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Not lehrt einen Bundeskanzler – nach Experten statt nach Buddies zu greifen

Die Nachfolgeregelung für die ob ihrer seltsamen Hochschularbeiten im politischen Orkus verschlungene Ministerin Aschbacher war rasch gefunden. Die Lösung hat viele hoffnunggebende Seiten, aber auch einige heikle Problempunkte.

Positiv zu bewerten ist:

  1. Mit Martin Kocher kehrt erstmals wieder ein echter Volkswirt ins ÖVP-Regierungsteam ein, auch wenn seine Spezialität Verhaltensökonomie eher zu den am Rand liegenden Aspekten der Nationalökonomie gehört. Aber dennoch bringt er zweifellos mehr an Verständnis für diesen außerhalb von Pandemie-Zeiten (und außenpolitischen Krisen) wichtigsten Bereich der Regierungsarbeit mit als alle derzeitigen Minister.
  2. Kurz hat sich für jemanden entschieden, der schon bisher dem zu Krisenzeiten besonders schwierigen Arbeitsministerium zugearbeitet hat; damit gibt es keinen Zeitverlust in schwierigen Zeiten durch Einarbeiten oder Eifersüchteleien unter Ministerberatern.
  3. Kurz hat sich damit jetzt – wie gerade gestern an dieser Stelle empfohlen – für einen ausgewiesen Fachmann entschieden, dessen Qualifikation nicht in der persönlichen oder parteiinternen Loyalität besteht wie bei früheren Personalentscheidungen. Kocher ist nach Bildungsminister Faßmann erst der zweite so zu charakterisierende Minister in der Regierung. Damit sei gewiss nicht gesagt, dass Nichtmitgliedschaft in einer Partei ein Qualitätsmerkmal wäre. Das heißt aber sehr wohl, dass Qualifikation eigentlich bei Ministerbesetzungen immer das wichtigste Kriterium sein sollte – das jedoch bei den meisten Besetzungen des Vorjahres von Anschober bis Tanner nicht einmal in Ansätzen zu finden gewesen ist (ich wünsche mir ja etwa auch – auch wenn es völlig unrealistisch ist – Pamela Rendi-Wagner als Gesundheitsministerin, freilich ohne dass auch nur der Hauch der Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik ihrer Partei in die Regierung einkehrt …). Not lehrt beten, heißt es in der Religion. Die größte Wirtschaftskrise der Zweiten Republik lehrt ganz offensichtlich die Suche nach Experten statt Buddies.
  4. Logisch und richtig ist es gewiss auch gewesen, aus dem Ministerium die Bereiche Jugend und Familie herauszunehmen, zu denen Kocher keinen inneren Bezug hat.
  5. Lobenswert ist auch der Mut, bei dieser Personalentscheidung nicht – wie es einige nicht sonderlich helle Journalistinnen verlangt haben und wie es die Grünen etwa zuletzt bei der Besetzung des Kultur-Staatssekretariats getan haben – auf das Geschlecht als wichtigstes Kriterium zu schauen (wobei es den Linken immer nur um das weibliche Geschlecht geht), oder sich gar darüber zu entsetzen, dass jetzt mehr Männer als Frauen in der Regierung sitzen.
  6. Eng damit zusammenhängend und fast am wichtigsten ist ein besonders mutiger Tabubruch des Regierungschefs: Denn mit dem De-Facto-Transfer der Kompetenzen für Frauen und Jugend an Susanne Raab (über den formalen Umweg Bundeskanzleramt) ist erstmals ein und dasselbe Regierungsmitglied für Frauen wie auch Familien zuständig. Eine solche Zusammenlegung war bisher von der kranken Feminismus-Ideologie als unvereinbar bezeichnet worden. Was auch von allen Regierungen seit Bruno Kreisky beachtet worden ist. Die Zusammenführung ist aber dennoch in jeder Hinsicht absolut richtig, weil ja auch die meisten Frauen Teil von Familien sind. Sogar oft deren wichtigster.

Über all das kann man sich nur freuen. Das Lob wird auch nicht sonderlich durch den Aspekt geschmälert, dass Raab äußerlich und vom Alter her massiv an Aschbacher erinnert. Aber das ist nun einmal der hier schon öfters getadelte Hang von Kurz zu Angehörigen seiner eigenen Alterskohorte, also zur Gruppe der in den Achtziger Jahren Geborenen, besonders zu den weiblichen und gut ausschauenden, die er seit langem kennt. Kocher hingegen ist um sieben Jahre älter und passt gar nicht in dieses Schema.

