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Die tapferen Bürger von Belarus und die feigen von Europa

Während das mutige Volk von Belarus, die tapferen Männer und insbesondere Frauen des Landes erste gewaltfreie Erfolge im Kampf gegen die letzte zur Gänze in Europa liegende Diktatur erzielt und diese ins Wanken gebracht haben, zeigt die EU vor allem eines: Feigheit. Die "Sanktionsbeschlüsse", die jetzt gegen Belarus gefasst worden sind, bewegen sich nämlich an der Grenze des Lächerlichen. Sie sind ein neuer Beweis, wie schwer es ist, unter 27 Nationen einen Konsens mit Substanz zu erzielen. Dabei hätte es ganz eindeutige und sofortige Handlungsnotwendigkeiten gegeben, die das auf der Kippe stehende Belarus in die richtige Richtung bewegt hätten. Wenig erfreulich ist dabei die Rolle Österreichs, und besonders empörend das Verhalten Ungarns.

Schon die offizielle Formulierung des Beschlusses der EU-Außenminister klingt nach: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass". Sie lautete: "Es wurde vereinbart, mit der Vorbereitung gezielter Sanktionen gegen die für die Wahlfälschungen und Gewalt gegen friedliche Demonstranten verantwortlichen Personen zu beginnen."

"Mit der Vorbereitung zu beginnen": Genau so sagt man in der geschwurbelten Diplomatensprache, wenn man nichts Ernsthaftes tun will, aber bei den empörten Menschen den Eindruck erwecken will, dass man etwas täte. Denn einzelne Personen "gezielt" zu identifizieren, die die Wahlen gefälscht oder Gewalt geübt haben, wird wohl nicht gelingen. Wahrscheinlich wird halt der Belarus-Innenminister als einziges (Bauern-)Opfer übrigbleiben, dessen – nicht vorhandene – Konten in der EU gesperrt werden. Nicht einmal dem Diktator Lukaschenko selber werden Sanktionen angedroht. Es darf gelacht werden.

Die einzig wirkungsvolle EU-Aktion hätte in einem sofortigen Beschluss massiver Sanktionen bestehen müssen, die automatisch in Kraft treten, falls der Gewaltherrscher nicht binnen vier Monaten sauberen, international penibel kontrollierten Wahlen Platz gemacht hat. Damit würde man den Mann zusätzlich zu den internen Unruhen unter Druck setzen; damit gäbe man ihm aber gleichzeitig die Perspektive, durch einen Rücktritt noch selbst ungeschoren davonkommen zu können. Und genau dieser Perspektive wird für ihn von Tag zu Tag wichtiger.

Zentraler Teil unmittelbar beschlossener und nicht nur angekündigter Sanktionen müsste es sein, dass erstens die gesamte Führungsgarnitur – also die gesamte Regierung und etwa die 200 wichtigsten Beamten – persönlich bei Betreten von EU-Boden automatisch straf- und vermögensrechtlich zur Rechenschaft gezogen wird. Und dass zweitens auch absolut jeden Angehörigen der bewaffneten Einheiten und Sicherheitsbehörden die gleichen Konsequenzen treffen, falls er sich nicht jetzt binnen einer Woche nachweislich der Opposition unterstellt (was in einigen Orten ja schon geschehen sein soll). Jedem der Prügelpolizisten würden dadurch die persönlichen Konsequenzen seines Verhaltens klar gemacht werden, ohne dass man langwierig jedem einzelnen "gezielt" das Unmögliche nachweisen müsste, dass er selbst Menschen misshandelt und gefoltert hat, wie es die jetzige vage Ankündigung vorsieht.

Die Wirkung persönlicher Konsequenzen für jeden einzelnen Polizisten, lebenslang nicht mehr ins Ausland außer Russland fahren zu können, sollte man nicht unterschätzen. Vor allem wenn eine solche Androhung bei vielen Uniformträgern mit dem Druck der familiären Empörung der eigenen Ehefrauen, Mütter, Töchter und Söhne über das Vorgehen der Polizei zusammenfällt. Vor allem, wenn man gleichzeitig jedem Polizisten noch die Möglichkeit rascher tätiger Reue durch Seitenwechsel offenlässt.

