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Mein Gott, Tanner!

Die Peinlichkeiten der Verteidigungsministerin. Die sicherheitspolitische Rolle von Sebastian Kurz. Das Versagen der politischen Klasse. Die überflüssige Aufwertung des Bundespräsidenten. Keine Zukunft Nato. Keine Zukunft Neutralität. Suche nach Europas Sicherheit. Und was die weitaus größte Sicherheitsbedrohung des 21. Jahrhunderts ist.

Die jetzige Verteidigungsministerin hat noch nie zu den positiv auffallenden Figuren in der schwarz-grünen Truppe gezählt. Klaudia Tanner hat statt einer nachvollziehbaren Politik dauernd bis an die Grenze der Peinlichkeit inhaltliche Kompetenz durch zackig-grimmiges Auftreten ersetzt, das sie offenbar für die wichtigste Eigenschaft bei der Landesverteidigung hält.

Während man bisher aber darüber nur schmunzeln konnte, so ist jetzt ernste Besorgnis angesagt. Die Schuhe eines Ministers haben sich ihr als um etliche Nummern zu groß erwiesen. Diese Erkenntnis bringt aber auch Sebastian Kurz ins Spiel, der sie ihr angezogen hat, der zusammen mit dem Rest der politischen Klasse der letzten Dekade mitschuld am Schlamassel der Landesverteidigung ist.

Analysieren wir im Detail den Sündenkatalog des sicherheitspolitischen Versagens von Frau Tanner und der gesamten Republik:

