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Juristisch-politische Zwischenbilanz eines Megaskandals

Jenes Delikt, das aus den wahrscheinlich wieder einmal widerrechtlich öffentlich gemachten Faktensammlungen der Staatsanwaltschaft als fast einziges klar hervorgeht, ist die Abrechnung von staatlichen Ausgaben über Scheinrechnungen, also über Rechnungen, auf denen andere Leistungen stehen als jene, die eigentlich honoriert werden. Zweitens geht es darum, ob das Finanzministerium Meinungsforschung zu Dingen beauftragt hat, die nicht zu seinem Bereich gehören, was eventuell auch rechtswidrig sein könnte. Drittens geht es darum, dass Umfrageergebnisse gezielt an ein Medium weitergegeben worden sind – worin keinerlei Rechtswidrigkeit liegt. Am meisten berichtet wird aber medial über zwei andere Vorwürfe: Dass ein Meinungsforschungsinstitut nach den Behauptungen des hemmungslosen Karrieristen Thomas Schmid Forschungsergebnisse manipuliert habe. Und dass sich oe24 in seiner Berichterstattung und Kommentierung kaufen habe lassen. Überhaupt nicht beachtet wird von Medien und Staatsanwaltschaft (aus klar erkennbaren Gründen) die Rolle der Gemeinde Wien im Bereich Bestechungsinserate, obwohl diese alles weit in den Schatten stellt, was da Sebastian Kurz beziehungsweise seinen Freunden vorgeworfen wird. Bedauerlicherweise nur von der ÖVP thematisiert wird schließlich die überaus dubiose Rolle dieser Korruptionsstaatsanwaltschaft und des sie voll deckenden Justizministeriums. Hingegen befassen sich alle rund um die Uhr mit der Person des Sebastian Kurz. Und vergessen ganz die peinlichen Lächerlichkeiten, die da der Bundespräsident zuetzt von sich gegeben hat.

All diese Dinge sind bei einer objektiven Bewertung auseinanderzuhalten.

Erstens: Die Ausstellung von Scheinrechnungen ist eindeutig ein strafrechtliches Delikt und wird daher zu Recht verfolgt, auch wenn sie im wirtschaftlichen Leben leider durchaus häufig passiert. Dafür, dass das auch im aktuellen Fall passiert ist, finden sich zumindest in dem von der Staatsanwaltschaft an die Öffentlichkeit gespielten Nachrichten-Austausch zwischen Thomas Schmid und einem Meinungsforschungsinstitut starke Beweise (nehmen wir einmal an, dass die WKStA nicht auch noch bei ihren rechtlich extrem bedenklichen Veröffentlichungen die Inhalte manipuliert hat). Der entscheidende Beweis muss freilich noch in den Buchhaltungen des Finanzministeriums beziehungsweise jenes Instituts gefunden werden. Die Schwadronierereien des Schmid, mit denen er offenbar bei Sebastian Kurz Eindruck schinden wollte, sind alles andere als ein Beweis. 

Aber die Schmid-SMS bringen auch keinerlei Beweis dafür, dass Schmid zur Erstellung von Scheinrechnungen aus dem Finanzministerium durch den damaligen Außenminister Sebastian Kurz in irgendeiner Form angestiftet worden ist. Das wäre strafbar. Ganz offensichtlich hat die Mega-Durchsuchungsaktion der WKStA-Staatsanwälte genau das Ziel gehabt, vielleicht doch auch dafür einen Beweis zu finden. Wir werden sehen.

Denn die Tatsachen, dass Schmid diese Umfragen offensichtlich in Auftrag gegeben hat, um sich beim Außenminister als dem kommenden Mann anzudienern, und dass er Kurz über deren Ergebnisse angeberisch informiert hat, sind alles andere als ein Beweis für eine Anstiftung.

Ein solcher Beweis könnte sich allerdings hinter einem eher rätselhaften Bezug in den Schmid-Nachrichten auf ein Gespräch von Kurz mit der damaligen Familienministerin Karmasin verbergen, die ja offenbar weiterhin einen Bezug zu jenem Umfrage-Institut hatte, das früher ihrem Vater gehört hat.

Zweitens: Die Umfragen sollen sich auf Dinge bezogen haben, die überhaupt nichts mit den Agenden des Finanzministeriums zu tun hatten. Das wäre wohl eindeutige Untreue und/oder Amtsmissbrauch, wenn jemand im Finanzministerium aus rein parteipolitischem Interesse eine Umfrage in Auftrag gibt und bezahlen lässt. Allerdings kann das erst dann beurteilt werden, wenn die ganze Umfrage vorliegt.