Bedenklich sind jedoch einige andere Aspekte:

  1. Hat die ÖVP nicht mit drei komplett für Wirtschaftsfragen zuständigen Ministern zu viele Köche am Werken? Führt das nicht fast zwingend zu Konflikten zwischen dem parteiunabhängigen Volkswirt mit dem kleinsten Ressort und den beiden in der Partei gut verankerten Ministern mit den größten Ressorts, die aber nur Betriebswirte beziehungsweise Philosophen samt betriebswirtschaftlichem Schnellkurs sind?
  2. Die beiden anderen mit Wirtschaftsfragen befassten ÖVP-Minister haben sich zuletzt mit wenig Ruhm bekleckert (Wirtschaftsministerin Schramböck durch den Megaflop "Kaufhaus Österreich", und Finanzminister Blümel durch seine Zustimmung zum verschwenderischen Umgang mit Staatsfinanzen, etwa bei der durch nichts gerechtfertigten Erhöhung von Mindestsicherung und Mindestpensionen um das Zweifache der Inflationsrate).
  3. Zu diesen drei Ministern muss man auch noch die ebenfalls mit vielen wirtschaftlichen Kompetenzen betraute grüne Verkehrsministerin rechnen. Diese arbeitet ja ganz besonders eifrig daran, durch strenge ideologische Klima- und Umweltregeln eine Erholung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt zielgerichtet zu verhindern. Wogegen jeder ernsthaft arbeitende und sich nicht nur der Koalitionsräson beugende Arbeits-, Finanz- und Wirtschaftsminister eigentlich ankämpfen müsste.
  4. Hätte nicht die schon einmal vorgenommene Zusammenlegung von Wirtschafts- und Arbeits-Kompetenzen mehr Sinn gemacht? Oder – und sogar noch mehr – die früher Regel gewesene Ressort-Einheit der Arbeitsmarkt-Kompetenzen mit denen für die Sozialversicherung, die jedoch zum grünen Sozialminister ressortiert? (Aber ganz offensichtlich wollte oder konnte Kurz dem Koalitionspartner oder einem anderen Minister nichts wegnehmen – obwohl Minister Anschober angesichts der Pandemie wohl noch keine Sekunde Zeit gefunden hat, über die großen und wichtigen Reformnotwendigkeiten des Pensionssystems auch nur nachzudenken).
  5. Ist nicht auch die mit Familie und Jugend jetzt bereicherte Frauenministerin Raab durch ihre bisherigen Aufgaben Integration und Bekämpfung des Politischen Islams schon bisher schwer gefordert? Müsste sie nicht eigentlich erst dort die Bewährungsprobe ablegen, bevor sie eine schwierige Mehrfachbelastung übernimmt, wo sie wohl sowieso unter Dauerbeschuss der bei Rot und Pink starken Front der Migrations- und Islam-Freunde bleiben wird?
  6. Nicht nur die Zusammenlegung der Kompetenzen von Familie, Jugend und Frauen dürfte eine Premiere sein, sondern auch die Person einer Familienministerin, die (zumindest so viel man weiß) keine eigenen Kinder hat. Wie schlau ist das in einer Zeit, da insbesondere unter weiblichen Spitzenkräften das Kinderkriegen in den letzten Jahren ohnedies völlig in Vergessenheit geraten ist?

PS: Offen ist, ob diese Konzentration Familie-Jugend-Frauen in einer Hand nicht logischerweise dazu führen müsste, dass es auch wieder eine eigene Männerabteilung gibt, die ja von den Grünen im Vorjahr eiskalt zugesperrt worden ist. Nach der Devise: "Des brauch ma net. Männer haben keine Probleme zu haben, darauf haben nur Frauen Anrecht."

PPS: Hochinteressant ist übrigens auch eine Nebenfolge des Revirements: Jetzt müssen gleichzeitig die beiden wichtigsten Leitungsposten in der österreichischen Wirtschaftsforschung (WIFO und IHS) neu besetzt werden. Das sind unglaublich einflussreiche Funktionen – besonders nach einem Jahr, da der Regierungschef der Regierung ein abenteuerliches Wirtschaftsprinzip vorgegeben hat. Nämlich: "Koste es, was es wolle."

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