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„Rechtsstaatlichkeit!“ hat mit Recht nichts zu tun

Selbstverständlich wird jeder anständige Mensch "Ja!" sagen, fragt man ihn, ob er für Rechtsstaatlichkeit ist. Nur: Wofür ist er denn eigentlich mit diesem "Ja"? Je näher man den Begriff untersucht, umso mehr zeigt sich nämlich, dass "Rechtsstaatlichkeit" ein Wieselwort ist, das sich wieselflink jeder präziseren Definition entzieht. Genauso wie das etwa auch beim vielstrapazierten Wort "Anständigkeit" der Fall ist oder bei den im Sprachgebrauch früherer Epochen beliebten Ausdrücken "Tugendhaftigkeit" oder "Sittsamkeit". Die allgemein gehaltene EU-Forderung nach "Rechtsstaatlichkeit" steht in eindeutigem Widerspruch zum Rechtsstaat, für den zumindest auf dem europäischen Kontinent seit mehr als 200 Jahren (abgesehen von totalitären und absolutistischen Phasen) immer klar gewesen ist, dass Recht immer auf ganz konkrete Gesetze, auf gesatztes Recht zurückgehen muss. Sobald aber eine – etwa EU-europäische – Obrigkeit beginnt, einen solchen undefinierten Wiesel-Begriff mit all ihren Macht- (konkreter: Geld-)mitteln durchzusetzen, entsteht ein totalitäres System. Das wird nichts anderes als der aus der Geschichte blutig und sattsam bekannte "Tugendterror". Umso bedrückender ist, dass auch die österreichische Regierung begonnen hat, diesen Anspruch zu unterstützen. Sie tut dies offensichtlich auf Verlangen der Grünen, die damit – in Einklang mit der europäischen Linken und der linken Mehrheit in Kommission und EuGH – eine Waffe gegen konservative Regierungen zu schmieden versucht.

Entscheidend in so einer wichtigen Frage sollte aber doch der Bundeskanzler sein. Ich weiß allerdings nicht, wie weit Sebastian Kurz in seinem unterbrochenen Rechtsstudium zum zentralen Begriff jedes zivilisierten Rechtssystems seit dem 18. Jahrhundert vorgedrungen ist. Jedenfalls sollte er sich eingehender als bisher damit befassen, auch wenn koalitionäre Rücksichten dagegen sprechen. Dieses Grundprinzip lautet: "Nullum crimen sine lege, nulla poena sine lege." Es darf nichts ein Delikt sein, nichts zu einer Strafe führen, was nicht im Gesetz genau definiert ist. Ein einem Chamäleon gleichendes Wieselwort kann niemals ein solches Gesetz ersetzen.

Wer dieses eherne juristische Prinzip aus dem Weg räumt, ebnet absoluter Willkür durch jene Menschen Tür und Tor, die nach ihrem Gutdünken "Rechtsstaatlichkeit" definieren und die dann das Ergebnis ihres Gutdünkens mit Strafen, mit Sanktionen durchsetzen können. Genau um dieser gewaltigen Gefahr zu begegnen, hat ja etwa die österreichische Verfassung einen langen und ausgefeilten Mechanismus geschaffen, der definiert, was Recht ist, beziehungsweise wie es zustandekommt. Der festhält, dass auch die gesamte Verwaltung ausschließlich und nur auf Grund von Gesetzen erfolgen darf.

Würde die österreichische Verfassung hingegen funktionieren, wie es die Mehrheit der EU-Regierungschefs einschließlich des österreichischen neuerdings verlangt, dann könnte sie ja aus einem einzigen Satz bestehen: "Österreich ist ein Rechtsstaat; was das aber eigentlich ist, bestimmen die jeweiligen Machthaber." Punkt.

Es ist kein Zufall, dass jeder Staat eine jeweils sehr eigene und unterschiedliche Verfassung hat, auf die auch überall die Bürger stolz sind. Daher ist es absurd, wenn eine überstaatliche Struktur wie die EU plötzlich versucht, selbst zur Hüterin und Durchsetzerin des Wieselwortes "Rechtsstaatlichkeit" zu werden. 

Es ist auch völlig falsch, wenn behauptet wird: Aber im Grund sind die wesentlichen Passagen der Rechtsordnung überall inhaltsgleich, daher würde es nicht so viel ausmachen, dass "Rechtsstaatlichkeit" nirgendwo klar definiert ist.

