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Das Scheitern der Liederbuch-Schnüffler

Sie begreifen es einfach nicht, dass die allermeisten Österreicher das Spiel längst durchschaut haben: Knapp vor jedem Wahlgang wird über eine willfährige Zeitung ein uralter Vorgang als brandneuer Skandal hochgespielt. Das geschieht jeweils in der Hoffnung, den Nationalsozialismus als politisches Halloween-Gespenst wiederauferstehen zu lassen und sich selbst zum antifaschistischen Widerstandshelden zu machen. Halt ein paar Jahrzehnte zu spät. Das immer gleiche Spiel löst im Grund nur noch Gähnreiz aus. Die Fadenscheinigkeit dieser immer gleichen Empörungsinszenierung zeigt sich beim jüngsten "Skandal" ganz besonders klar: Diesmal geht es um eine Sammlung kopierter Zettel mit zum Teil anstößigen Liedern aus dem Dunstkreis einer rechten Mittelschüler-Verbindung.

Drei dieser "zufällig" schon wieder genau in einem Wahlkampf aufgetauchten Liedtexte haben nach Nationalsozialismus klingende Passagen. Freilich ist dabei mindestens ebenso gut möglich, dass diese Texte vor vielen Jahren eher nur in alkoholschwangerer Provokationslust entstanden sind.

Im Schüler- und Studentenalter hat man seit jeher den postpubertären Drang, mutig und frech zu wirken, sich über alles und jedes lustig zu machen. Dafür eignet sich die vom Schulbetrieb immer besonders hoch gehaltene Bundeshymne ganz besonders. Es ist einfach ein Alter, in dem man sich ganz bewusst über möglichst viele Grenzen hinwegsetzen will. Jeder, der Kinder hat, weiß das. Es geht um eine offenbar hormonell bedingte Lust daran, gezielt das zu tun, was am meisten provoziert. Gelingt das, fühlen sich Schüler erwachsen und ernst genommen. Und was könnte heute mehr provozieren, als die Worte "Heil Hitler"?

Wie war ich doch selbst einst stolz, als ich wegen einiger für lustig gehaltenen Passagen in unserer Maturazeitung (die wohlweislich erst nach Erhalt der Zeugnisse verteilt worden ist) Besuchsverbot in meiner – inzwischen ehemaligen – Schule erhalten hatte (Nein, es ging nicht um NS-Themen; uns ist auch anderes eingefallen, um uns an unseren Lehrern zu rächen).

Für die Sich-Lustig-Machen-Interpretation mancher solcher Lieder spricht auch die Tatsache, dass eines der jetzt als Skandal dienenden Lieder auch in Liedsammlungen katholischer Verbindungen auftaucht. Diese haben aber mit Sicherheit eine starke und durchgehende antinazistische Tradition.

Der historische Kern der (immer gleichen) Geschichte: Es hat nach 1938 – und zum Teil auch schon vorher – in Österreich viele hunderttausende begeisterte Nazis gegeben (leider keineswegs nur unter Schülern und Jugendlichen). Und viele von ihnen haben sich nachher in der FPÖ und/oder in den der FPÖ nicht gerade fernstehenden Burschenschaften gefunden.

Die Tatsache wird nicht schlimmer und nicht besser, wenn man die Restspuren dieses traurigen Kapitels der österreichischen Geschichte im Wahlkampf-Rhythmus regelmäßig zu einem "Aufdeckungsskandal" aufbläst. Dieses Aufblasen wird aber endgültig zur Verlogenheit, wenn man dabei immer nur die Rolle der FPÖ thematisiert, und nicht auch die der anderen Parteien, insbesondere der SPÖ.

