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Wenn Jesus Christus schon im Pass erkenntlich wird

Wird Österreich einmal irgendwo Weltmeister, dann will man das auch allen zeigen. Die Republik ist jedenfalls zumindest in Sachen Titelsucht eindeutig Weltmeister, "Meister" der Welt, wie sich jetzt wieder bestätigt. Diese Sucht lässt Österreich oft als skurril dastehen, wie viele Exempel zeigen.

Die Republik hat hochoffiziell beschlossen, dass "Meister" künftig ein Titel wird, den man sich sogar als "Mst." oder – auch das muss ja heutzutage sein – als "Mst.in." in den Pass eintragen lassen kann. Das ist ein gewaltiger Erfolg für die Wirtschaftskammer, die das ja schon jahrelang verlangt hat. Endlich hat sie bewiesen, dass die Gewerbeordnung nicht bloß ein bürokratischer, teurer, wettbewerbsverhindernder und folglich preistreibender Anachronismus ist, sondern wirklich für etwas gut ist. Nämlich für einen schönen Titel.

Außerdem ist das ein typisch österreichischer Trost für Handwerksmeister in der größten Wirtschaftskrise seit einem Dreivierteljahrhundert. Wenn man schon kein Geld mehr in der Kassa hat, so wenigstens einen neuen Titel im Pass.

Und noch dazu was für einen!

Haben doch die Jünger einst Jesus mit "Meister!" angeredet (wie immer das auf Aramäisch klingen mag). Jetzt auch so angeredet zu werden, ist ein gewaltiger Aufstieg für jemanden, der bisher nur "Herr Chef" gewesen ist.

Oder ging es der für den Titel ihrer Mitglieder kämpfenden Wirtschaftskammer weniger um deren Gottgleichmachung, sondern bloß darum, diese akustisch den Absolventen des zweiten universitären Studiendurchgangs gleichzustellen, den verwechslungsähnlich klingenden "Mastern"?

Meisterschaft in Sachen Abkürzung hat man freilich bei Kammer und Politik keine gezeigt: Denn es wird sich als recht verführerisch erweisen, jetzt in das "Mst" an passender Stelle ein "i" einzufügen, was dann freilich gar nicht mehr so toll klingt. Und schon gar nicht nach Christus.

Solche Imitationsversuche (wie Master – Meister), solche Bemühungen, sich aufzublasen, mit Hilfe einer willfährigen Politik ein wenig mehr zu scheinen als zu sein, und sich über titellose Menschen herauszuheben, gab und gibt es hierzulande noch viele andere. Einige Beispiele:

  1. So war einst die Einführung des (inzwischen schon wieder durch andere Bezeichnungen weitgehend substituierten) "Mag."-Titels aus dem von manchen empfundenen Bedarf entstanden, allen Absolventen einer Universität einen Titel zu verleihen. Insbesondere all jenen, die vorher einen nüchtern-unakademisch klingenden wie den "Dkfm." hatten. Oder gar keinen: Mussten Absolventen eines Lehramtsstudiums doch lange ganz titellos oder manche Juristen bloß mit der diskriminierenden Bezeichnung "abs.iur." herumlaufen. Was ja wirklich eine nationale Schande war.
  2. So wurden die Absolventen der vor rund vier Dekaden eingeführten Fachhochschulen mit dem Titel "Mag. (FH)" ausgezeichnet, was – natürlich ganz zufällig – eben an diesen "Mag." erinnert. Ebenfalls ganz zufällig vergessen die Fachhochschulabsolventen immer öfter, diesen gesetzlich verlangten Klammerausdruck "(FH)" hinzuzufügen. Und sie als "Magister Fachhochschule" oder "Magister FH" anzureden, wäre sowieso komplett lächerlich.
  3. So fand sich nach Einführung des "Mag."-Titels auf vielen Türschildern in Ämtern und Ministerien plötzlich bei Absolventen eines Jusstudiums die hochstaplerische Bezeichnung "Mag. Dr.". Das erweckte den Eindruck, dass sie zwei Studien absolviert hätten, wie etwa  Goethes Faust ("Heiße Magister, heiße Doktor gar"). Das sollte natürlich das niedere Volk doppelt beeindrucken.
  4. So war auch der Doktor-Titel bei Juristen oder Medizinern eine kleine – wenn auch schon Jahrhunderte alte – Hochstapelei. Denn zum Unterschied von allen anderen Studien hatten sie lange keine Dissertation zu schreiben. Freilich: Historisch ist der Titel "Doctor" gerade im Bereich der Medizin entstanden (schon im 6. Jahrhundert). Und bei Medizinern ist es für den Heilungsprozess eines Patienten tatsächlich oft wichtig, dass er in einem psychologischen Placebo-Effekt Vertrauen zum Arzt hat. Da ist der respektheischende Titel "Herr (oder Frau) Doktor" durchaus ein kleiner Beitrag dazu, dass dieses Vertrauen entsteht. Das wirkt ganz anders, als wenn nur eine "Frau Maier" am Krankenbett stünde. Und auch bei Juristen ist es für Rechtssuchende durchaus empfehlenswert zu wissen, dass man mit jemandem spricht, der in der Regel mehr Ahnung vom Recht hat als etwa die vielen gerne Rechtstipps ausstreuenden Friseurinnen oder die aus dem Boden sprießenden "Lebensberater".
  5. So ist auch die Verleihung des Titels "Professor" an jeden der Politik Sympathischen – besonders gerne aus dem Bereich des Journalismus oder der Schauspielerei – eine brutale Imitation des "Universitätsprofessors". Da dieser ja auch nur als "Professor" angesprochen wird, ist überhaupt kein Unterschied hörbar. Ich kenne freilich auch etliche Journalisten, die – weil sie selbst einen echten akademischen Titel erworben haben – erzürnt die "Auszeichnung" mit diesem an Udo Jürgens und Heinz Conrads erinnernden Titel abgelehnt haben.
  6. So ist auch jeder Gymnasial- (AHS/BHS-)Lehrer automatisch "Professor". Und auf den Unis selbst hat sich überhaupt ein undurchschaubares Dickicht an ordentlichen, außerordentlichen, Assistenz-, Honorar- und vielen anderen Professoren entwickelt. Als ich selbst einige Jahre auf der Uni Vorlesungen und Proseminare abhielt, konnte ich es den Studenten trotz regelmäßiger Proteste nicht abgewöhnen, mich nicht als "Herr Professor" anzureden, obwohl ich ja nur "Lektor" oder "Lehrbeauftragter" war.
  7. So sind auch die Herren oder Frauen "Bakk." Absolventen des ersten Studienabschnitts, die halt seit ein paar Jahren auch einen Titel bekommen (der weder mit Bäckern noch mit der englischen Bezeichnung für Junggesellen zu tun hat). Aber da sich dieser Titel erstaunlicherweise nicht durchgesetzt hat, ist das Ziel verfehlt worden, durch seine Einführung manche Studenten früher zum Verlassen der Uni und zur Aufnahme von Arbeit zu motivieren.
  8. So ist die Flut an unverständlichen Buchstaben, die seit einigen Jahren hinter einigen Familiennamen zu finden sind, vorsichtig ausgedrückt eine undurchsichtige Mischung von anspruchsvollen Studien, Spezialausbildungsgängen und recht billigen Titelverleihinstitutionen.
  9. So wird in Österreich geradezu selbstverständlich jeder Kellner als "Ober" tituliert, auch wenn er gleichsam nur ein "Unter" oder gar der jüngste in der Kellnerhierarchie ist (umgekehrt sind alle Kellner immer besonders großzügig, ihren Gästen übertriebene Titel zu verleihen – angeblich steigert die  Höhe des Trinkgeldes die Qualität des im Gasthaus zuerkannten Titels …)
  10. So gibt es den "Hofrat" – ebenfalls in mehreren Varianten – auch noch mehr als hundert Jahre nach Ende der Monarchie. Ein Hofrat ohne (Kaiser-)Hof ist für alle Welt eine ganz besondere Skurrilität. Das Weiterbestehen dieser Bezeichnung steht in absurdem Kontrast zu der nach Monarchie-Ende erfolgten Abschaffung aller Adelstitel und -Prädikate, selbst dort, wo sie Teil des Namens waren.