Denn es ist ebenso denkbar, dass Schmid aus einer ressortaffinen, also legitimen Umfrage jene Teile herausgefiltert hat, die parteipolitisch beziehungsweise im Kurz-Interesse nutzbar waren, und dass er diese an Kurz und ein Medium weitergegeben hat. Das ist dann bei objektiver Analyse keineswegs strafbar. Denn in fast jeder Umfrage, werden auch – auch – parteipolitische Affinitäten und Einstellungen mitabgefragt. Das ist meist durchaus notwendig, um die Haltung der einzelnen Bevölkerungsgruppen zu bestimmten Fragen differenziert bewerten zu können.

Drittens: Die gezielte und exklusive Weitergabe von Umfrageergebnissen, Studien und sonstigen (nicht der Vertraulichkeit unterliegenden) Informationen an einzelne Medien ist ein lächerlicher Vorwurf. Egal, ob die informierende Institution mit dem informierten Medium Inseraten- oder Geschäftsbeziehungen unterhält oder nicht.

Diese Vorgangsweise ist zwar für die meisten seriösen Medien ärgerlich, weil deren Profiteure meistens auflagenstarke Boulevard- oder parteinahe Wochenmedien sind, wo sich die Informanten Berichterstattung in ihrem Sinn erwarten, weil die betreffenden Journalisten entweder ideologisch nahestehend oder intellektuell schwachbrüstig und daher leicht steuerbar sind.

Aber wenn das ein Strafdelikt wäre, wären wohl sämtliche Politiker und Medien strafbar (auch die seriösen bekommen ja hie und da etwas, zumindest wenn es geistig anspruchsvoller und daher nicht für den Boulevard geeignet ist). Es gibt keinen Paragraphen, der das verbieten würde.

Viertens: Wenn ein Umfrageinstitut bewusst Ergebnisse manipuliert hat, ist das zwar bedenklich, aber fast branchenüblich. Denn oft will man dem zahlenden Auftraggeber entgegenkommen.

Dies geschieht auf zwei Arten:

  • Entweder es werden die Fragen, die dann den repräsentativ ausgewählten Bürgern gestellt werden, so einseitig formuliert, dass die – ja meist sehr labilen – Antwortgeber überdurchschnittlich oft in eine bestimmte Richtung gedrängt werden. Das ist natürlich unprofessionell, aber nicht strafbar.
  • Oder aber es wird bei der – immer notwendigen! – Interpretation der sogenannten Rohdaten und ihrer Übersetzung in die veröffentlichten Daten gezielt und einseitig manipulierend eingegriffen. Zweiteres könnte eventuell strafbar sein. Allerdings gibt es bei diesen Interpretationen, was denn die ihre Einstellung  verschweigenden Bürger in Wahrheit denken, immer einen Ermessens-Spielraum, dessen unerlaubte Überschreitung nur extrem schwer beweisbar ist.

Im konkreten Fall sind die Resultate aber nur um ein oder zwei Prozentpunkte von den sonstigen, von anderen Instituten erstellten Umfragen abgewichen. Diese haben damals allesamt und unisono ausgesagt, dass die ÖVP mit Kurz weit besser abschneiden würde als mit Reinhold Mitterlehner. Das kann daher keinesfalls in die Nähe einer Strafbarkeit kommen, auch wenn die WKStA dazu noch so düster schwurbelt.

Die Annahme der Staatsanwälte ist lächerlich und strohdumm, dass diese kleinen Differenzen, derer sich der Wichtigmacher Schmid berühmt hat, Kurz ins Kanzleramt verholfen hätten. Dorthin ist er durch das Ergebnis von Wahlen und nicht von Umfragen gekommen.

Als Betrug strafbar wäre es hingegen, wenn Umfrageinstitute überhaupt die Rohdaten fälschen würden, also wenn sie behaupten, weit mehr Menschen interviewt zu haben, als sie tatsächlich befragt haben. Dieser Verdacht wird zwar bisweilen gegen bestimmte Institute erhoben – ist aber praktisch nie beweisbar.

Fünftens: Überhaupt keinen Zweifel kann es geben, dass sich etliche Medien in ihrer Berichterstattung und Kommentierung kaufen lassen. Das ist vor allem bei jenen der Fall, wo der Anteil politisch steuerbarer Inserate und "Kooperations"-Geschäfte überdurchschnittlich hoch ist.