  • Denn es war die SPÖ, die mit dem "Bund Sozialistischer Akademiker" geradezu gezielt ein Auffangbecken für die "Ehemaligen" geschaffen hatte.
  • Denn es war die SPÖ, die 1970 als erste mit der FPÖ eine Zusammenarbeit eingegangen ist, um eine Regierungsmehrheit zu finden, wodurch damals eine noch wirklich mit braunen Flecken versehene FPÖ salonfähig gemacht worden ist (die man dank der dann dreimal eroberten absoluten Kreisky-Mehrheit aber zwischen 1971 und 1983 nicht mehr gebraucht hat).
  • Es war der SPÖ-Politiker Heinz Fischer, der in alten Parlamentsprotokollen mit dem Zwischenruf "Sieg Heil" festgehalten ist.
  • Denn es war der SPÖ-Bundeskanzler Bruno Kreisky, der in den Zeiten der absoluten SPÖ-Mehrheit so viele ehemalige hochgradige Nationalsozialisten als Minister in die Regierung geholt hatte, wie nie ein Regierungschef vorher und nachher.
  • Denn auch die ÖVP war ab 1949 durchaus interessiert, die Stimmen Ehemaliger zu bekommen. Sie machte damals auch einen von ihnen zu einem recht erfolgreichen Finanzminister.

Erst ab den 80er Jahren – als die Ex-Nazis durch Alterung und Tod rasch an Bedeutung verloren  haben – entdeckten die Sozialisten, wie toll es doch wäre, sich als tapfere Anti-Nazi-Helden zu profilieren. Sie überdrehten dabei jedoch massiv - am ärgsten durch die Konstruktion der sogenannten Waldheim-Affäre. Denn Waldheim war zum Unterschied von etlichen SPÖ-Ministern der 70er Jahre alles andere als ein Nazi. Er war nur auch alles andere als ein mutiger Widerstands-Leister, sondern das, was verständlicherweise viele Österreicher ab 1938 waren: Einer, der halt geschaut hatte, wie er das alles halbwegs unbeschadet überlebt.

Das einzig Neue am jetzigen Skandal: Es ist den "Aufdeckern" diesmal gelungen, diesen in der "Kronenzeitung" zu platzieren, die in der Steiermark noch immer recht verbreitet ist. Während sie früher meist nur via "Falter", "Profil" und ORF ihre Wahlkampf-"Aufdeckungen" unter die Menschheit bringen konnten.

Die tapferen Antifaschisten brachen in das übliche Empörungsgeheul aus, ohne bis heute auch nur die wichtigsten Fakten zu kennen:

  • Wann ist diese Liedersammlung eigentlich von wem gemacht worden?
  • Wann sind die drei inkriminierten Liedtexte (die ja in dieser Sammlung nur als Kopie vorhanden sind, die daher älter sein müssen) ursprünglich entstanden?
  • Wer hat sie verfasst?
  • Sind diese Lieder überhaupt je gesungen worden?
  • Wieso weiß man überhaupt, dass der steirische FPÖ-Abgeordnete Zanger diese Lieder-Kopie-Sammlung hat? Hat er sich ihrer eitel berühmt (was wieder einmal ein freiheitliches Intelligenzproblem aufzeigen würde)? Oder hat da jemand gestöbert (was kriminell wäre)?

Gewiss wird die Staatsanwaltschaft jetzt ob der gewaltigen Staatsgefährdung wieder ausrücken und viele Beamtenstunden in die Affäre investieren, bis dann die Wahlen vorbei sind und die Sache irgendwann als substanzlos erkannt und eingestellt wird.

Die Liedersammlung wird am Wahltag bei keinem einzigen Wähler zu einer Änderung des Stimmverhaltens geführt haben. Die Wähler sind von den immer gleichen "Aufdeckungen" nurnoch gelangweilt. Für Vertreibung der Wähler haben die Freiheitlichen schon selber durch die Strache-Affären gesorgt. Die ja übrigens interessanterweise keinerlei Nazi-Bezug haben.

Spätestens das eine Woche alte Wahlergebnis von Thüringen hätte die heimischen In-jedem-Wahlkampf-den Nationalsozialismus-ausbrechen-Lasser eigentlich klüger machen müssen: Mit Nazi-Aufdeckungen kann man ein Dreiviertel-Jahrhundert nachher nicht mehr punkten. Hat doch in Thüringen ausgerechnet jener Björn Höcke, der von linken Medien als der übelste "Faschist" der gesamten Bundesrepublik hingestellt worden war, den größten Zuwachs an Wählerstimmen errungen, den die AfD je errungen hat.

