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Kolonie Europa 2.0

Zuerst haben sie Großbritannien hinausgebissen. Zugleich drücken sie die Schweiz an die Wand. Zugleich haben sie die USA verbissen. Dann haben sie Polen und Ungarn niedergebissen. Und jetzt sind Österreich, die Niederlande, Dänemark und Schweden an der Reihe. Diese Vier haben sich zwar verbündet, sind aber schon halb umgefallen. Vielleicht, so denkt bei ihnen mancher inzwischen voll Reue, hätten wir uns schon viel früher mit den anderen Opfern eines neuen europäischen Kolonialismus solidarisieren sollen, damit dieser nicht so übermächtig werden kann. Aber dazu ist es wohl inzwischen zu spät. Viele Europäer haben nicht einmal noch so richtig erkannt, dass die Hauptstadt dieses Neoimperialismus gar nicht in Brüssel (oder den anderen EU-Metropolen Luxemburg, Frankfurt, Straßburg) zu finden ist, sondern ganz wo anders.

Die wahren Machtzentralen dieses neuen Kolonialeuropas sind Paris und Berlin. Bei Meinungsverschiedenheit zwischen diesen beiden Staaten hat sich am Ende zwar immer Frankreich durchgesetzt – aber auch Deutschland hat sich jedes Mal selbst Vorteile geholt. Das kann man vom Umgang mit den Briten rund um den Brexit bis zur Behandlung der anderen zuvor genannten Länder nachweisen.

Das hat man auch schon bei der deutschen Wiedervereinigung gesehen. Diese wurde von Frankreich erst erlaubt, als Deutschland zugestimmt hat, die harte D-Mark zugunsten des nur noch verbal harten, innerlich aber butterweichen Euro-Projekts aufzugeben.

Dieses Projekt stellt sich heute als genau das heraus, was Kritiker schon in den 90er Jahren befürchtet haben (ich selbst habe das damals übrigens leider nicht ganz durchschaut). Zwar stehen in den Verträgen von EU, EZB und Euro theoretisch die gleichen Stabilitätsziele, die Deutschland (wie auch Österreich) so erfolgreich mit seiner einstigen Hartwährungspolitik verfolgt hat. Die Mehrheitsverhältnisse in der EZB haben daraus aber im wirklichen Leben ohne große Gegenwehr ein schon mehr als zwei Jahrzehnte lang wirkendes Finanzierungsinstrument für die unsoliden Länder im Süden Europas gemacht. Dieses geht auf Kosten der sparsameren und disziplinierteren Menschen in nördlicheren Ländern. Allein die deutschen Sparer haben bisher 360 Milliarden zugunsten des Südens ablegen müssen, die Österreicher rund ein Zehntel dieser Summe.

Hauptvehikel dieses größten ohne Kriege stattfindenden finanziellen Transfers der Geschichte waren:

  • die Null- und Negativzinsen, mit denen Italien & Co ihre Staatsschulden finanzieren konnten,
  • die Ankäufe gigantischer Summen von Staatsanleihen,
  • die diversen Kohäsions- und Strukturfonds,
  • sowie der Trick der Target-Salden, mit denen ebenfalls große Summen in den Mittelmeerländern gelandet sind, die nur rein theoretisch noch eine Rückzahlungsverpflichtung von Italien & Co darstellen.

In der Summe sind bis jetzt schon Euro-Billionen auf Nimmerwiedersehen am Rand des Mittelmeers verschwunden.

Das widerspricht zwar eindeutig allen europäischen Verträgen, die eine Staatsverschuldung ausschließen. Aber dennoch hat bisher nur der deutsche Verfassungsgerichtshof laut zu sagen gewagt, dass die EZB glatte Vertragsverletzung begeht. Aber auch er findet kaum politische Unterstützung im eigenen Land, selbst wenn die Mehrheit der Deutschen ähnlich denkt.

Lediglich die kleine FDP, der Wirtschaftsflügel der CDU und die AfD äußern sich ähnlich. Die AfD – die ja sogar genau wegen dieser ständigen "alternativlosen" Milliardentransfers Richtung Süden gegründet worden ist – wird mit brutalsten Mitteln (siehe etwa den Hinauswurf des Verfassungsschutz-Chefs) zum Schweigen gebracht; auf jedes ihrer Argumente wird von Regierung zusammen mit den im Gleichschritt marschierenden Medien sofort "Nazis!" gebrüllt. Die Verfassungsrichter anderer Länder schweigen zum Bruch der europäischen Verträge überhaupt. Egal ob aus Demut oder aus Feigheit. In Österreich etwa haben sie sich lieber mit der Einführung der Schwulenehe befasst.

