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Die Türkei wird zum Dritten Reich: 1938 und 2020

Österreichische Historiker haben ein faszinierendes neues Werk über den "Anschluss" des Jahres 1938 herausgebracht. Dieser Text steht nicht nur in ernüchterndem Kontrast zum üblichen Nationalfeiertagsgesülze, weil er den (geringen) Stellenwert Österreichs in der Welt klarmacht. Darüber hinaus lässt fast jede Seite dieser Analyse der damaligen Isolation Österreichs an die Schreckensnachrichten denken, die uns derzeit aus dem Krieg am Kaukasus erreichen. Es ist von atemberaubender Ähnlichkeit, wie damals die Welt am Schicksal Österreichs desinteressiert war, und wie sie heute am Schicksal der von den Türken und Aserbaidschanern überfallenen Armeniern desinteressiert ist.

Was damals die zynische Zündel-, Expansions- und Eroberungspolitik des Hitler-Reiches gewesen ist, ist heute die ebenso zynische Zündel-, Expansions- und Eroberungspolitik des Erdogan-Reiches und seiner Verbündeten. Was damals eine wirre germanische Suprematsideologie gewesen ist, ist heute eine wirre islamische Suprematsideologie. Es würde den Rahmen dieses Textes sprengen, alle Etappen der damaligen Aggressionen und Rechtsverletzungen durch das Nazi-Regime nach innen wie nach außen aufzuzählen. Sie gleichen verblüffend der Eskalation der neoosmanischen Politik Ankaras und der Verwandlung der türkischen Demokratie in eine totalitäre Diktatur.

Diese Rückkehr zu einem türkischen Imperialismus hat schon unter Erdogans Vorgängern mit der Besetzung des Nordens der Insel Zypern begonnen und setzt sich seither mit einer Fülle von Aggressionsakten fort, bei denen es um territoriale Eroberungen geht, um Schaffung von Einflusssphären jenseits der eigenen Grenzen und um Unterstützung der von der Moslembrüder-Ideologie geprägten Erdoan-Regierung für islamistische Milizen. In Syrien, im Irak, in Libyen, in der Ägäis, im Gazastreifen. Von der immer schlimmeren Knechtung der Kurden innerhalb der Türkei und der rapiden Abschaffung des Rechtsstaats gar nicht zu reden. Wobei ein höchstwahrscheinlich erfundener oder maßlos übertriebener Putschversuch den gleichen Dienst erweist wie einst der Röhm-Putsch, der Reichstagsbrand und ein Attentat auf einen deutschen Diplomaten als Vorwand für die "Reichskristallnacht".

In den letzten Tagen hat die progressive Verwandlung der Türkei in ein neues Drittes Reich gleich zwei weitere Höhepunkte erreicht. Da stehen auf der einen Seite die persönlichen Beleidigungen des türkischen Präsidenten für den französischen Staatspräsidenten nach der Ermordung eines Pariser Geschichtslehrers. Dadurch ergreift der türkische Diktator massiv die Partei des Mörders und unterstützt die Ablehnung der europäischen Werte und Grundrechte durch die französischen Moslems.

Dennoch schauen alle 26 anderen EU-Staaten weg und begreifen nicht, dass es letztlich genauso auch um sie geht. In Wahrheit hätte jedes einzelne EU-Land in den letzten Stunden seine Botschafter aus der Türkei einberufen müssen. Aus Solidarität mit Frankreich und noch mehr als Signal einer Ablehnung des Islamismus. Und wenn die Boykottaufrufe aus dem islamischen Raum gegen Frankreich wirklich ernst gemeint sein sollten, müssten unbedingt alle anderen EU-Ländern solidarisch mit Frankreich alle Gegenaktionen mittragen.

Angesichts des Umstandes, dass die nächste Fußball-WM ausgerechnet an Katar vergeben worden ist (höchstwahrscheinlich in Verbindung mit viel Korruption), wäre ein Boykott dieses ohnedies extrem seltsamen Austragsungsortes durch die Europäer mehr als angebracht. Immerhin ist Fußball noch eines der wenigen Dinge, wo die europäischen Nationen in Summe absolut unverzichtbar sind.

