Hayek, Montaigne und Europa

Wie der Österreicher Friedrich August von Hayek und der vierhundert Jahre früher verstorbene Franzose Michel de Montaigne heute die Entwicklung Europas kommentieren würden.

Friedrich August von Hayek (1899 – 1992): Die kulturelle und die zivilisatorische Entwicklung Europas ist das Ergebnis menschlicher Handlungen, aber nicht eines Entwurfes. Die Integration in der Europäischen Union wird von den Mitgliedern der EU-Institutionen vorangetrieben, die als konstruktivistische Rationalisten eine "neue Ordnung durch Organisation" ersehnen. Sie wollen alles "am Reißbrett konstruieren" und nach Plan durchsetzen. Das ist mit einer "Anmaßung von Wissen" und mit "unrealistischen Vorstellungen von ihren Möglichkeiten" verbunden.

Michel de Montaigne (1533 – 1592): Die europäischen Politiker und die Eurokraten sollten erkennen lernen, dass ihre Unwissenheit das Zuverlässigste ist, was sie lernen können. Sie können nie sicher sein, dass sie nicht irren und Fehler machen, aber sie könnten versuchen, ihre Irrtümer und Fehler zu verringern.

Hayek: Die Mitglieder der Institutionen der Europäischen Union meinen, dass ihnen die Vernunft sage, was richtig ist. Sie gehen von der Annahme aus, dass vollkommene politische Problemlösungen möglich sind. In Wirklichkeit sind "die größten Übelstände das Ergebnis einer Politik, die bewusst Ergebnisse herbeiführen will".

Montaigne: Die Vernunft ist fehlbar. Ein Eingeständnis von Irrtümern und von Fehlern könnte als Beleg der Wirkung von verbesserter Einsicht und Aufrichtigkeit dienen. Die Akzeptanz von Unwissenheit könnte zu Zweifel, zu Staunen, zu neuen Fragen und zur Suche nach besseren Lösungen beitragen.

Hayek: Das konstruktivistische Weltbild der Politiker, der Bürokraten und der Technokraten ist mit der Überzeugung verbunden, dass sie die konkreten Folgen ihrer Maßnahmen vorhersehen können. In Wirklichkeit ist ihr Nichtwissen die Basis ihrer Planungen, ihrer Regulierungen und ihrer Interventionen.

Montaigne: In der "Schule der Torheiten", im Umgang mit Funktionären von Parteien und Verbänden sowie mit den Bediensteten der Verwaltung können wir Menschenkenntnis und Selbsterkenntnis lernen.

Hayek: Die Planungen in den Institutionen der Europäischen Union dienen der Harmonisierung, der Vereinheitlichung, den "Wünschen der politischen Kartelle" und privilegierten Sonderinteressen. Die Überheblichkeit der Vernunft führt in den Kollektivismus.

Montaigne: Obwohl ich Franzose bin, betrachte ich mit Sorge die Ausbreitung der Denktradition des konstruktivistischen Rationalismus in Europa.

Hayek: Die Europäische Integration könnte auch über den Wettbewerb, über Dezentralisierung und über Bürgernähe erfolgen. Die Freiheit und die wettbewerblichen Bemühungen vieler Menschen schützen davor, dass alle die gleichen Fehler machen. Der Wettbewerb ist ein Entdeckungsverfahren für die Entstehung, für die Überprüfung, für die Verbreitung und für die Umsetzung von Wissen. Eine Nutzung des breit gestreuten Wissens und Könnens sowie eine Koordination der individuellen Handlungen im Wettbewerb ermöglicht Lernprozesse, Produktivität und Wohlstand.

Montaigne: Ich frage mich, ob lernunwillige und lernunfähige Menschen ein Interesse an der Nutzung des breit gestreuten Wissens entwickeln können.

Josef Stargl ist AHS-Lehrer in Ruhe und ein Freund der Freiheit.

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