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Die Opposition: Es gibt ein Leben nach der Intensivstation

Fast alle haben wir an der Pandemie sowie der dadurch ausgelösten Panik zu leiden. Darunter leidet vor allem der wirtschaftliche und rechtsstaatliche Zustand der Republik sehr. Aber drei konkrete Bevölkerungsgruppen sind dabei besonders bemitleidenswert. Das sind erstens all jene, die in einer schwereren Form an dem Virus erkrankt sind; ihnen geht es etliche Wochen lang sehr schlimm, auch wenn sie fast alle überleben. Zweitens all jene, deren berufliche Existenz kollabiert oder schwer beschädigt ist; für sie geht es materiell wie psychologisch um weit mehr als um ein paar Tausend Euro Verlust. Und drittens die politische Opposition: Sie bekommt aus mehreren spannenden Gründen derzeit überhaupt keine Luft.

Dabei ist ihre Lage nur kurzfristig so katastrophal. Langfristig könnte sie schon wieder deutlich besser dastehen, wenn sie die ärgsten Fehler vermeidet.

Vorerst gibt es allerdings für Rot/Blau/Pink nur einen einzigen Trost: Derzeit geht es praktisch allen Oppositionsparteien weltweit schlecht. Die Regierenden haben mit ihren Maßnahmen und Auftritten rund um die Uhr Bildschirme, Radios und Zeitungsinhalte erobert. Das nützt ihnen, fast egal, was sie konkret dabei verkünden.

Denn solange die große Mehrheit der Menschen in der Corona-Infektion eine alles andere überragende Bedrohung sieht, braucht die Regierung im Grund nur den Eindruck zu erwecken, dass sie diese Bedrohung genauso sieht und entschlossen dagegen ankämpft. Selbst wenn oppositionelle Kritik in vielen Details richtig sein könnte, werten viele Menschen diese derzeit nur als Parteigekläffe und Dolchstoß gegen den entschlossenen Abwehrkampf.

Die Regierung betont genau aus diesem Grund in ihren Auftritten ständig die Bedeutung von "Gemeinsamkeit". Sie adressiert gekonnt die Sehnsucht der Menschen nach einer entschlossen handelnden Führung in der Stunde der Not. Nicht einmal die vielen Kontroversen und Widersprüche unter den sich äußernden Experten können diese Sehnsucht relativieren.

Jene, die sagen "Nicht überreagieren" und "Nicht durch den totalen Corona-Krieg alle anderen Probleme und Herausforderungen aus den Augen verlieren, wo es ja oft ebenfalls um Leben oder Sterben geht", haben den Kampf um die öffentliche Meinung vorerst total verloren. Denn wenn sich die Menschen vor nichts anderem so sehr wie vor diesem Virus fürchten, dann ist automatisch jener Sieger, der den Kampf gegen das Virus anführt. Und die Opposition kann da ja per definitionem gar nicht kämpfen, nur zuschauen.

Fast alle Regierungen der Welt haben erkannt, dass sie jetzt im Grund nur zweierlei tun müssen:

  • Den Eindruck unablässigen Kampfes gegen das Virus zu erwecken, unabhängig von der Richtigkeit aller dabei gesetzten Maßnahmen, wobei parteipolitisch ein Zuviel fast nie schaden kann, ein Zuwenig zumindest in Einzelfällen;
  • Dafür zu sorgen, dass möglichst lange das Gefühl der Angst am Leben bleibt, was in den Menschen auch möglichst lange das Gefühl verstärken wird: Ich überlebe nur, weil mich die Regierung schützt.

Natürlich heißt das nicht, dass die Regierungen das Virus absichtlich verbreitet hätten. Natürlich war man ehrlich besorgt und total unsicher, was die Krankheit wirklich bedeutet. Aber im Laufe der Krise erkannten immer mehr Regierungen, wie hilfreich diese skizzierte Doppelstrategie für den eigenen Machterhalt ist. Schließlich ist wohl jeder Politiker vor allem anderen an einem interessiert: daran, an der Macht zu bleiben (beziehungsweise an diese zu kommen). Das gilt auch für Diktaturen, die genauso wie demokratische Regierungen Probleme hätten, würden die Menschen glauben, die Machthaber vernachlässigen ihre Aufgaben.

Die Regierungen haben dabei einen entscheidenden Verbündeten: Das sind die Medien. Auch diese haben erkannt (meistens schon lange gewusst), wie sehr Emotion und speziell Angst quotenfördernd sind. Denn würden Menschen nur aus rationalem, nicht auch aus emotionalem Interesse Zeitungen lesen und Nachrichten hören, dann wären die Zahlen der Zeitungsleser und TV-Konsumenten viel niedriger.

Unter allen Emotionen lässt sich die Angst am leichtesten hochschrauben. Freude und Jubel würden zwar genauso auflagenfördernd wirken, aber die lassen sich viel schwerer künstlich schüren. Angst funktioniert dagegen fast immer, sind die Medien auf Grund ihrer Erfahrungen überzeugt. Ob es nun um die Angst vor einem angeblichen Hitzetod der Erde oder einem angeblichen Virentod der Menschheit geht.