Es ist branchenbekannt, wenn auch nur selten direkt schriftlich wie durch die Schmid-SMS beweisbar, dass sich gerade die geschäftlich erfolgreichsten Herausgeber und Verleger ziemlich erpresserisch an Politiker mit der Forderung heranmachen, ihnen zusätzliches Geschäft zukommen zu lassen. Das ist aber einerseits durch das jeweilige Inseratenvolumen beweisbar und andererseits durch die Berichterstattung und Kommentierung eines Mediums. Das ist freilich bei keinem anderen Fall so gut dokumentiert wie im Fall Schmid-oe24, wo der damalige Spitzenbeamte angeberisch mit seiner Beeinflussung von oe24 geprahlt hat.

Diese Vorgänge sind ethisch widerlich. Aber wohl nur dort strafbar, wo sie mit Steuergeld finanziert werden.

Das ist im konkreten Fall offenbar geschehen. Blickt man näher auf die Zahlen, dann relativieren sich allerdings die Untaten des Thomas Schmid schon wieder gewaltig. Denn in jenem Jahr 2016 hat das Finanzministerium, wo er Spitzenbeamter war, insgesamt 1,8 Millionen Euro an Inseraten ausgegeben. Gleich drei Ministerien haben im gleichen Jahr um mindestens 50 Prozent mehr Steuergeld in die Hand genommen! Das waren Bundeskanzleramt, Innen- und Verteidigungsministerium – also zwei rote Ministerien und ein schwarzes. Dabei ist besonders fragwürdig, was das rote Verteidigungsministerium eigentlich zu werben hatte.

Aber nichts davon interessiert Medien oder Opposition. Und schon gar nicht die angeblich so unabhängige und objektive Justiz.

Sechstens: In ihrer skandalösen Einäugigkeit interessieren sie sich auch überhaupt nicht für die noch weit, weit höheren Summen, die das Wiener Rathaus alljährlich in die Hand nimmt, um sie an bestimmte willfährige Medien weiterzuleiten. Dieses war mit Einrechnung all der vielen vom Rathaus gesteuerten Unternehmen fast jedes Jahr österreichweit um Dimensionen voranliegender Spitzenreiter bei der Vergabe der korruptionsverdächtigen Inserate. Erst bei den diversen (freilich meist peinlich verunglückten) Corona-Kampagnen – vom Baby-Elefanten bis zum Impfen – ist die Regierung zuletzt weit vorangezogen.

Siebentens: Diese Einäugigkeit bei den anderen Parteien gegenüber den Schweinereien der Gemeinde Wien hat einen klaren Grund: Waren sie doch alle im Lauf der letzten Jahre abwechselnd mit der SPÖ als eindeutige Haupttäterin in Wien in Koalition gewesen. Bei den Medien ist die Einäugigkeit verständlich, wenngleich immer noch eine Sauerei. Haben sie doch alle (mehr oder weniger, je nach Willfährigkeit) genommen und sich beeinflussen lassen.

Bei der Staatsanwaltschaft ist diese Einäugigkeit hingegen nur noch eine Sauerei, und nur durch ideologische Schlagseite erklärbar.

Die jüngste Sauerei der Justiz besteht darin, dass sie jetzt lange weitere Passagen aus den SMS-Protokollen des Thomas Schmid an die Öffentlichkeit gespielt hat. In diesen schimpfen Schmid und Kurz über Vorgänger Mitterlehner ("Arsch" usw.). Das ist zwar ungustiös und geschmacklos, aber strafrechtlich völlig irrelevant.

Daher ist es absolut skandalös, dass die Staatsanwaltschaft solche Passagen eines privaten Dialogs an die Öffentlichkeit spielt, dessen Inhalt nur sie als Folge der einstigen Handy-Beschlagnahme erfahren hat. Dass allein würde - neuerlich - eine dringende Untersuchung der Justizministerin gegen die WKStA notwendig machen. In einem Rechtsstaat halt.

Solche ungeheuerlichen Verletzungen des Amtsgeheimnisses sind auch keineswegs zum ersten Mal passiert und beweisen, dass die WKStA als Speerspitze einer politischen Kampagne agiert (wenn auch vermutlich ohne äußeren Auftrag).

Achtens: Das Verhalten des Sebastian Kurz steht in diesem ganzen Skandalgewirr weitaus am meisten im Zentrum, ob es nun um mediale Berichterstattung, parteipolitische oder strafrechtliche Agitation geht. Zwar ist bis heute nichts bekannt, was eine strafrechtliche Verurteilung des Noch-Bundeskanzlers wahrscheinlich machen würde. Aber inzwischen ist es dem eindeutig ideologisch motivierten Trommelfeuer der WKStA und dem Fehlen einer parlamentarischen Mehrheit angesichts des Umfallens dieses Koalitionspartners zweifellos gelungen, ihn politisch zur lahmen Ente und psychisch fertig zu machen.