Der Zusammenhang ist völlig klar: Wenn alle Medien und Konkurrenzpolitiker so heftig auf einen Einzelnen losgehen, wird er dadurch bekannt. Prompt wählen ihn dadurch viel mehr Bürger. Denn sie schließen bewusst oder unbewusst: Einer, auf den die keineswegs gut beleumundeten Konkurrenzparteien und die oft noch mehr verachteten Medien so heftig und mit zum Teil untergriffigen Methoden losgehen, muss tüchtig sein, denken sich viele unwillkürlich, die mit Sicherheit keine Sympathien für Hitler & Co hatten.

Daran sieht man, wie gefährlich kontraproduktiv die Nazi-Keule sein kann.

In einer Epoche, in der nur noch sehr wenige Zeitgenossen der NS-Zeit leben (meist gesundheitlich schwer angeschlagen), ist einfach die ständige Denunziation als Nazi kein Argument mehr. Vor allem dann nicht, wenn es lediglich um drei vor langen Zeiten kopierte Liedtexte geht. Genauso wirksam wäre es, in Wahlkämpfen "aufzudecken", dass ein politischer Gegner Anhänger von Napoleon, Dschingis Khan oder Kaiser Nero wäre.

Noch ein ganz anderer Aspekt: Die Sozialdemokraten singen auch heute noch zum Teil die gleichen Lieder wie die Kommunisten. Ohne dass die Medien sofort aufgeregt flattern. Dabei haben die kommunistischen Schreckensregime in Europa das Ende der Nazis um 44 Jahre überlebt. Daher gibt es viel mehr Zeitgenossen, die die kommunistischen Verbrechen noch sehr genau in Erinnerung haben.

Dazu kommt, ob es die jetzt so aufgeregt Gackernden wahrhaben wollen oder nicht: Die FPÖ hat sich gewandelt. Schon aus biologischen Gründen gibt es weit und breit keine Ehemaligen mehr in ihr. Aber nicht nur deshalb.

Denn so untragbar er sich in Ibiza und auch in den letzten Monaten verhalten hat, so muss man doch der Objektivität halber klar sagen: Es war gerade H.C. Strache, der sich in dieser Hinsicht Verdienste erworben hat. Er hat die FPÖ von einer noch unter Jörg Haider zum Teil deutschnational geprägten Partei oder gar von der Partei der belasteten Ehemaligen des Friedrich Peter in eine betont österreichisch-nationale Protestpartei verwandelt. Diese Partei ist heute eine in allen Kernfragen konservativ-rechtspopulistische Anti-Immigrationspartei.

Sie ist jedoch nirgendwo nationalsozialistisch oder faschistisch. Wäre sie das, müsste man nicht erst mühsam alte Kopien eines antisemitischen Liedes zum angeblichen Beweis hochstilisieren.

Die FPÖ schwimmt vielmehr auf einer Linie mit vielen anderen ähnlichen Parteien in Europa, die von Italien bis Ungarn, von Frankreich bis Deutschland sehr erfolgreich sind. Und sie wird mit Sicherheit schon in einem Jahr auch in Österreich wieder große Wahlerfolge feiern, sollte Sebastian Kurz wirklich eine Koalition mit den Grünen eingehen.

Manche fragen aber dennoch: Warum gibt es die vielen "Einzelfälle" bei der FPÖ? Nun, spätestens das Timing des An-die-Öffentlichkeit-Spielens auch in diesem neuesten "Einzelfall" sollte den Naivsten klarmachen: Da poppen keine plötzlichen "Einzelfälle" hoch, sondern da wird strategisch von einer Heerschar sich für tapfer haltender linker Antifa-Kämpfer nach uralten Klamotten gesucht, die man dann in Wahlkämpfen präsentieren kann.

Einen Erfolg hat diese Suche in alten Bibliotheken aber: Die über Österreich berichtenden Auslandskorrespondenten haben wieder neuen Stoff für ihre Lieblingsgeschichte: Die Österreicher sind alte Nazis. Das funktioniert immer. Auch mit ein paar kopierten alten Zetteln von einstigen Gymnasiasten. Das eigentliche Ziel wird so freilich mit Sicherheit nicht erreicht werden: nämlich, die total marode Sozialdemokratie doch noch einmal wiederzubeleben.

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