Worauf Ferdinand Lacina (nicht) antwortete

Bravo "Standard" und Gratulation zu dem erhellenden Interview mit dem ehemaligen SPÖ-Minister Ferdinand Lacina in der Wochenendausgabe vom 24. April. Bravo auch der Interviewerin, Frau Renate Graber, die als Stichwortgeberin dafür sorgte, dass die "richtigen" Themen angesprochen wurden und demgemäß auch die "richtigen" Antworten kamen.

Es ging um die Innenpolitik, in der ja bekanntlich neuerdings "der Anstand verloren gegangen ist". Das journalistische Muster ist einfach gestrickt, oftmals erprobt: Man nehme einen pensionierten Politiker (Androsch, Lacina von der SPÖ oder Busek oder Fischler bei der ÖVP – in letzter Zeit auch Mitterlehner), die sich dann im Brustton ihrer mehr oder weniger großen Erschütterung über die derzeitigen Zustände verbreitern dürfen. Auch Ferdinand Lacina schwingt unbeschwert die Moralkeule. Da hätten sich die Türkisen "die ÖVP unter den Nagel gerissen" und es werde auch "die Republik als Privateigentum betrachtet".

Das ist eine unerträgliche Heuchelei. War und ist es doch die SPÖ, die uns vor allem im Wiener Stadtsowjet – aber nicht nur dort – zeigt, wie reibungslos die Einheit von Partei, Politik und Bürokratie funktionieren kann - Stichwort "Krankenhaus Nord", heute verschämt "Klinik Floridsdorf" genannt: Kostenüberschreitungen von einer halben Milliarde, verspätete Eröffnung von fünf Jahren und über 8.000(!) vom Rechnungshof gefundene Mängel. Dazu eine verantwortliche Stadträtin, die sich eiligst zu einem Hauptlieferanten für Medizintechnik verdrückt hat – Konsequenzen: null. Und während der SPÖ-Alleinregierung im Bund waren überhaupt die größten und gravierendsten Korruptionsfälle der 2. Republik zu verzeichnen: AKH, Bauring, Noricum oder Lucona – schon vergessen Herr Lacina?

Der Exminister musste darauf nicht antworten, denn er wurde nicht dazu gefragt. Das hätte wohl die Regie und die gute Stimmung des Interviews gestört.

Was das Ganze aber noch viel ärgerlicher macht: dieses Interview wurde nur wenige Tage nach dem Tag gemacht, an dem einer der größten Betrüger der jüngeren Finanzgeschichte gestorben ist: Bernie Madoff, dessen Tod am 14. April in praktisch allen Medien gebracht wurde. Ferdinand Lacina war damals einer der Aufsichtsräte der Bank Medici, die in Österreich die Fonds des Betrügers vertrieben hatte, wodurch heimische Anleger laut Nationalbank rund 350 Millionen Euro verloren haben – peinlich, peinlich.

Details zu dieser üblen Causa sind Frau Graber sicher noch in Erinnerung, sie ist ja nicht erst seit gestern im Geschäft. Außerdem finden sich im eigenen Archiv des "Standard" zahlreiche Berichte zu der mehr als skandalösen Causa, etwa auch am 2. April 2009, um nur einen Beitrag zu erwähnen. Sie hat sich aber entschlossen, ihren Interviewgast zu "schonen" und den Leser damit um eine interessante Gedächtnisauffrischung gebracht. Schade. Ob sie etwa bei Gernot Blümel oder Sebastian Kurz die Gelegenheit, ein derart aktuelles Thema anzuschneiden, ausgelassen hätte?

Es sind inszenierte Interviews wie diese und die dazugehörigen einseitigen Berichte, die einem die Freude an dieser Sorte Qualitäts(?)Journalismus verderben.

Dr. Herbert Kaspar ist Publizist und Kommunikationsexperte und hatte lange wichtige Funktionen im Österreichischen Cartellverband inne.

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