  1. Tanner hat über mehrere inoffizielle Kanäle ein neues Landesverteidigungskonzept präsentieren lassen, welches das Bundesheer de facto zu einer Hilfsorganisation für Feuerwehr und Polizei reduziert, welches die militärische Landesverteidigung für unwichtig erklärt, welches massiven Personalabbau und Kasernenschließungen enthält. Einmal angenommen, das wäre ein richtiges Konzept, dann ist es grenzenlos peinlich, wie die Ministerin binnen weniger Stunden öffentlich eingegangen ist und alles wieder zurückgenommen hat. Sie gehört damit in die gleiche Pappkameraden-Gruppe wie der Gesundheitsminister, der binnen 24 Stunden das Landeverbot für Flugzeuge aus Nordrhein-Westfalen wieder zurückgenommen hat.
  2. Ein Fernsehauftritt der Ministerin dazu setzte ihre Peinlichkeiten fort, als sie auf – diesmal völlig korrekte – Fragestellungen des ORF keine einzige Antwort gegeben hat. So insbesondere dazu, ob das von hohen Offizieren präsentierte Konzept nun ihr Konzept gewesen ist oder nicht. Womit klar ist, dass es das war. Sonst hätte sie ja die vor die Medien tretenden Offiziere sofort beurlauben oder zumindest disziplinär rügen müssen.
  3. Tanner hat für ihren Vorstoß keinerlei Unterstützung in der eigenen Partei bekommen. Dafür sind zwei Erklärungen möglich. Die eine: Sebastian Kurz – als Personifizierung der ÖVP – ist eingebunden gewesen, hat sie dann aber im Regen stehen lassen, als dieser unerwartet heftig losgegangen ist. Was ziemlich gegen ihn sprechen würde (auch wenn man Kurz zugestehen muss, dass er durch die lächerlichen Verschwörungstheorien des Ibiza-"Oasch"-Ausschusses, den Umgang mit der schweren Wirtschaftskrise und die schwere Abwehrschlacht auf EU-Ebene in Sachen Umverteilung von Geld nach Südeuropa und "Flüchtlingen" nach Nordeuropa zeitlich schwer belastet ist).
  4. Zweite denkbare Erklärung: Frau Tanner ist politisch so ahnungslos, dass sie mit so einem Plan vorstößt, ohne sich zuvor zumindest parteiintern abgesichert zu haben. Das aber würde – zusammen mit ihrem öffentlichen Sofort-Rückzieher – schlicht zeigen: Die Dame ist schwer überfordert bis unfähig. Der Sprung vom niederösterreichischen Landtag in eines der schwierigsten Ministerien ist halt ein zu großer gewesen und hat mit einem Bauchfleck geendet.
  5. Damit trifft aber auch den ÖVP-Obmann eine Culpa in Eligendo. Sein dominierendes Doppelprinzip bei der Personalauswahl hat sich wieder einmal als unzulänglich erwiesen: Erstens, Minister wird nur, wer total loyal ist, und zweitens: Hauptsache, eine Frau.
  6. Tanner hat mit ihrem Rückzug aber auch einen strategischen Fehler wiederholt, den Kurz schon im Vorjahr im Krisenkessel zwischen Ibiza und Misstrauensvotum begangen hat: Beide haben den Bundespräsidenten überflüssigerweise aufgewertet. Der Hundebesitzer aus der Hofburg, der es ja ganz offensichtlich nicht gut mit der ÖVP meint und schon seit seiner erfolgreichen Vermeidung eines Präsenzdienstes (höchstwahrscheinlich durch politische Protektion der damals alleinregierenden SPÖ) auch mit dem Bundesheer nicht, wurde durch Kurz und Tanner in eine viel mächtigere Position gebracht, als sie seinem Amt laut Bundes- wie Realverfassung zustehen würde. Etwa ein Bruno Kreisky – der ja einst als erster durch die populistische Verkürzung des Wehrdienstes die Demontage des Heeres begonnen hat – hat damals keine Sekunde den Bundespräsidenten beim Heer mitspielen lassen, sondern allein mit dem Armeekommandanten Spannocchi die Reform ausgeknobelt (übrigens auch weitgehend am "zuständigen" Minister vorbei).
  7. Zwar steht in der Verfassung, dass der Bundespräsident "Oberbefehlshaber" des Bundesheeres ist. Aber das ist vorsichtig ausgedrückt ein innerer Widerspruch in der Verfassung, bei dem wohl die einstige Rolle des alten Kaisers nachhallt. Aber in Wahrheit ist der Bundespräsident wirklich in allem – bis auf Bestellung und Abberufung eines Bundeskanzlers beziehungsweise einer ganzen Regierung – auf Vorschläge der ganzen Bundesregierung angewiesen. Ohne die darf er nur Blumen in der Hofburg gießen. Auch beim "Oberbefehl" darf er ohne einen solchen Vorschlag gar nichts. Es ist daher verfassungsrechtlich unnötig und politisch unklug, ihn so zu behandeln, als wäre er mächtig wie etwa der französische Präsident. "Oberbefehl" ist eine reine Ehrenbezeichnung.
  8. Auch wenn man die einstige Kreisky-Spannocchi-Reform für problematisch hält: Der damalige Bundeskanzler hat jedenfalls richtig erkannt, dass das ein Thema ist, wo der Regierungschef selbst an vorderster Front stehen muss. Das kann man keinesfalls den Offizieren oder dem Minister überlassen.
  9. Das öffentliche Schweigen von Sebastian Kurz erinnert daran, dass nicht nur er, sondern auch die meisten seiner Vorgänger keinen sonderlichen inneren Bezug zum Bundesheer und zu den Notwendigkeiten der Landesverteidigung hatten. Ihnen allen war und ist das Heer im Grund eine unnötige Last im Budget, mit der man kaum Wählerstimmen lukrieren kann.
  10. Kurz ist zwar zuzubilligen, dass das Bundesheer jetzt eine zehnprozentige Budgeterhöhung bekommen hat, mehr als je zuvor. Aber – wie die Regierungserklärung und all seine früheren Aussagen beweisen – auch in seinem Denken ist das Heer im Grunde nur eine Ersatz-Feuerwehr und Ersatz-Polizei.
  11. Der letzte Bundeskanzler, der sich selbst für das Heer und dessen militärische Notwendigkeit in die Bresche geschlagen hat, war eindeutig Wolfgang Schüssel, als er die Anschaffung der Eurofighter gegen Jörg Haider, Rot und Grün durchgesetzt hat. Der von den üblichen Teilen der Staatsanwaltschaft unterstützte Hass- und Rachefeldzug der SPÖ gegen diesen Flugzeugkauf belastet die Republik jedoch seit mehr als einem Jahrzehnt. Ohne jedes rechtliche Ergebnis. Die SPÖ hätte laut ihren einstigen Plakaten statt dessen lieber populistisch eine Pensionserhöhung gehabt – nach gut uniformierten Quellen aber noch lieber einen Deal mit ihren schwedischen Freunden, so wie einst beim nie aufgeklärten Draken-Kauf. Dass die Grünen und ihr Bundespräsident, die diesen SPÖ-Kampf massiv unterstützt und auch sonst zahllose Anti-Heeres-Aktion gesetzt haben, nun plötzlich für die militärischen Aufgaben des Heeres eintreten, verdient wohl kein sonderliches Ausmaß an Glaubwürdigkeit. Ebensowenig Glaubwürdigkeit haben die Freiheitlichen, die in ihrer Regierungszeit viel mehr für Posten und fürs Rauchen gekämpft haben als fürs Bundesheer, das ihnen nur Verbalbekenntnisse wert war.
