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Die Freiheit und ihre Feinde

"Freiheit!" Es war immer wieder dieses eine Wort, das in den letzten Tagen und Wochen durch viele Städte dieser Welt gegellt ist, als die Menschen über die weitgehende Lockerung der Corona-Maßnahmen gejubelt haben. Nirgendwo wurde etwa gerufen: "Hurra, die Gesundheit ist wieder da!" oder: "Endlich genug Impfungen!" oder ähnliches. Es war auch in der Geschichte sehr oft der Begriff Freiheit, der am stärksten begeistert hat. Man denke nur, was etwa die Menschen in Osteuropa 1989/1990 beim Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus bewegt hatte, oder die Österreicher 1955 beim Abzug der Besatzungsmächte. Es war immer das Wort, der Begriff, die Idee, der Wunsch: "Freiheit!". Höchstens der Jubel über "Frieden!" am Ende eines Krieges hat eine noch stärkere emotionale Kraft. Aber was ist Freiheit eigentlich? Und warum ist sie so schwierig zu erreichen oder zu verteidigen?

Dazu einige grundsätzliche Überlegungen, die in der Folge ins sehr Konkrete führen werden.

Unter Freiheit wird ein möglichst großes Ausmaß an Fehlen von äußeren, vor allem staatlichen Zwängen verstanden. Freiheit ist sowohl für das individuelle Glück und Wohlbefinden, die Pursuit of Happiness, wie in der amerikanischen Verfassung formuliert worden ist, als auch für das Gelingen des gesellschaftlichen Zusammenlebens entscheidend. Sie ist das wohl fundamentalste Grundrecht. Freiheit ist aber auch essenzielle Grundlage fast jeder kulturellen Kreativität wie auch des wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritts.

Der Freiheit stehen aber vier große Gegenpole entgegen. Legitime wie illegitime.

  • Erster, zentraler Gegenpol: Die Freiheit jedes Einzelnen muss immer in der Freiheit jedes anderen ihre Grenze finden. Da aber naturgemäß auch die Freiheit des anderen niemals unbegrenzt sein darf, gibt es einen ständigen Konflikt zwischen diesen beiden gleichwertigen Freiheitsansprüchen mit zahllosen Wertungsfragen, welcher Anspruch in welcher Situation mehr schützenswert ist.
  • Zweitens: Direkt aus diesem Konflikt erwächst die Notwendigkeit von Ordnung, die sich meist, wenn auch nicht zwingend in staatlichen Rechtssystemen manifestiert. Ordnung ist sogar notwendig für ein Leben in Freiheit. Zuviel an vermeintlicher Ordnung kann sich aber zugleich auch tödlich für die Freiheit auswirken. Wieder gibt es einen ständigen und unvermeidlichen Konflikt bei der Suche nach dem notwendigen Ausmaß an Ordnung und bei der Verhinderung jedes Zuviels an Ordnung, an Überregulierung.

Andere Ordnungssysteme sind in einem wirtschaftlichen Unternehmen notwendig. Aber auch kriminelle, mafiose Strukturen haben ihre oft sehr peniblen inneren Ordnungsregeln.

In der Geschichte sehr verbreitet waren religiöse Ordnungssysteme. In manchen Weltregionen sind sie das bis heute. Das Christentum war als Antithese zur staatlichen Macht oft der wichtigste Freiheitspol – gegenüber den altrömischen Cäsaren genauso wie im Gegensatz zu den braunen und roten Totalitarismen. Die christlichen Orden waren viele Jahrhunderte auch die wichtigsten Kultur- und Fortschrittsträger. Religiöse Systeme können sich aber auch total lähmend und zerstörerisch auswirken, wenn Religionsführer selbst nach der Macht greifen, oder wenn die weltliche Macht vorgibt, religiöse oder gar göttliche Qualifikation zu haben, wenn Religion also nicht mehr der Gegenpol zur Macht ist.

Ohne Ordnungssysteme besteht die große Gefahr eines "Jeder gegen Jeden", eines "Homo homini lupus" (Hobbes, aber eigentlich auch schon Plautus), wo der Mensch dem anderen zum Wolfe wird. Das wäre die Herrschaft des Faustrechts, der Diktatur der Stärkeren, die bis zur totalen Unfreiheit führen kann.

Andererseits führen zu viele Ordnungsregeln zu lähmender Überregulierung, zu ökonomischer Stagnation oder gar zu Verfall, zum Ausbleiben von Kreativität, zu individuellem Frust. Zu viel Ordnung tötet die Freiheit.

Man kann die Weltgeschichte vielfach als ständiges Ringen zwischen den Polen Freiheit und Ordnung interpretieren, als Konflikt zwischen diesen beiden Begriffen, als Versuch, das ständige Aufeinanderprallen der Freiheit des einen und der Freiheit der anderen möglichst konfliktarm auszuhandeln.