Mindestens ebenso gefährlich ist die zweite türkische Provokation. Das ist der nur durch türkische Unterstützung möglich gewordene Einmarsch von Aserbaidschan im rein armenisch bewohnten Gebiet von Berg-Karabach. Die Türkei hat dazu die von ihr schon seit Jahren unterstützten radikalislamistischen Söldner aus dem Syrienkrieg nach Aserbaidschan geschafft. Dieser Vorstoß hat sich zu einem erbitterten Krieg ausgewachsen, in dem binnen weniger Tage (nach russischen Angaben) schon 5000 Todesopfer zu beklagen sind.

Armenien wie Aserbaidschan – und damit natürlich auch Berg-Karabach – haben einst zur Sowjetunion gehört. Damals waren die Grenzziehungen zwischen den einzelnen Republiken ziemlich irrelevant, sind doch alle unter dem gleichen Joch gestanden, waren doch alle von Moskau beherrscht und einem Russifizierungs-Druck ausgesetzt.

Kaum aber ist die Sowjetunion zerfallen, hat sich das von christlichen Armeniern besiedelte Berg-Karabach in einem erbitterten Krieg mit 30.000 Toten vom islamischen Aserbaidschan losgelöst.

30 Jahre lang ist es seither ruhig geblieben. Vor allem deshalb, weil Russland irgendwie für Ordnung gesorgt hat. Es stand tendenziell an der Seite des kleinen Armeniens, lieferte aber dennoch auch Aserbaidschan Waffen.

Papiertiger Russland

Jetzt aber kann Russland den Deckel nicht mehr auf dem kaukasischen Druckkochtopf halten. Damit ist Russland nicht nur für die islamische Welt als Papiertiger entlarvt. Dieses internationale Unbedeutendwerden des verarmten Russlands ist eine ebenso dramatische Veränderung der weltpolitischen Landschaft wie der globale Vorstoß des radikalen Islams.

Russlands Verhalten im Berg-Karabach-Konflikt offenbart drastischer denn alle anderen Vorgänge der letzten Jahre seine zunehmende Schwäche. Es stellt einen erstaunlichen Kontrast zu der regelmäßig empörten Pose Moskaus dar, sobald sich andere Nachfolgestaaten der Sowjetunion mehr nach Westeuropa zu orientieren versuchen als nach dem früheren Machtzentrum in Moskau. Russland hat zwar im letzten Jahr an zwei relativ entfernten Konfliktfronten – in Syrien und Libyen – noch versucht, der neoosmanischen Expansion seines jahrhundertelangen Rivalen Türkei  noch entgegenzutreten. Aber jetzt ist es ganz offensichtlich nicht mehr willens oder imstande dazu, wo es nicht mehr auf kriegswillige Verbündete wie Iran oder Ägypten zählen kann.

 Aserbaidschan hört - statt auf die einstige Kolonialmacht Russland - auf den neuen Sultan am Bosporus. Russland will einerseits nicht als Verräter an den christlichen Armeniern dastehen, will sich aber auch nicht an die Seite des mutmaßlichen Verlierers stellen, um nicht selbst imagemäßig zum Verlierer zu werden. Und es will schon gar nicht mehr mit eigenen Truppen für Ruhe und Ordnung im eigenen Glacis ganz nahe der russischen Grenze sorgen.

Russland ahnt, dass eine weitere Verwicklung in kaukasische Kriege eine viel zu blutige Sache werden könnte, die ihm mehr schaden als nutzen könnte. Ist es doch schon durch die Konflikte im nicht weit entfernten Tschetschenien schwer traumatisiert. Daher hält man sich erstaunlich zurück.