  12. Aber auch Tanner hat sich – ohne auf irgendwelchen Widerspruch in der eigenen Partei zu stoßen, also offensichtlich mit Zustimmung des Parteichefs, – nach Amtsantritt als Eurofighter-Hasserin etabliert. Und damit die gesamte Linie der ÖVP in allen früheren Jahrzehnten konterkariert. Sie hat sich mit martialischen Sprüchen aufgeplustert und damit aber nur lächerlich gemacht: "Die bei Airbus werden mich noch kennenlernen." Lächerlich haben sich aber auch die Finanzprokuratur und der frühere Verteidigungsminister aus dem Burgenland gemacht, die den Eurofighter-Hersteller mit Strafanzeigen in die Enge treiben wollten. Sie haben dabei aber blöderweise auf die Notwendigkeit eines juristisch relevanten Substrats einer Anzeige vergessen.
  13. Eine besondere Peinlichkeit an dem in Hintergrundgesprächen präsentierten Reformprojekt des Tanner-Ministeriums war neben dem Vergessen der militärischen Landesverteidigung der Versuch, die bisher ein Hausmeister-ähnliches Schattendasein fristenden Landesmilitärkommandanten plötzlich zur mächtigsten Hierarchieebene zu machen. Dahinter steht nicht nur die Priorität für nichtmilitärische Aufgaben (bei denen die Militärkommandanten tatsächlich schon bisher eine Rolle gespielt haben), sondern auch ein Kotau vor den Landeshauptleuten, die da plötzlich indirekt ziemlich aufgewertet worden wären.
  14. Die ÖVP-interne Macht der Landeshauptleute ist zweifellos auch entscheidend dafür gewesen, dass Frau Tanner nach einigen Stunden gleich auch noch einen weiteren zentralen Punkt der verkündeten Reformvorhaben wieder ausdrücklich zurückgenommen hat: die beabsichtigte Schließung einiger Kasernen. Aus dieser ist dann im Zuge des Tannerschen Rückzugsgefechts plötzlich im Gegenteil eine Standortgarantie für alle Garnisonen geworden, also das Versprechen, wenn an einem Ort Kasernen geschlossen werden, werde eine neue gebaut. Dabei war das sicher eines der klügsten Elemente des Plans: Denn die vielen übers Land verstreuten Kleinkasernen haben weder für militärische noch für nichtmilitärische Aufgaben des Heeres einen Sinn. Sondern nur für die jeweiligen Bürgermeister. Und damit auch für die Landeshauptleute. Für die Landesverteidigung sind sie unnötig und eine Reduktion der Effizienz.
  15. Auch der zweite vernünftige Punkt des in Expresszeit wieder schubladisierten Tanner-Papiers wird wohl kein langes Leben haben. Das wäre der massive Abbau einiger tausend beamteter Heeresangehöriger gewesen. Dabei fließt genau dorthin viel Geld, das deswegen auch nicht für die benötigte Ausrüstung und für die völlig verkümmerte Miliz - die eine viel höhere Effizienz böte - zu Verfügung steht. Aber das wird mit Sicherheit die der ÖVP nicht gerade fernstehende Personalvertretung zu verhindern wissen.
  16. Fragwürdig an den Reformüberlegungen ist hingegen, ob die Abwehr der – zweifellos bestehenden und wachsenden – Gefahr von Cyber-Attacken beim Heer mit seinem ganzen bisherigen Denken und Zuschnitt wirklich in besten Händen ist. Jedenfalls wäre gerade auf diesem Gebiet dringend eine ministerienübergreifende Struktur nötig. Insbesondere mit dem Innenministerium und dem Verfassungsschutz, mit dem ständig "Digitalisierung!" rufenden Wirtschaftsministerium und auch mit dem Außenministerium, das monatelang Ziel von externen Cyber-Attacken gewesen ist.
  17. Dennoch ist völlig klar – und könnte vielleicht sogar unbeabsichtigt zur positiven Folge des Tanner-Vorstoßes werden: Österreich bräuchte dringend mehr Bewusstsein, wie wichtig eine funktionsfähige militärische Verteidigungskapazität ist. Wenn jetzt Grüne und Rote plötzlich rufen: Das steht doch sogar schon in der Verfassung, dann sollten wir alle sie auch wirklich beim Wort nehmen, war ihnen das Heer doch durch die Bank bisher nicht wichtig.
  18. Bei der militärischen Bedeutung des Bundesheeres geht es nicht nur um Geld und Ausrüstung, sondern auch um die internationale Dimension, also darum, in welchem Rahmen Österreich überhaupt sinnvoll Landesverteidigung betreiben kann. Dabei geht es darum, dass die isolationistisch gewordenen USA sich von Europa abwenden. Dabei geht es um den Außengrenzschutz der EU, der zweifellos eine zehnmal wichtigere gemeinsame Aufgabe der EU ist als die zahllosen Dinge, in die sich die links gewordene Union zum Ärger der Bürger überflüssigerweise einmischt. Dabei geht es darum, dass unmittelbar an der EU-Grenze zwei chauvinistisch-aggressive Großmächte stehen, die in den letzten Jahren unverfrorene Eroberungskriege durchgeführt haben.
  19. Dabei geht es vor allem darum, dass insbesondere die Türkei auch schon mehrfach die EU angegriffen hat und längst die größte Bedrohung unserer Sicherheit ist. Durch die anhaltende Besetzung eines Teils des EU-Mitgliedsstaats Zypern; durch Beschießung griechischen Territoriums, um islamischen Migranten den Weg in die EU freizumachen; durch die militärische Begleitung von "Flüchtlingsbooten" auf der Fahrt zu griechischen Inseln; durch Öl- und Gas-Bohrungen auf dem Meeresgrund von EU-Ländern; durch den De-Facto-Angriff auf EU-Schiffe, die Waffenlieferungen nach Libyen verhindern wollen. Wenn Frau Tanner und ihre höchsten Offiziere nicht begreifen, dass es da ganz unmittelbar um unsere eigenen Sicherheitsinteressen geht, dann sollte man ihnen klarmachen, dass sie den falschen Beruf haben.
  20. Aber wir sollten in diesem Zusammenhang auch endlich eine mutige und schmerzhafte öffentliche Diskussion darüber beginnen, wie gefährlich für Österreichs Sicherheit es ist, dass schon ein satter zweistelliger Prozentsatz der Rekruten vor allem im Wiener Raum islamisch-türkischen Hintergrund hat. Was bedeutet das angesichts der Gefahren durch die aggressive türkische Diktatur? Wenn auf der anderen Seite die Türkei steht, ist da das Bundesheer noch einsatzfähig? Aber darüber, was zweifellos das weitaus größte Sicherheitsproblem Österreichs ist, reden sie alle nicht.

