ruhige (Vorarlberger) Art auf. Er hat auch das Glück – obwohl das eigentlich auf Vorgänger Gernot Blümel zurückgeht –, dass das für 2021 veranschlagte Budgetdefizit weit geringer ausgefallen ist. Blümel hatte aber gehen müssen, weil er der engste Freund von Kurz ist und dementsprechend von den Kurz-Feinden in der Staatsanwaltschaft ebenfalls unter Beschuss genommen wird.

Ins Innenministerium ist statt Nehammer mit Gerhard Karner ein langgedienter ÖVP-Mann eingerückt, der sofort unter heftige Opposition-Attacken gekommen ist. Viel mehr Kopfschütteln löst aber bis heute die Ablöse von Heinz Faßmann als Bildungsminister aus. Wäre er doch gerne geblieben. Und war er doch nach Kurz der beliebteste Minister. Sein Nachfolger Martin Polaschek hat überdies die Bürde zu tragen, dass ganz Österreich überzeugt ist, dass er nur deshalb Minister geworden ist, weil die ÖVP-Steiermark darauf bestanden hat, einen ihrer Leute in der Bundesregierung zu haben. Er wirkt verkrampft, aber in keiner Weise souverän.

Der grüne Koalitionspartner kann sich freilich über die Probleme der ÖVP nicht wirklich freuen. Ist doch ein geheimer Koalitionsvertrag aufgetaucht, der den Grünen zwar viele wichtige Posten zusichert – vor allem skandalöserweise beide von Österreich vorzuschlagenden Richter in den europäischen Gerichtshöfen – aber auch die Zusage, dass die ÖVP ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen erlassen kann. Dieses Verbot wie das Geheimhalten der Vereinbarung kommt bei der grünen Basis gar nicht gut an. Das bescherte Vizekanzler Kogler erstmals heftigen parteiinternen Gegenwind, den er aber inzwischen überwunden zu haben scheint.

Noch härter sind die Zeiten für SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner – trotz des relativen Lichtblicks in den Umfragen. In Vorarlberg und Oberösterreich geht es in den Landesorganisationen wie bei einer Wirtshausrauferei zu. Und der SPÖ-Landeshauptmann des Burgenlandes, Hans Peter Doskozil, gibt Rendi täglich zu verstehen, dass sie ihrem Job nicht gewachsen sei. Doskozil ist vor allem – im Gegensatz zu Rendi-Wagner – ein fast ebenso harter Gegner der illegalen Immigration wie ÖVP und FPÖ. 

Auch Herbert Kickl an der Spitze der FPÖ kann nicht sonderlich jubeln. Sind doch viele FPÖ-Exponenten insgeheim entsetzt: Kickl hat die alten FPÖ-Themen weitgehend entsorgt und sich ganz auf eine radikale Ablehnung aller Corona-Maßnahmen und insbesondere des Impfens konzentriert. Das hat die FPÖ – nach der Ibiza-Strache-Krise – zwar bei den Umfragen stabilisiert. Zugleich hört man trotz der Ukraine-Invasion aus der FPÖ immer wieder extrem schockierende russlandfreundliche Äußerungen. Beides hat sie aber in tiefe Isolation gestürzt. Denn jetzt will absolut keine andere Partei mehr irgendwie mit der FPÖ kooperieren. Und auch etliche FPÖ-Köpfe sind auf totaler innerer Distanz zum Corona-Kurs Kickls. Die Aussicht auf ewige Opposition ist aber für die meisten Freiheitlichen nicht gerade erfreulich. Andererseits glaubt Kickl keine Alternative zu haben, seit eine ganz neue radikale Anti-Impf-Partei bei Regionalwahlen erstaunlich punkten konnte. Und seit alle anderen politischen Kräfte sich als klar russlandkritisch positioniert haben.

Angesichts dieser Zustände in den vier größten Parteien scheint nur eines wahrscheinlich: dass es nicht bald Neuwahlen geben wird. Auch wenn ständig davon geredet wird.

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