Das ist zweifellos die ungeheuerlichste Attacke auf den Rechtsstaat der letzten Jahrzehnte.

Das heißt aber nicht, dass Kurz überhaupt keine Vorwürfe zu machen wären, solange es keine Beweise für eine konkrete Anstiftung gibt. Was heute massiv gegen ihn spricht, sind zwei politische Fehlleistungen.

Der gravierendste Vorwurf ist zweifellos, dass er sich zu sehr mit Speichelleckern umgeben hat: in Kabinett, Regierung und Fraktion. Dadurch ist Kurz jetzt zum Opfer eines hemmungslosen Karrieristen namens Thomas Schmid geworden. Dadurch hat er zuwenig eigenständig denkende Personen in seinem Umkreis gehabt. Dadurch hat er fahrlässig auf nüchtern-kritische Ratschläge und juristische wie politische Erfahrung verzichtet. Dadurch ist es zu seiner katastrophalen Medienpolitik gekommen, deren Tiefpunkt die Unterstützung für seinen größten Feind, den ORF, geworden ist, der ihn jetzt rund um die Uhr attackiert, und der ihn sogar schlimmer als ein Staatsanwalt auch dann ununterbrochen unterbricht, wenn er sich in einem Interview zu rechtfertigen versucht.

Der noch größere Fehler des Sebastian Kurz – der mehr als zwei Jahre lang nur von diesem Tagebuch herausgearbeitet worden ist – war aber die Sprengung der schwarz-blauen Koalition und der Wechsel zu einem Koalitionspartner wie den Grünen, an denen er jetzt scheitert. Zwangsläufig scheitern muss, weil eine linksradikale Partei und eine liberalkonservative Partei absolut Null Gemeinsamkeiten haben. Sondern nur Hass.

Diese zwei großen Fehlerpakete kann die zweifellos bedeutendste Politikerpersönlichkeit der letzten Jahre nicht überleben. So populär er auch ist.

Zu schlechter Letzt: Der peinliche Auftritt des Bundespräsidenten

Einerseits hat Alexander van der Bellen in einer eigentlich inhaltsfreien Rede gejammert, dass die Politik Handlungsfähigkeit braucht. Das ist schon deshalb amüsant, da es ja gleichzeitig seine eigene Partei ist, welche die Regierung sprengt. Sie wirft dem Bundeskanzler ja vor, handlungsunfähig zu sein – was er aber erst durch ihr Verhalten geworden ist (denn für eine Verurteilung reicht das sicher nicht, was die Staatsanwaltschaft da trotz aller Jagdgier bisher zusammengetragen hat. Soviel Rechtskunde sollte auch dem alten Mann in der Hofburg zuzutrauen sein.).

Andererseits benimmt sich van der Bellen wie eine altjüngferliche Erzieherin in einem Mädchenpensionat, wenn er einen "Ton der Respektlosigkeit" bejammert. Damit meint er aber offensichtlich nicht etwa die öffentlichen Mordaufrufe, die seine linksradikalen Freunde in diversen Internet-Medien massenweise gegen Kurz ausstoßen, sondern die Tatsache, dass Kurz vor fünf Jahren in einer vermeintlich völlig persönlichen Konversation mit einem Freund über einen Dritten negative Kraftausdrücke verwendet hat. Statt offenbar über diesen immer nur per "der hochverehrte Herr Vizekanzler" zu reden. Zum Glück ahnt Alexander van der Bellen nicht, wie auch viele andere Österreicher reden, wenn sie unter vier Augen über ihn reden. Da müsste er dann ja glatt rufen: "Nachbarin, euer Fläschchen!"

Keine Sorgen macht sich der Mann – der sich immer so sehr der Verfassung berühmt – hingegen darüber, wie die Korruptionsstaatsanwaltschaft Grundrechte mit Füßen tritt. Nämlich dadurch, dass sie ganz eindeutig rechtswidrig aus privaten Konversationen Teile in die Öffentlichkeit zerrt, die erstens nie für diese bestimmt waren, die zweitens in keiner Weise einen strafrechtlich relevanten Inhalt hatten, und die drittens ganz eindeutig nur deshalb hinausgespielt werden, um dem politischen Gegner zu schaden. Wir lernen: Selbst in privaten Gesprächen darf keinesfalls der Ausdruck "Arsch" über einen Dritten verwendet werden, aber verfassungsmäßig garantierte Grundrechte können jederzeit mit Füßen getreten werden. Zumindest wenn es politisch passt.

Der Mann ist doch nicht nur zum Lachen, sondern vielmehr zum Weinen.

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