Wiener Tagebuch: Grün und ideologiefrei

Nach 20 Tagebucheinträgen war vorerst Schluss. Jetzt, nach einer knapp zweijährigen Pause, habe ich mich entschlossen, mein "Wiener Tagebuch" weiterzuführen. Ein Grund dafür: Das Büchlein mit den ersten Tagebuch-Texten ist bei den Lesern gut angekommen. Viel Dank dafür.

Die Idee, neue Texte über meine Alltagserfahrungen im roten Wien zu schreiben, hatte ich vor wenigen Tagen. Just an einem Ort, der völlig ideologiefrei ist, wo die SPÖ bisher keine Duftmarken hinterlassen hat.

Das ist für Wien so ungewöhnlich, so erfreulich, dass ich einfach darüber schreiben musste. Seit einiger Zeit überwinde ich mich ein bis zweimal pro Woche, um mein Gewicht bzw. meinen Bauchumfang zu reduzieren oder zumindest zu halten, und laufe in den Prater. Der ist, wenn ich halbwegs in Form bin, nur zehn Minuten von meiner Wohnung entfernt. Ich mag den Prater. Nicht so sehr den Wurstelprater, auch nicht die Hauptallee, wo Heerscharen von Wienern zwischen Riesenrad und Lusthaus hin- und herhecheln, sondern den Teil, wo man auf keine Menschen trifft. Das ist der weitgehend naturbelassene Auwald südwestlich der Pferderennbahn Freudenau.

Hier ist es wahrscheinlicher, auf ein Reh zu treffen als auf einen Jogger oder Spaziergänger. Hierher verirrt sich kaum jemand. Nur ab und zu ein Reiter. Es hat eben auch seine guten Seiten, dass die Wiener bzw. die meisten Menschen Herdentiere sind und lieber im Pulk mit Anderen laufen und radeln als im schönen menschenleeren Auwald mit seinen schmalen Wegen. Hier ist man mitten in Wien mitten in der Natur. Hier verrotten umgestürzte Baumriesen, hier gibt es Dachsbauten und an gewissen Stellen verstummt sogar die Geräuschkulisse der Großstadt.

Bis hierher ist nicht einmal die in Wien allgegenwärtige Ulli Sima vorgedrungen, die ansonsten jeden grünen Flecken in der Stadt mit sinnigen Marketingsprüchen bereichert und auf mit Steuergeldern finanzierten Taferln erklärt, wem das gemeine Volk zu danken hat, dass hier ein paar Bäume und Sträucher wachsen dürfen. Selbst im Wienerwald gibt es mehr Sima-Schilder als Wildschweine.

Hier, im hinteren Teil des Praters, bleibt man von den in Wien allgegenwärtigen Verbots-, Gebots-, Erklär-, Belehr- und politischen Werbeschildern verschont. Hier wachsen einfach nur Bäume, Sträucher, Bärlauch und andere Pflanzen.

Hier ist es so grün, dass man nicht einmal Grüne trifft. Deren bevorzugter Lebensraum sind bekanntlich die dicht verbauten Gebiete innerhalb des Gürtels, vor allem die Bezirke 6 bis 8. Wo tatsächlich die Natur herrscht, wo es keine Bobo-Beisln und trendige Pop-Up- und Apple-Stores, sondern nur Bäume, Stacheln, Insekten und Gatsch gibt, fühlen sich die linken Weltretter – Gott sei Dank – fremd und unwohl.

Ähnliches gilt für unsere orientalischen Mitbürger. Die sind zwar gern im Grünen, aber nur, wenn es nicht weiter als 50 Meter vom nächsten Parkplatz oder einer U-Bahnstation entfernt ist. So ein Griller ist auch recht sperrig. Ja, hier mitten in Wien ist ein ideologisches Leo. Wie beim Fangenspielen. Hier erwischen sie dich nicht. Diesen Flecken haben sie bisher übersehen. Herrlich.

Wenn ich zurücklaufe oder gehe und wieder in den belebten Teil des Praters komme, stehen sie wieder überall, die von der Stadt und der SPÖ aufgestellten Taferln, Schilder und Plakate. Da gibt es welche, die einem mit Bildern und Rufzeichen erklären, dass bei Sturm Äste abbrechen oder Wege im Winter glatt sein können. Andere weisen darauf hin, dass genau hier der ideale Ort dafür ist, bestimmte Turnübungen zu vollführen. Zumindest die darauf abgebildete Dame im Turndress ist nicht Ulli Sima.

Genau dafür brauchen die Wiener die SPÖ. Damit ihnen irgendjemand auf Schritt und Tritt erklärt, was sie zu tun haben, was sie nicht dürfen, wer hier das Sagen hat etc. Da man von dieser Überflutung schon ziemlich abgestumpft ist, erkennt man erst dann besonders gut, wie sehr und wie penetrant sich die linke Politik in unser aller Leben drängt, wenn das plötzlich nicht der Fall ist, wenn man mitten in Wien an einen Ort kommt, der frei von solchen politischen und propagandistischen Aufdringlichkeiten und Belästigungen ist. Man sollte mehr solcher ideologiefreien Zonen einrichten. Die SPÖ braucht sie auch gar nicht zu beschildern. Das würde jede Menge Steuergeld sparen. Aber das ist von den Roten und vor allem von Ulli Sima wohl etwas zu viel verlangt.

Werner Reichel ist Autor und Journalist. Er hat zuletzt das Buch "Europa 2030 – Wie wir in zehn Jahren leben" bei Frank&Frei herausgegeben.

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