Jetzt werden manche Leser fragen, warum redet der Autor nirgends über Nato und Neutralität. Nun, über die Absurdität und den Anachronismus der Neutralität eines Kleinstaats und EU-Mitglieds habe ich schon hunderte Texte geschrieben. In Sachen Nato habe ich allerdings im Laufe der letzten zwanzig Jahre tatsächlich zunehmend meine Meinung geändert. Je bösartiger die Türkei geworden ist, umso widersinniger ist es geworden, einem Bündnis beizutreten, dem die Türkei angehört. Und je mehr sich die USA abwenden, umso weniger Bedeutung hat die Nato überhaupt noch.

Es muss – es müsste statt dessen ganz eindeutig um eine eigenständige Verteidigungs-Kapazität der EU gehen, an der selbstverständlich auch die Neutralen voll mitzuarbeiten haben. Aber das begreift man nur noch in Paris und London, aber nicht einmal mehr in Berlin und Rom. Die Briten gehen jetzt jedoch weg aus Europa. Und die Franzosen gehen sicherheitspolitisch immer mehr ihre eigenen Wege. Sie sind der einzige EU-Staat, der sich dem türkischen Vorstoß in Libyen entgegenstellt, während man bei der EU nicht einmal politisch weiß, was man dort eigentlich will, während man militärisch ohnedies ein Eunuch ist.

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