Nur mit einem solchen Vorgehen hätte man gezeigt, dass Europa doch wenigstens in einigen Fragen mehr ist als ein Binnenmarkt. Das nicht nur die USA, sondern auch Europa zumindest auf dem eigenen Kontinent auch mit solchen Strategien arbeiten können. Ein solches Vorgehen wäre jedenfalls der einzig wirksame Beschluss zur Unterstützung für die zu Recht ganz in Weiß gehüllten Menschen des Landes gewesen, die sich ungeschützt, gewaltfrei und tapfer den brutalen Schergen des Diktators entgegenstellen. Gleichzeitig hätte ein solcher Beschluss Lukaschenko eine allerletzte, knapp bemessene Frist gegeben, sich noch ohne größeres Blutvergießen auf ein Altenteil retten zu können.

Das wäre der schlaueste, der einzig mögliche Beitrag gewesen, um die Zukunft des Landes in eine positive Richtung zu wenden, die nur Demokratie und Machtwechsel statt Dialog zwischen Ungleichen bedeuten kann. Damit würde Europa auch zeigen, dass es sich nicht von der Drohung beeindrucken lässt, der Diktator würde sich bei härterem Vorgehen EU-Europas ganz unter den Schutz Russlands begeben.

Russlands Putin hat zweifellos wenig Lust, russische Truppen nach Belarus zu entsenden, um Lukaschenko zu retten, und sich durch Aufnahme dieses Armenhauses in sein ohnedies unter einer schweren Krise leidendes Imperium noch ein weiteres Problem aufzuhalsen. Der Unterschied zur russischen Invasion in der Ukraine ist, dass Putin dort mit der Sympathie eines guten Teils der russisch-sprachigen Bevölkerung rechnen konnte. Außerdem würde sich in Belarus bei einer Zuwendung des Diktators zu Russland der erbitterte Protest der Bürger noch deutlich verschärfen.

Dabei ist der Protest der Bürger in Belarus längst schon auch ohne EU wirkungsvoll. Fast ganz Belarus bis auf die Polizei wendet sich gegen den Diktator. Die Männer bestreiken immer mehr Fabriken. Und die Protestketten der Frauen in den Straßen sind das Eindrucksvollste, was man seit Langem gesehen hat. Jedes weitere Video, das ins Ausland geschmuggelt wird und das die Wunden von Gefolterten zeigt oder Szenen, wie die Polizisten brutal gegen friedlich dastehende Frauen vorgehen, ist ein weiterer Rückschlag für Lukaschenko. Im Grund begreift wohl auch er langsam, dass er nicht mehr lange Zeit hat, wenn er noch andere Alternativen haben will, als wie einst Ceausescu bald zu sterben oder mit einem Hubschrauber im letzten Moment aus dem Präsidentenpalast Richtung Russland zu fliehen.

Es wäre daher für die EU die Chance gegeben gewesen, endlich einmal international rechtzeitig auf der richtigen Seite zu stehen. Und zumindest in einem unmittelbaren Nachbarland als starker Helfer in der Not dazustehen, ohne militärisch intervenieren zu müssen.

Daher ist auch das Verhalten Österreichs tief enttäuschend. Offensichtlich auf Intervention einiger in Belarus engagierter Austro-Konzerne, wie etwa A1, haben es Außenministerium wie alle Oppositionsparteien in ihren Stellungnahmen vermieden, so wie andere Mitgliedsstaaten sofortige und scharfe Sanktionen zu fordern.