Und jetzt setzt Frankreich durch, dass noch ein weiteres Finanzierungsvehikel dazukommt: die direkte Finanzierung durch die EU. Der Widerstand jener vier Länder gegen diesen neuen Vertragsbruch wird mit Sicherheit bald niedergewalzt sein. Das merkt man auch an den Tag für Tag weicher werdenden Formulierungen etwa von Sebastian Kurz oder seinem Finanzminister Gernot Blümel. Offenbar spüren auch sie, dass man gegen die Macht der neuen Kolonialherren keine Chance hat.

2020 läuft wie 2000

Das Trommelfeuer gegen die Widerstandsversuche der Vier rund um Sebastian Kurz erinnert lebhaft an die antiösterreichischen EU-Sanktionen des Jahres 2000. Interessanterweise wird überall Österreich ohne Beweis als Haupträdelsführer der Ungehorsamen herausgepickt. In deutschen Zeitungen werden die Vier mit unglaublicher Großmachtpräpotenz als "klein, geizig und ziemlich frech" verhöhnt. Und die österreichischen Linksparteien stehen – natürlich – wieder einmal nicht im Lager Österreichs, sondern jenem der Kolonialherren.

So verlangt der grüne Vizekanzler Kogler wider den größeren Regierungspartner, dass die Südländer nicht nur Kredite, sondern auch verlorene Zuschüsse bekommen sollen. So ist für die Neos das französisch-deutsche Diktat ein "Schritt in die richtige Richtung" (womit sich die Neos wieder einmal weit linker und EU-fanatischer positionieren als die deutsche FDP). So behauptet die SPÖ-Chefin Rendi-Wagner gar, wenn Österreich nicht Paris und Berlin unterstützt, handle es "gegen die Interessen Österreichs und gegen das Projekt Europa". Dieses diffuse "Projekt Europa" ist zwar nie definiert worden, dient aber als Allzweckvehikel, das offenbar über allen Verträgen, über allen österreichischen Interessen und über aller ökonomischen Vernunft steht.

"Frau Pameli" (wie sie am Montag ein ZiB-Moderator gleich zweimal nannte) verwendete wieder einmal das bei Sozialisten beliebte Münchhausen-Argument: "So wie wir uns in Österreich aus der Krise hinausinvestieren müssen, müssen wir das auch auf europäischer Ebene tun." Seltsame Logik: Nur weil es schon Österreich kaum gelingen wird, sich binnen weniger Jahre an den eigenen Haaren aus der Krise durch 38 Milliarden neue Schulden herauszuziehen, sollen wir jetzt auch noch in europäische Fässer ohne Boden weitere Milliarden schütten. Die Freiheitlichen begnügen sich wenigstens mit innerösterreichischen Unsinnigkeiten wie der Forderung nach einem Preisstopp (dessen einzige Wirkung bekanntlich immer ist, dass eine Ware knapp wird).

Natürlich wird es am Schluss als "Kompromiss" einige kleine gesichtswahrende Kosmetik-Regelungen geben, damit Österreich& Co das Gesicht wahren können. So wird wohl nicht gleich von Anfang an das ganze Geld – vorerst ist eh "nur" von 500 Milliarden die Rede – als verlorene Zuschüsse nach Rom, Madrid, Athen und Paris fließen. Ein Teil wird wohl noch als Kredit bezeichnet werden. Aber übers Jahr, oder wann halt wieder weiteres Geld gebraucht wird, wird man diese kosmetische Bezeichnung vergessen. Und weiteres Geld schicken.

Eine weitere Kosmetik zur Beruhigung der Kritiker wird wohl darin bestehen, dass das Geld nicht direkt ins allgemeine italienische Budget fließen wird, sondern in einzelne "Projekte" wie Spitäler oder Infrastruktur. Als ob deren Finanzierung nicht in jedem Land sowieso zentrale Aufgabe der nationalen Budgets wäre.

Ebenso zur Täuschung dient die Tatsache, dass man zwar (vorerst) von 500 Milliarden Gesamtsumme redet, dabei aber völlig offenlässt, wie die Aufbringung der Summe auf die einzelnen Länder überhaupt aussehen wird! Mit gutem Grund: So gibt es Berechnungen des "Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung", dass ausgerechnet Polen den größten Beitrag leisten werde müssen. Und dass ausschließlich sieben Mittelmeerländer die Empfänger sein werden: Griechenland, Zypern, Kroatien, Italien, Frankreich, Spanien und Portugal. Den größten Anteil würden – natürlich – Italien und Frankreich kassieren. Aber mangels klarer Aufteilungsformel, die wohl bewusst geheim geblieben ist, wird das Allerwichtigste überhaupt ignoriert, nämlich: Wer zahlt? 