Die letztgenannte Entwicklung bildet einen totalen Kontrast zu den deutschen Nachbarn, die gleichzeitig ihre Monarchie verloren hatten: Dort darf man weiterhin alle "von" und "zu"-Varianten führen. Dort gibt es hingegen nichts mehr, was mit dem Hofrat vergleichbar wäre. Weshalb viele Deutsche mehr oder weniger liebevoll über die österreichischen Sitten spotten.

Zusätzlich grotesk sind die Dinge geworden, seit auch die Feministinnen die Titelsucht entdeckt haben. Als ob man nicht das Geschlecht einer Person schon daran erkennen könnte, dass man sie als "Frau Doktor" anspricht, sondern erst seit man "Frau Doktorin" zu ihr sagen soll.

Wie ist das ganze Titelgetue – insgesamt soll es eine vierstellige Anzahl verschiedener geben – nun eigentlich zu bewerten? Jedenfalls mit einem Schuss Humor. Es hat etwas von der den Österreichern eigenen barocken Lebensart an sich. Es hat auch einen gewissen Informationswert in Hinblick auf die Person des Titelträgers.

Aber dennoch sollte man sich als Österreicher auch selbstkritisch bewusst sein, dass da eine kräftige Mischung aus Eitelkeit und gleichzeitigem Minderwertigkeitskomplex mit im Spiel ist. Und dass das Führen von Titeln eine unterschwellige Diskriminierung gegenüber Menschen ohne Titeln ist, die oft viel mehr können, die oft viel mehr geleistet haben als ein Titelträger. Am krassesten sieht man das in der Politik, wo Sebastian Kurz zweifellos vielen "Doktoren" überlegen ist. Oder im Kulturleben, wo es niemanden interessiert, ob "die" Netrebko oder "der" Max Reinhardt einen akademischen Titel hat oder hatte. Wo der bestimmte Artikel die allerhöchste Auszeichnung ist.

Bei unzähligen internationalen Begegnungen und Konferenzen habe ich eindeutig gespürt: Man sollte sich außerhalb Österreichs auf den eigenen Familiennamen beschränken. Und bei Gesprächspartnern ein einfaches "Herr" oder "Frau" davor setzen (in welcher Sprache auch immer). Sonst aber nichts – wenn man sich nicht lächerlich machen will. Der Rest zu jeder Person steht ohnedies im Lebenslauf.

Eindruck auf andere macht man – hoffentlich – durch die eigene Persönlichkeit, das eigene Auftreten, das eigene Können, aber sicher nicht durch ein paar Buchstaben vor oder hinter dem Namen. Die können höchstens zu peinlicher Verwirrung führen – etwa in jenen Ländern, wo man unter einem "Doktor" automatisch einen Arzt versteht, und dann als solcher konsultiert wird …

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