Vor dem Christentum waren gravierende Unterschiede zwischen den Menschen – etwa Sklave vs. Römischer Bürger – die vermeintlich natürliche Ordnung, in die man schon in einer bestimmten Stufe hineingeboren war. Aber auch das Christentum hat dann – im Gegensatz zu seinem Gründer – lange harmonisch in und mit Systemen gelebt, in denen man an angeborene Unterschiede geglaubt hat; siehe vor allem den Feudalismus.

  • Drittens: Eng mit dem Bedarf an Ordnung verquickt ist auch der Wunsch und das Streben nach Sicherheit. Dieses Streben ist der dritte große Gegenpol zur Freiheit. Der allgemeine und durchaus legitime Wunsch, als Gemeinschaft gegen Bedrohungen von außen, aber auch gegen innere Amokläufer und Rechtsbrecher gesichert zu sein, ist ja der wichtigste Grund, warum es überhaupt Staaten gibt, warum die meisten Menschen die Notwendigkeit von Staaten bejahen. Eben weil sie Schutz nach innen und außen gewährleisten (sollen). Das Verlangen auch nach ökonomischer Sicherheit durch den Staat ist hingegen erst durch sozialistische Ideen in die Welt gekommen. Es hat sich als eine der größten, aber auch gefährlichsten Illusionen der Menschheitsentwicklung entpuppt.

Wenn sich nicht mehr die Menschen selber, die Familie oder der Clan für die eigene ökonomische Lage verantwortlich fühlen, sondern deren Sicherung und Verbesserung vom Staat einfordern, wird zwangsläufig die ökonomische Lage der gesamten Gesellschaft schlechter. Diese Entwicklung wird absurderweise dennoch oft zu noch mehr Rufen nach staatlicher Sicherheit genutzt. Das reduziert in einem Teufelskreis die eigene Anstrengung, die Eigenverantwortung noch mehr. Daher ist der Wunsch nach ökonomischer Sicherheit durch den Staat, also durch die anderen zugleich einer der effizientesten Freiheitskiller.

Mit dem Versprechen von immer noch mehr Sicherheit kann praktisch jedes Element der Freiheit wegargumentiert werden. Dabei ist nur der Tod absolut sicher – aber soger gegen den geben viele Sicherheitsversprechen vor zu wirken. Siehe etwa das Wort "Lebensversicherung", die ja in Wahrheit eine Todesversicherung ist.

  • Viertens: Das größte Problem entsteht durch den vierten starken Gegenpol der Freiheit: Das ist das vielen Menschen inhärente Streben nach Macht, die Lust an der Macht, die Lust zur Macht. Dieses Machstreben tarnt sich meist hinter einer angeblichen Notwendigkeit von mehr Ordnung oder als Versprechen von mehr Sicherheit. So notwendig Ordnungssysteme und damit Machtausübung auch sind, so immanent ist aber gleichzeitig den Menschen, die  sich als Funktionsträger der Ordnungssysteme verstehen, der Missbrauch ihrer Ordnungsmacht.

Dieser Missbrauch erwächst einmal aus dem Interesse der Ordnungshüter, nicht für vermeintliche oder wirkliche Fehler beim Ordnungshüten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Das wäre noch irgendwie akzeptabel. Macht führt aber immer wieder auch zum offenen oder insgeheimen Wunsch, sich legibus solutus über jede Ordnung zu stellen und dann insgeheim Eigeninteressen zu verfolgen. Dieser Wunsch kann aber auch zu grobem Machtmissbrauch führen, wie etwa die Untersuchungsausschüsse im österreichischen Parlament zeigen, die manche Beobachter bisweilen sogar an die Hass- und Hetztribunale im Dritten Reich erinnern, die jedenfalls durch die Zerstörung der Trennung zwischen Judikatur und Legislative einen groben Machtmissbrauch bedeuten.

Der Missbrauch von Macht durch Ordnungshüter erwächst aber auch aus der evidenten Lust des einzelnen an der Macht und seiner Lust zur Macht. Daraus erfolgt letztlich eine Sehnsucht nach Allmacht – die aber nichts anderes bedeutet als Einschränkung der Freiheit aller anderen.

Ein in der Geschichte lange dominierender Argumentationstrick, um dieses Streben nach Machterwerb oder -behalt zu rechtfertigen, war, sich als ein Herrscher "von Gottes Gnaden" zu bezeichnen. Das ist im christlichen Raum seit längeren nicht mehr zu finden, hat aber im islamischen Raum insbesondere durch den Iran eine erstaunliche Renaissance erlebt.

Mit den diversen Formen von Machtmissbrauch wird sich das Tagebuch in den nächsten Tagen befassen. Dieser Text und diese Überlegungen haben sich aus einem Vortrag vor dem Hayek-Institut heraus entwickelt.

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