Ebenso zur Kosmetik wird dienen, dass jetzt eine verwirrende Fülle von Fonds, EU-Unterinstitutionen und Plattformen ins Spiel gebracht werden, über die das Geld aufgeteilt fließen wird. Bis dann halt alle den Überblick verloren haben und das Geld ungebremst fließen kann.

Uns Bürgern bleibt nur betrübt festzustellen,

  • dass das alles nie so vereinbart gewesen ist (der EU ist vertraglich sogar ganz ausdrücklich die Finanzierung maroder Staaten verboten!);
  • dass die EU an sich ein ganz hervorragendes Projekt gewesen ist, als gemeinsamer Markt, als Wirtschaftsgemeinschaft, als Binnenmarkt;
  • dass sie aber seit 20 Jahren, ohne dass jemals ein Vertrag das so vorgesehen hätte oder gar die Bürger dazu gefragt worden wären, vor allem durch die Achse Berlin-Paris ins Gegenteil verwandelt wird, in eine Schuldenunion ohne jede Selbstverantwortung einzelner Länder.

Die Motive von Paris, Brüssel und Berlin

Wer sich verzweifelt fragt: "Warum nur?", der wird auf eine dreigeteilte Antwort stoßen.

  1. Warum Frankreich mit seiner maroden Wirtschaft (in der, nur wenig überspitzt formuliert, außer Atomkraftwerken, einstiger Großmachts-Nostalgie und den Paraden am 14. Juli schon lange nichts mehr funktioniert) an deutsches, niederländisches oder österreichisches Geld heran will, braucht wohl keine weitere Erläuterung. Auch wenn von Paris gerne Italien und Spanien vorgeschoben werden, die noch schlechter dastehen, so verfolgt es doch ganz klare Eigeninteressen.
  2. Warum alle Funktionsträger rund um EU-Kommission, EU-Gerichtshof, EZB, EU-Parlament und zahllose andere Institutionen so begierig auf immer mehr Machtzentralisierung aus sind, liegt wohl ebenfalls auf der Hand. Formelle Macht tut dem eigenen Selbstwertgefühl aller Menschen in Zentralbehörden wie auch ihrem ständigen Europa-Geschwätz unheimlich gut, selbst wenn sie in Wahrheit immer nur Erfüllungsgehilfen von Vorgaben aus Paris und Berlin sind.
  3. Warum Deutschland seit ein paar Tagen dafür eintritt, ist scheinbar schwerer zu erklären und jedenfalls vielfältig motiviert.
    - Das hängt erstens damit zusammen, dass Angela Merkel ganz dem Charme des französischen Präsidenten erlegen ist – im Unterschied zu Helmut Kohl (der bei allen Fehlern viel echtes deutsches Verantwortungsbewusstsein gegenüber den kleineren Ländern vor allem Mittel- und Osteuropas gehabt hatte) und Gerhard Schröder (der bei allen Fehlern den Mut hatte, ein "Germany First" zu denken).
    - Zweitens hat sie weniger Selbstbewusstsein und mehr Angst vor offenen Konfrontationen.
    - Drittens wirkt Deutschland gegenüber immer noch die Nazi-Keule, die jedes Mal sofort geschwungen wird, wenn Deutschland nicht pariert.
    - Viertens spielen in Deutschland die Medien eine ganz besonders unheilvolle, nicht nur linke (also immer schuldenfreundliche), sondern geradezu masochistische Rolle.
    - Fünftens liegt eine Schuldenunion unausgesprochen genau auf der Linie des schon vor zehn Jahren geouteten Traums der Angela Merkel, aus dem "Europa der Vaterländer" einen echten Staat, eine Art "Vereinigte Staaten von Europa" zu bilden. In ihren Worten: "Der Nationalstaat allein hat keine Zukunft."
    - Und sechstens hat sich Deutschland bei allem Nachgeben gegenüber Frankreich sehr wohl auch immer eigene Vorteile herausgeschlagen.

Ein solcher Vorteil war die erwähnte Zustimmung der EU (also Frankreichs) zur Wiedervereinigung. Jetzt wird der Vorteil mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Zustimmung der EU (also Frankreichs) zur Lufthansa-"Rettung" und -Verstaatlichung sein.