Ja, noch mehr: Russland unterstützt ausdrücklich und massiv die nun angelaufenen amerikanischen Friedensbemühungen. Das hat es in den letzten Jahren noch in überhaupt keinem globalen Konflikt gegeben, dass Russland und Amerika in totalem Parallelschwung agieren. Freilich sind die USA viel weiter vom Konfliktherd entfernt. Und es ist bei ihnen noch viel sicherer, dass sie sich nicht direkt einmischen werden (selbst wenn der so betont isolationistisch denkende Donald Trump abgewählt werden sollte).

Damit steht Armenien mit seinen drei Millionen Einwohnern (rund fünf weiteren Millionen Armeniern  über die ganze Welt verstreut) mutterseelenalleine da. Damit sind die Armenier hundert Jahre später neuerlich den Türken ausgeliefert, die bis heute keinerlei Reue, keinerlei Bereitschaft zu "Vergangenheitsbewältigung" wegen des türkischen Völkermordes an dem kleinen Volk im ersten Weltkrieg zeigen.

Alleine gelassen: Österreich 1938, Armenien 2020

Die Not durch Wegfall der Schutzmacht Russland und die Hilfslosigkeit eines isolierten Kleinstaates gegenüber einer aggressiven Diktatur erinnern lebhaft an das Schicksal Österreichs 1938: Als sich Italien damals von Österreich ab- und Hitler-Deutschland zuwandte, war auch das Schicksal Österreichs so besiegelt, wie es jetzt das Schicksal Berg-Karabachs sein dürfte.

Mit welchen Pseudoargumenten 1938 das gesamte Ausland, an das sich Österreich damals hilfesuchend gewandt hatte, wegzuschauen versucht hat, ist nun erstmals in dem Band "1938 – Der "Anschluss" im internationalen Kontext" (Hg. Stefan Karner und Peter Ruggenthaler) umfassend aufgearbeitet worden. Land für Land wird da an Hand der sich nun öffnenden Archive gezeigt, warum damals niemand Hitler entgegengetreten ist, warum nur höchstens halbherzig protestiert worden ist, obwohl eine energischeres Auftreten vielleicht noch den späteren großen Krieg verhindert hätte.

  • Viele ausländische Politiker hatten eigene Sorgen und wollten daher jede internationale Konfrontation oder gar Kriege vermeiden.
  • Manche erinnerten daran, dass die Österreicher ja nach 1918 auch selbst einen Anschluss ans Deutsche Reich gewollt hatten.
  • Andere wieder hatten noch nicht die ganze Gefährlichkeit Deutschlands erkannt.
  • In sozialistisch geführten Ländern waren die Sympathien für den autoritären Ständestaat aus ideologischen Gründen sehr gering.
  • Andere wieder erkannten die eigene militärische und geopolitische Schwäche und wollten sich quasi totstellen.
  • Viele hofften auch, dass Hitler nach der "Heimholung" des Saarlandes und Österreichs dann Ruhe geben werde (wie sie es nach der späteren Zerteilung der Tschechoslowakei durch das Münchner Abkommen mit dem Slogan "Peace in our time" noch einmal glaubten).
  • Die USA wiederum waren damals wieder einmal auf total isolationistischem Kurs (noch eine Wiederholung der Geschichte!).
  • Überdies überschattete der durch die kommunistische Revolution entstandene Ost-West-Antagonismus jede europäische Geschlossenheit.

Letztlich war Österreich chancenlos.

Noch einmal zurück zu den Armeniern. Manche werden zur Verteidigung des türkisch-aserbaidschanischen Angriffs auf Berg-Karabach sagen, dass die dortige armenische Republik völkerrechtlich nie anerkannt worden war. Das Gebiet galt weiter als zu Aserbaidschan zugehörig.

Das ist an sich richtig. Aber wenn im Jahr 2020 mit dem Verweis auf eine jahrzehntelang zurückliegende Zugehörigkeit eines Gebiets neue Kriege gerechtfertigt werden können, dann stehen der Welt noch viele Krieg bevor. Man denke nur an Israel, das von vielen Ländern noch immer nicht anerkannt wird, wo im Laufe der Geschichte viele fremde Staaten die Hoheit beansprucht haben.