Noch enttäuschender ist das Verhalten Ungarns. Es hat sich nach allen vorliegenden Informationen sogar mit einer EU-internen Veto-Drohung gegen scharfe Sanktionen quergelegt und statt dessen so wie etwa die SPÖ-Vorsitzende Rendi einen bloßen "Dialog" verlangt. Als ob es etwas Unmoralischeres gäbe, als Verbrecher und Opfer zum Dialog aufzufordern und damit als gleichwertig hinzustellen.

Damit liefert Regierungschef Viktor Orbán erstmals einen echten Beweis, dass er geistig offenbar doch nicht in der demokratischen Welt angekommen ist. Damit übertrifft er sein schon bisher suspektes Turteln mit Russland, China und der Türkei – also mit drei der übelsten Staaten auf diesem Globus – noch bei weitem.

Im Grund gibt es nur eine Erklärung für Orbáns Verhalten, die man wenigstens halbwegs verstehen, wenn auch nicht verzeihen kann: Er ist verbittert über die lächerlichen Vorwürfe der EU gegen sein Land, dieses wäre kein Rechtsstaat mehr. Aus diesem Zorn heraus ist er jetzt in ein völlig falsches Lager gewechselt.

Dabei ist alles, was die EU-Kampagne gegen Orbán begründet hat, dass er einer Privatuniversität des dubiosen Strippenziehers Soros die Akkreditierung entzogen hat und dass zwei linke Medien mangels Leser bankrott gemacht haben.

Dabei ist Orbán der einzige osteuropäische Regierungschef, der einst noch selbst tapfer gegen kommunistische Diktaturen und russische Kolonialherrschaft gekämpft hatte.

So wenig man also seinen jetzigen außenpolitischen Stellungswechsel gutheißen kann, so sehr muss man ganz deutlich auch jene Kräfte in der EU mitverantwortlich für die Entwicklung in Ungarn machen, die eine völlig absurde antiungarische Hetze inszeniert und das Land damit in eine völlig falsche Richtung getrieben haben. Schuld daran sind so gut wie alle grünen, roten und pinken Linksparteien, wie auch einige einst christdemokratischen Politiker namens Karas oder Juncker. Könnten diese Gruppen, die zugleich vor einem Russland-Schwenk in Belarus warnen, ein wenig strategisch und ökonomisch denken, wäre ihnen klar: Für Putin ist das sich toll entwickelnde Ungarn ein viel interessanterer Partner als das arme Belarus.

Jedenfalls aber kann das Verhalten Ungarns keine Rechtfertigung für andere Europäer sein, sich mit Scheinaktionen zu begnügen und in Sachen Belarus nur heiße Luft auszustoßen. Denn es ist ganz eindeutig, dass EU-Mitgliedstaaten auch alleine Sanktionen ergreifen könnten.

Was sie ja auch schon getan haben. So ist es in Österreich noch genau in – zornig machender – Erinnerung, wie im Jahr 2000 auf Initiative der damals in Europa dominierenden Sozialisten 14 EU-Staaten ohne Mitwirkung der eigentlichen EU-Institutionen gegen Österreich ein paar Monate lang Sanktionen praktiziert haben. Aus tausendmal lächerlicherem Anlass: In Österreich ist von zwei Parteien, die schon einmal mit den Sozialosten koaliert hatten, diesmal eine Koalition ohne SPÖ gebildet worden.

Ein eventuelles Abseitsstehen Ungarns ist also für kein einziges Land eine Entschuldigung, wenn es de facto tatenlos bleibt. Aber klar ist, dass eine kollektive Gemeinsamkeit viel schlauer und wirkungsvoller wäre.

PS: Noch nicht glauben kann ich die vorerst unbestätigte Information, dass sich die österreichische Außenpolitik nicht einer gemeinsamen deutlichen Erklärung anderer europäischer Länder wie auch fast aller amerikanischen Staaten gegen den venezolanischen Diktator Maduro angeschlossen hat, einen mit Lukaschenko vergleichbaren Typen. Aber angesichts des knieweichen Verhaltens Österreichs zu Belarus kann ich es nun nicht mehr ganz ausschließen, dass das doch stimmt.

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