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Was hat Kurz motiviert?

Sebastian Kurz hat im Vorjahr die Freiheitlichen aus der Regierung geworfen und die weit links stehenden Grünen hereingeholt. Dass ein großer Teil seiner Wähler das mit Unverständnis sieht, scheint ihn nur wenig zu stören. Zwar konnte er diesen Unmut noch dämpfen, indem er die Volkspartei als Siegerin der langen Koalitionsverhandlungen darstellt. Das sehen zwar auch viele linke Mainstream-Medien so, die es ja am liebsten hätten, wenn sich die grüne 14-Prozent-Partei in allen Punkten gegen die 38 Prozent der ÖVP durchgesetzt hätte, und die es daher gar nicht gern sehen, wenn das Koalitionsprogramm nicht total links ist.

Faktum ist aber die Ankündigung vieler ökologischer Schikanen für Bürger und Industrie, mit denen Österreich die grün gewordene EU noch übertreffen will. Faktum sind die demokratiegefährdenden Attacken auf die bisherige Regierungspartei FPÖ, der unter der bei den Grünen üblichen Beschimpfung "Rechtsextremismus" im neuen Regierungsprogramm rund zehnmal der Kampf durch den Staatsapparat angesagt wird. Linksextremismus wird hingegen völlig ignoriert. 

Bei vielen Sachfragen fanden die beiden Parteien trotz intensiven dreimonatigen Verhandelns nur bloße Formelkompromisse oder Phrasen. So kommt allein das völlig nichtssagende Wort "modern" - vor allem mit den Varianten: etwas werde moderner, etwas werde modernisiert werden - ungeheure 78 Mal im Koalitionsprogramm vor. In Wahrheit haben sie da überall keinen Konsens, keine gemeinsame Ahnung, wohin die "Modernisierung" gehen soll. Sonst hätten sie es bei der Geschwätzigkeit des übrigen Programms zweifellos auch hineingeschrieben.

Kurz verlässt mit dieser Koalition seinen Erfolgsweg der letzten drei Jahre. Er hat noch im September mit triumphalen 38 Prozent die ÖVP binnen drei Jahren verdoppelt. Das ist zweifellos ein sensationeller Erfolg des 33-Jährigen. Er hat diesen Erfolg aber nicht seiner Person, seinem netten und höflichen Auftreten, sondern einem inhaltlichen Politikwechsel zu danken: Er führte die ÖVP auf deutlich migrationskritischen Kurs und gab sich wertkonservativ; er beendete vorzeitig die lähmende Koalition mit der SPÖ und ersetzte diese durch die FPÖ.

Fast die Hälfte seiner Wähler haben ihn nur wegen dieses Kurswechsels gewählt. Viele Wertkonservative, viele Migrations- und Islamkritiker waren vor Kurz eigentlich schon von der ÖVP zu der als rechtspopulistisch bezeichneten FPÖ gewechselt.

Und jetzt das: Jetzt hat er die FPÖ aus der Regierung geworfen und ist ausgerechnet zu den Grünen gewechselt, den größten Fans der illegalen "Flüchtlings"-Migration, den größten Feinden einer freien Marktwirtschaft. Diese haben auch schon begonnen, alle jene linken Positionen in täglichem Grabenkampf durchsetzen zu wollen, die nicht schon in den offiziellen Koalitionsvereinbarungen stehen. Und selbst über diese sind, kaum dass sie unterzeichnet waren, massive öffentliche Differenzen ausgebrochen: Werden neue Abfangjäger angeschafft? Kommt die Sicherungshaft für Gefährder?

Das Verhalten des ÖVP-Obmanns kann auch im Rückblick nur als tollkühn bezeichnet werden. Aber er war es offensichtlich leid, vom grünen Bundespräsidenten über die deutsche Bundeskanzlerin bis zur EU-Kommission wegen der Koalition mit der FPÖ verachtet zu werden. Ein anderes Motiv ist bei Kurz nicht zu erkennen.

Der Großteil seiner Wähler ist jedoch ganz anders motiviert. Sie hatten sich im vergangenen Sommer auch nach dem Ibiza-Skandal und dem sofortigen Rücktritt Straches zu gewaltigen 94 Prozent positiv über Schwarz-Blau ausgesprochen. Und es sprachen sich auch deutlich mehr für eine künftige Koalition mit der FPÖ aus als für eine solche mit den Grünen.

Kurz hat jedoch das Gegenteil von dem getan, was die Mehrheit seiner Wähler wollte. Er hat bis heute in der Öffentlichkeit für seinen Linksschwenk nur eine einzige Erklärung anzuführen gewusst: Die Freiheitlichen haben am Wahlabend gesagt, ihr Absturz von 26 auf 16 Prozent wäre kein "Wählerauftrag" zu regieren. Ganz abgesehen davon, dass die Grünen nur 14 Prozent errungen haben – also eigentlich noch weniger Wählerauftrag haben, hat die neue FPÖ-Führung diese dumme Formulierung nach wenigen Tagen wieder zurückgezogen.

Kurz jedoch zitierte die Wahlabend-Erklärung der FPÖ ständig, um sich zu rechtfertigen. Sein Schwenk entsprang aber eindeutig seinen eigenen Intentionen. Für diese ist keine andere Erklärung erkennbar als das Interesse von Kurz, im EU-Mainstream Liebkind zu werden. So hat er auch etwa seinem einstigen Freund Viktor Orbán den Rücken gekehrt.

Dabei hat Kurz selbst behauptet, sachlich zu 90 Prozent mit der FPÖ übereinzustimmen. Die ÖVP war auch keineswegs vom Greta-Fieber der grünen Klimahysterie gepackt, sondern versucht vielmehr, die Wirtschaft vor den radikalsten Forderungen der Grünen zu schützen.

Auch in der von ihm als zentral erklärten Migrationsfrage hat Kurz schon eine Niederlage erlitten: Die Grünen weigern sich, Abstrichen bei der hohen und wie ein Magnet auf "Flüchtlinge" wirkenden Mindestsicherung zuzustimmen.

Kurz wird es sicher eine Zeitlang genießen können, dass er für die politmediale Klasse Europas vom Saulus zum Paulus geworden ist. Das ist ihm offenbar wert, künftig auf einen ordentlichen Teil seiner Wähler zu verzichten, von denen sich viele schlicht betrogen fühlen. Hat Kurz ihnen doch vor der Wahl ständig eine "ordentliche Mitte-Rechts-Politik" versprochen ...

Ein ähnlicher Text ist in der renommierten Schweizer Wochenzeitung "Weltwoche" erschienen.

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