Und die Türkei hat schon überhaupt kein Recht, sich auf das Völkerrecht zu berufen. Hält sie doch selbst seit 46 Jahren ein Territorium besetzt, das völkerrechtlich zu einem anderen Staat gehört, nämlich Nordzypern, und hat dort einen "Staat" geschaffen. Die Parallelen der Vorgeschichten der Kriege sind freilich verblüffend: in Zypern sind die Türken von der griechischen Mehrheit ähnlich schlecht und als minderwertig behandelt worden wie die Armenier in Berg-Karabach von den Aseris oder die Deutschen in Böhmen und Mähren von den Tschechen.

Auch an vielen anderen Orten werden vermeintliche völkerrechtliche Besitzstände aus früheren Generationen ganz willkürlich und abwechselnd einmal als Totschlag-Argument verwendet und einmal total ignoriert. Wer für eine friedliche Welt eintritt, müsste daher vor allem anderen folgende Prinzipien beachten (und weniger wie die gegenwärtige österreichische Regierung naiv an die Relevanz von Atom- oder Minen-Waffen zu glauben):

  • Bis auf die Situationen eines eindeutigen schweren Genozids – eines Völkermords – gibt es keinen Grund für einen militärischen Angriff zur Veränderung des heutigen(!) Status Quo.
  • Passiert er dennoch, dann bekommt der Angegriffene die volle kollektive Solidarität der gesamten Außenwelt.
  • Um die Gefahr bewaffneter Konflikte wirklich effektiv zu reduzieren, und ebenso aus Gerechtigkeits- wie Humanitätsgründen, akzeptieren alle Völker das Selbstbestimmungsrecht in international überwachter und kontrollierter Form, einschließlich eines Rechts auf Sezession, wenn eine qualifizierte Mehrheit eines Gebiets das verlangt. Sie akzeptieren aber gleichzeitig, dass Selbstbestimmung nie mit Gewalt erkämpft werden darf.
  • Das kann nur funktionieren mit einem gleichzeitig international standardisierten Schutz für autochthone Minderheiten und mit einer klaren Notwendigkeit der Assimilierung für neue Migranten.

Wer auch nur eine dieser vier Grundregeln eines friedlichen Zusammenlebens der Völker ignoriert oder mit irgendwelchen Vorwänden auszuhebeln versucht – und das tun fast alle Regierungen –, der ist mitschuld an immer neuem Blutvergießen. Der plädiert für die globale Herrschaft des Rechts des Stärkeren als oberste "Regel" des globalen Zusammenlebens.

PS: Jetzt ist auch die SPÖ unter dringenden Handlungsbedarf geraten. Einer ihrer Mitglieder namens Christian Kern hat vehement kritisiert, dass die österreichische Integrationsministerin Raab - lobenswerterweise - angekündigt hat, (endlich) die Tschetschenenszene in Österreich zu durchleuchten. Wenn die SPÖ noch für irgendeinen Wert stehen sollte, müsste sie jetzt Herrn Kern bitten, sich eine andere Partei zu suchen. 

PPS: Auch eine ganz andere hochinteressante Facette des Karner-Ruggenthaler-Werks macht bewusst, wie sehr gegenwärtige Fragestellungen denen der Vergangenheit gleichen: Ignaz Seipel hat in der Zwischenkriegszeit intensiv eine starke Kooperation Österreichs mit den mittelosteuropäischen Ländern angestrebt. Das ist jedoch bei den Sozialdemokraten auf vehemente Ablehnung gestoßen, die ganz auf Deutschland konzentriert gewesen sind. Mehr Deutschland oder mehr Mitteleuropa? Das ist auch heute die zentrale Orientierungsfrage der österreichischen Außenpolitik. Wo auch heute die Entwicklung neuerlich gegen Mitteleuropa zu laufen scheint.

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