Damit ergänzen einander die Interessen von Regierungen und Medien perfekt. Zusätzlich ist die ökonomische Abhängigkeit der Medien von der Regierung rapide gewachsen. Wenn selbst in Corona-Zeiten nur noch ein Drittel der Österreicher für die ORF-Zwangsgebühren eintritt, wenn etliche Zeitungen ohne Regierungsgeld an Corona sterben müssten, dann festigt das die Allianz Regierung-Medien noch viel fester.

Dagegen haben die Oppositionsparteien derzeit extrem schlechte Chancen. Egal was sie tun.

Sie werden kaum wahrgenommen, von den Medien nicht und von den Bürgern noch weniger. Sie haben in Österreich bisher auch keinen wirklichen Angriffspunkt gefunden, wo sie punkten hätten können. Es ist einfach nur lächerlich, worüber sich derzeit alle drei Oppositionsparteien am meisten aufregen: Das ist das Gerücht, dass man zu Veranstaltungen nur dann Zutritt bekommen könnte, wenn man eine App am Handy hat, die später verständigen kann, wenn man jemandem zu nahe gewesen ist, der dann positiv getestet wird.

Erstens scheint die Absicht, eine Veranstaltungsteilnahme an eine solche App zu knüpfen, ohnedies nicht zu bestehen. Zweitens wäre verstärkter Druck zur Nutzung einer solchen App aber auch durchaus eine sinnvolle Sache. Denn drittens ist die Datenschutz-Paranoia nur noch nervend und lächerlich im Vergleich zu den massiven Verletzungen von Grundrechten durch die Regierung und zu den schweren wirtschaftlichen Schäden durch die Virus-Angst. Diese Schäden sind tausendmal schlimmer und realer als die befürchtete Datenschutzverletzung. Obwohl diese sogar helfen könnte, sowohl die grundrechtlichen als auch wirtschaftlichen Schäden zu mildern.

Wenn die Opposition also ausgerechnet in der App-Panik den Ausweg aus der politischen Sackgasse zu finden glaubt, dann zeigt sie, dass ihr derzeit völlig das politische Gespür fehlt.

Gravierende Mängel findet man aber auch, wenn man den Zustand der einzelnen Parteien näher analysiert:

Die SPÖ wird immer mehr zum ideenarmen Nachahmer der Grünen ohne eigene Identität. Sie rutscht damit in die gefährlichen Schmidl-Schmid-Falle. So geht sie ausgerechnet jetzt mit Klimaschutzforderungen spazieren - obwohl ihre (einstigen?) Wähler in der Arbeiterschaft genau das gegenteilige Interesse haben: nämlich, dass die Fabriken wieder arbeiten und sie selbst wieder Geld verdienen können. Zugleich hat die einstige alternative Hoffnungsfigur der Roten, der Burgenländer Doskozil, mit seiner skurrilen 15-Kilometer-Verordnung (wer weiter weg wohnt, darf nicht zum Neusiedlersee), für enorm viel böses Blut gesorgt. Die Sozialdemokraten haben jedenfalls nie gewagt, den liberalen Weg ihrer schwedischen Parteifreunde auch nur andeutungsweise anzudenken, die möglichst wenig Einschränkungen verhängen. Überdies schwebt über der Partei das Damoklesschwert der eingefrorenen Mitgliederabstimmung über Parteichefin Rendi-Wagner, die sie selber fahrlässigerweise angesetzt hat, deren Auszählung aber dann groteskerweise ausgesetzt worden ist. Was aber auch nicht ewig so gehen kann.

Die Freiheitlichen haben ebenfalls für die Menschen kein spezifisches Corona-Profil gewonnen. Sie haben allzu künstlich mehrmals die Pandemie mit ihrem Zentralthema Migration zu verquicken versucht – und sind damit eher ins Luftleere gestoßen. Ganz besonders gilt das seit den ersten Berichten, dass sich afrikanische Migranten von Schleppern wieder zurück in ihre Heimat bringen lassen (sie tun das aus zwei Gründen: im Glauben, dass Corona ein spezifisch europäisches Problem wäre, und wegen der Erfahrung, dass sie in der Krise keine Chance auf irgendwelche Jobs haben). Überdies leiden die Freiheitlichen nach wie vor nicht nur an Ibiza, sondern auch daran, dass gerade ihr Wählerspektrum, das sich immer stark an einzelnen Spitzenpersönlichkeiten orientiert hat, derzeit zwischen den Herrn Hofer, Kickl und Strache recht orientierungslos herumirrt.

Und auch die Neos haben kein erkennbares Profil gefunden. Sie haben sich überdies dadurch als instinktlos erwiesen, dass sie mehrmals während der Corona-Krise Initiativen zugunsten(!) der "Flüchtlinge" gestartet haben.