Denn diese ist mit absoluter Sicherheit wettbewerbsverzerrend und EU-widrig. Sämtliche andere Fluglinien – denen es ja allen schlecht geht, und die alle mit dem zweifellos längere Zeit nachwirkenden Schrumpfen des Luftmarkts konfrontiert sind – werden dadurch massiv benachteiligt. Es gibt aber auch innerhalb Deutschlands eine massive Ungleichbehandlung Zehntausender Firmen, für die kein Staat in die Bresche springt, springen kann. Der deutsche Finanzminister Scholz begründet die neun Milliarden für die Lufthansa damit, dass diese "unverschuldet" schwer angeschlagen sei. Als ob auch nur ein einziges Unternehmen in Europa "verschuldet" ins Corona-Schleudern gekommen wäre.

Corona soll die Vereinigten Staaten bringen

Was den allerwenigsten Europäern überhaupt bewusst ist: Das diffuse Gerede von einem europäischen "Projekt" verschleiert in Wahrheit, dass man versucht, im Schatten der Corona-Krise den entscheidenden Schritt Richtung "Vereinigter Staaten von Europa" zu setzen. So hat Scholz jetzt ungeniert den Vergleich mit der Entstehung der USA gezogen. Er erinnerte daran, dass diese 1790 genau das getan haben, was nun die EU tun soll: Der bis dahin völlig ohnmächtige amerikanische Zentralstaat durfte damals erstmals eigene Einnahmen generieren und er durfte sich erstmals verschulden.

Genau das ist seit langem auch das Ziel der Angela Merkel. Dahinter steht nicht nur die deutsche Überzeugung, dass man ja selbst der Größte in diesem vereinten Europa sein werde. Dahinter steht auch die Prägung durch dreihundert Jahre deutscher Geschichte von Friedrich II. über Bismarck und, ja, bis Hitler, die alle fremden Territorien unter die Herrschaft Berlins bringen wollten. Wobei jeder der drei dieses Ziel auch mit blutigen Kriegen verfolgte. Wobei jedes Mal Österreich auf der Gegenseite gestanden ist. Und jedes Mal unterlegen ist.

Trotzdem hatten diese imperialistischen Vormachtallüren Berlins immer auch in Österreich Verbündete. Einziger Unterschied: Waren es im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Deutschnationale und die österreichischen Nazis, so sind es heute die Linken, die a priori auf der deutschen und nicht der österreichischen Seite stehen.

Aber geht es für Österreich letztlich ohnedies nur um Kleinigkeiten, die es uns wert sein sollten, wenn Italien gerettet wird? Nein, ganz sicher nicht. Denn erstens wird Italien auf Dauer ein Fass ohne Boden bleiben, was umso sicherer eintreten wird, wenn jetzt die Milliarden ohne echte Gegenleistung nach Rom fließen. Und zweitens sollte man die vier Milliarden Euro, die Österreich nach ersten Berechnungen mindestens zahlen wird müssen, in Relation zu anderen Ausgaben sehen: So bekommt das ganze Bundesheer der Republik alljährlich nur 2,9 Milliarden. Mit anderen Worten: Die eigene Sicherheit der Republik ist manchen weniger Wert als die Hilfe für Italien und Frankreich.

Wenn Österreich jetzt – wenn auch nur unter Zwang oder aus Feigheit – zustimmen sollte, dann wird es auch innerösterreichisch überhaupt kein Halten mehr mit Forderungen an den Staat geben. Der gleichzeitige Psychoterror der Kulturlobby und der AUA-Lobby während der letzten Tage wird da ein kleiner Vorgeschmack gewesen sein. Am Ende dieser Forderungslawine droht das zu stehen, was angeblich jetzt in Hinblick auf Italien verhindert wird: der Staatsbankrott.

Selbstbestimmung für Südtirol: ein europäischer Wert

Wenn es also um so Undenkbares geht wie einen Staatsbankrott, dann wäre es eigentlich nur logisch, dass man auch in Österreich Undenkbares zu denken beginnt: Falls Österreich auf Grund der europäischen Machtverhältnisse keinen dauerhaften Widerstand zu leisten imstande ist, so wäre es zumindest legitim, auch von Italien Gegenleistungen zu verlangen. Da bei der Gier nach unserem Geld dauernd von "Werten" und "europäischem Projekt" die Rede ist, sollte Österreich auch jenes Unrecht zur Diskussion stellen, das allen europäischen Werten widerspricht, und für das seit einhundert Jahren Italien verantwortlich ist: Das ist die Verweigerung der Selbstbestimmung für Südtirol.

Dabei geht es jedenfalls um ein fundamentales Grundrecht, das eindeutig einen europäischen Wert darstellt. Aber Österreich wagt ja nicht einmal mehr, daran auch nur zu denken, dass es so wie Italien auch selbst Forderungen stellen kann …

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