Das sei an ein paar – von hunderten – Punkten gezeigt, bei denen bis heute von Staat zu Staat das Verständnis, was Rechtsstaat ist, signifikant unterschiedlich ist, und die zum Teil heute mehr denn je für Streit sorgen:

  1. Ab welchem Alter darf man wählen?
  2. Dürfen nur Staatsbürger oder auch Ausländer wählen (was etwa die Grünen vehement wollen!)?
  3. Ab wann und unter welchen Voraussetzungen wird man Staatsbürger?
  4. Steht an der hierarchischen Spitze ein gewähltes Staatsoberhaupt oder sind auch Erbmonarchien demokratisch und damit rechtstaatlich?
  5. Ist Briefwahl demokratisch und damit rechtstaatlich?
  6. Ist Internetwahl demokratisch und damit rechtstaatlich?
  7. Ist Österreich weniger rechtstaatlich, seit nur noch alle fünf Jahre gewählt wird?
  8. Muss ein Staat, muss die EU föderalistisch sein (was die EU mit dem verbal oft beschworenen Subsidiaritätsprinzip als Ziel behauptet) oder sollen sie immer zentralistischer werden (worauf die plötzliche "Rechtstaatlichkeit"-Kampagne ebenso hinzielt wie zahllose andere Entwicklungen der Union, von der gemeinsamen Währung bis zur gemeinsamen Bankenaufsicht, die alles andere als subsidiär sind)?
  9. Darf man das Pensionierungsalter für Richter nach unten setzen (womit Polen die noch immer starken kommunistischen Reste in der Justiz entfernen will, die dort mit Hilfe der lange nach der Wende weiterregierenden Postkommunisten noch eine bedeutende Rolle gespielt haben) oder war es rechtsstaatlich sauberer, gleich nach der Wende alle kommunistischen Richter in Pension zu schicken (wie es Deutschland gemacht hat, dessen – lautstarke – linke Hälfte jetzt merkwürdigerweise Polen die Rechtsstaatlichkeit abzusprechen versucht)?
  10. Darf man ausländische (oder nichteuropäische) Universitäten und Vereine besonderen Registrierungen, Gebühren und Genehmigungsverfahren unterwerfen (was etwa Österreich auf zahllosen Ebenen von den Studenten bis zu Unternehmen macht)?
  11. Ist ein Staat noch rechtsstaatlich, der alljährlich hunderte Millionen sehr gezielt an bestimmte Medienprodukte fließen lässt, was eine schwere Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit anderer Medien bedeutet? Dieser Punkt, der etwa Ungarn vorgeworfen wird, trifft nämlich haargenau auch auf Österreich zu.
  12. Ist angesichts der Einschränkung der Meinungsfreiheit durch das Verbotsgesetz noch Rechtsstaatlichkeit gegeben?
  13. Ist angesichts der Einschränkung der Meinungsfreiheit durch den Verhetzungsparagraphen noch Rechtsstaatlichkeit gegeben?
  14. Wieweit ist gesetzliche Gebührenpflicht bzw. Inserateneinschaltungspflicht für bestimmte privilegierte Medien (selbst wenn man diese nie benutzt) als Verzerrung der Medienfreiheit noch rechtsstaatlich?
  15. Wieweit sind konfiskatorische Steuersätze von über 50 Prozent noch rechtsstaatlich?
  16. Ist ein Land noch rechtsstaatlich, das ohne jede Kontrolle wie Deutschland Hunderttausende Menschen aus anderen Erdteilen einwandern lässt? Ist das nicht der Inbegriff einer Aufgabe der Herrschaft des Rechts gewesen?
  17. Ist eine Union noch rechtsstaatlich, die einen Teil ihrer Mitglieder zwingt, andere Mitglieder, die alle Verpflichtungen zur Schuldenbegrenzungen gebrochen haben, zu finanzieren (obwohl im eigenen Gründungsvertrag eine solche Staatenfinanzierung ausdrücklich verboten ist)? Die also die ökonomischen Rechtsbrecher belohnen will.

Sehr lange ließe sich diese Liste fortsetzen, die zeigt, dass es alles andere als eindeutig ist, was eigentlich Rechtsstaatlichkeit bedeutet. Dass daher die Einführung massiver Konsequenzen für die Verletzung irgendeines Elementes von etwas gar nicht eindeutig Definiertem ein unerträglicher Weg in die Willkür wäre.

Es ist absolut unverständlich, dass auch die österreichische Regierung mit viel Steuergeld der Österreicher jetzt ein System subventionieren will, dass einer extrem abgehobenen Bürokraten-, Politiker- und EuGH-Richter-Klasse diesen Weg zur Willkür finanziert. Das ist viel wesentlicher als die reine Geldfrage, wieviel Promille Rabatt Österreich bekommt.

Das heißt wohlgemerkt nicht, dass es abzulehnen wäre, in allen oder einigen der genannten, wie auch in anderen Punkten genaue Gesetze (Verordnungen, Richtlinien, Konventionen) zu beschließen, die den Staaten Pflichten auferlegen. Aber diese Pflichten müssen präzise und nachvollziehbar sein. Sie müssen von den Staaten freiwillig eingegangen worden sein. Und sie dürfen vor allem nur für die Zukunft und nicht für die Vergangenheit gelten. Was eigentlich absolute Minimalregel sein sollte, wenn irgendetwas als "rechtsstaatlich" gelten soll.

Für Österreich kommt neben der grundsätzlichen Bedeutung der Frage nach dem wahren Rechtsstaat auch noch ein sehr gravierender außenpolitischer Punkt dazu: Das Land entfernt sich auf Verlangen der Grünen immer mehr von seiner mitteleuropäischen Nachbarschaft, gerät damit in völlig überflüssige politische Isolation.

All das, nur um diese Koalition am Leben zu halten?

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