Alle drei Oppositionsparteien leiden überdies darunter, dass Sebastian Kurz zweifellos eines der größten politischen Kommunikationstalente der Nachkriegszeit ist. Ich habe gerade erst mit einem Freund lange diskutiert, mit wem er vergleichbar ist. Wir fanden nur die Namen Kreisky, Haider und Grasser in der gleichen Topliga. Wolfgang Schüssel war zwar wahrscheinlich allen in Hinblick auf verantwortungsbewusste Politik überlegen, aber eben kommunikationsmäßig eine Stufe darunter.

Die Damen Rendi-Wagner und Meinl-Reisinger jedoch stehen in allen Aspekten des politischen Handwerks gleich mehrere Stufen darunter, ebenso die drei Genannten aus dem freiheitlichen Eck.

An diesen personellen Konstellationen dürfte sich auch nicht so schnell etwas ändern. An den politischen hingegen sehr wohl. Denn ab jetzt werden mit großer Wahrscheinlichkeit von Woche zu Woche die Angst und damit die Zustimmung zur Regierung schrumpfen. Die Angst wird schon deshalb schrumpfen, weil sie das immer nach einer Zeitlang tut (außer psychisch Kranken gewöhnen sich die meisten an schlimme Bedrohungen). Und weil gleichzeitig die gewaltigen Nachteile und Kosten der Virus-Bekämpfung von Tag zu Tag deutlicher werden.

Wenn eineinhalb Millionen Österreicher binnen weniger Wochen den Arbeitsplatz ganz oder weitgehend verloren haben, wenn deutlich wird, dass ab Sommer reihenweise der Konkurs-Tod seine Opfer holen wird, wenn all die gewaltigen Schäden an Rechtsstaat und Volkswirtschaft klar werden, wenn sich zeigt, dass der Lockdown an anderen Fronten auch sehr viele Todesopfer fordert, dann wird bei sehr vielen die Ablehnung der Regierungspolitik steigen. Dann wird in der Bevölkerung die Angst vor den gewaltigen Folgen des Corona-Lockdowns und der Zorn darüber größer werden, als es die Angst vor dem Virus selber gewesen ist.

Diese wird ständig sinken. Sei es, weil die Maßnahmen der Regierung geholfen haben. Sei es, weil angesichts der globalen Gleichzeitigkeit der Sommer vielleicht doch - entgegen vielen Expertenaussagen - wie bei jeder Grippe hilft, sei es, weil sich herausstellt, dass interessanterweise überall die Pandemie nach maximal zweieinhalb Monaten deutlich abklingt, egal welche Strategie ein Land befolgt.

Und endgültig wird die Stimmung einbrechen, wenn die Regierung vom Sparen oder gar Steuernerhöhen reden muss. Sie versucht das zwar derzeit total zu vermeiden. Aber irgendwann wird sie das tun müssen. Es ist ziemlich unklar, ob sie das Thema bis nach den Wiener Wahlen unter der Tuchent halten kann, wie sie das vermutlich will. 

Erste Anzeichen für ein Bröckeln der Stimmung gibt es bereits jetzt. Die "Gemeinsamkeit!"-Begeisterung sinkt erstmals bei einerUmfrage, und die Kritik an der Regierung steigt langsam, auch wenn die Begeisterung für Sebastian Kurz und sein Team vorerst noch deutlich überwiegt.

Wenn dieser Prozess, wie zu erwarten, weitergeht, dann wird die Stunde der Opposition beginnen. Dann begänne sie zumindest, wäre die Opposition gut aufgestellt.

Mit absoluter Sicherheit wird es wegen Corona daher auch keine vorgezogenen Neuwahlen geben. Diese Idee ist bloß schwachsinniges Produkt virtueller Stammtische der politiknahen Szene. Für Neuwahlen fehlt derzeit jeder Grund: Koalitionsintern funktioniert es viel zu gut. Und vor allem weiß Sebastian Kurz, dass sein eigenes demoskopisches Hoch ein Ablaufdatum hat. Nur wegen guter Umfragen vom Zaun gebrochene Neuwahlen gehen fast immer schief, weil das die Wähler durchschauen.

PS: Wenn es noch ein paar solche Aktionen gibt, wie die der Lehrergewerkschaft, dann könnte sich die Solidarisierung mit der Regierung sogar noch länger halten. Die Lehrer regen sich nämlich allen Ernstes jetzt darüber auf, dass sie nicht an den beiden Freitagen nach den beiden Donnerstagfeiertagen schulfrei haben werden, wenn es ab Mitte Mai nach zwei Monaten endlich wieder ohnedies reduzierten Schulunterricht geben wird. Für diesen absurden Gewerkschaftsauftritt fehlt mit absoluter Sicherheit 95 Prozent der Österreicher jedes Verständnis. Haben doch schon die meisten dafür kein Verständnis, dass nach zweimonatiger Unterbrechung des regulären Schulunterrichts die neunwöchigen Sommerferien nicht einmal um ein oder zwei Wochen verkürzt werden können.

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