Salvini braucht den Kreml nicht

Lega-Chef Matteo Salvini ist Italiens beliebtester Politiker. Daran hat die Affäre rund um Pläne für verdeckte Parteispenden aus Russland an die Lega nichts geändert, und auch nicht der Nachweis, dass Salvini über die Reise eines seiner Mitarbeiter nach Moskau wegen angeblicher Verhandlungen über illegale Parteispenden informiert war. Die Italiener interessiert vor allem Salvinis Kampf gegen illegale Migration, nicht sein Draht zum Kreml. Salvini tut daher gut daran, auch weiterhin entschieden gegen Schlepper und fragwürdige NGOs auf dem Mittelmeer vorzugehen – aber auch jegliches Bündnis mit dem Kreml zu meiden. Anders als manche rechts- wie linkspopulistische Kreise in Europa meinen, wäre ein solches Bündnis nämlich absolut kontraproduktiv.

Das gleich aus mehreren Gründen:

Erstens sucht Salvini Verbündete für seine Vorhaben in der EU. Doch gerade jene Regierungen, die als Partner in Frage kommen – man denke nur an Polen, aber auch andere – betrachten eine Allianz mit Moskau als No-Go. Sinnlose und unergiebige Streitereien wären die Folge.

Zweitens fehlen Russland, einem wirtschaftlich schwachen Land ohne demokratische Tradition, die Ressourcen – sprich: Think-Tanks und anderes – für konstruktive politische Arbeit. Politische Kooperation mit Visionen und langfristigen Zielen kann und konnte auch in der Vergangenheit keiner politischen Partei mit Russland je gelingen.

Drittens ist ein Wille Russlands für konstruktive internationale Zusammenarbeit auch nicht erkennbar, es sei denn man reduziert internationale Politik auf die Durchsetzung der jeweils eigenen hegemonialen Ansprüche. Der anhaltende Streit vermeintlich enger russischer Verbündeter mit Moskau beweist das am besten. Die vor wenigen Jahren mit so hohen Erwartungen gegründete Eurasischen Union befindet sich in einem desolaten Zustand: Ihre Zerstrittenheit und die Unfähigkeit, einen gemeinsamen Binnenmarkt zu etablieren, führen den Europäern nur vor Augen, wie mit Russland scheitert, was innerhalb Europas schon längst selbstverständlich ist.

Viertens kann Europa nur dann zu einer einheitlichen außenpolitischen Linie finden, wenn es seine gemeinsamen Sicherheitsinteressen definiert – und hier verstößt Russland permanent gegen Europas Interessen und verletzt dabei auch noch internationale Verträge und Absprachen. Kurz: Russland gebärdet sich zurzeit ganz klar nicht als Verbündeter, sondern als Gegner, dessen Handeln keine langfristigen Ziele erkennen lässt, sondern nur das Bemühen, überall dort Chaos anzurichten, wo sich andere Staaten nicht russischen Interessen beugen. Keine Frage: Russland verfügt über ernstzunehmende Kapazitäten im militärischen, im Spionage- und im Cyber-Bereich. Nur setzt es sie zurzeit nicht wie ein Verbündeter ein, sondern wie ein Feind. Einige Beispiele.

  • Im Jahr 2017 werden bei einem russischen Cyberangriff auf das tschechische Außenministerium Dokumente und persönliche Informationen gestohlen. Der tschechische Verfassungsschutz spricht im Jahresbericht von einer umfassenden russischen Cyber-Attacke.
  • Im April 2018 kann die niederländische Regierung gerade noch einen russischen Cyberangriff auf die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) verhindern. Vier Agenten des russischen Militärnachrichtendienstes (GRU) werden verhaftet. Niederländische Beamte zeigen Bilder eines Mietfahrzeugs, in dem Computerausrüstung und Transformatoren entdeckt wurden.
  • Im Jahr 2016 findet in der Schweiz ein russischer Cyberangriff auf die Anti-Doping-Agentur (WADA) statt.
  • Am 20. Dezember 2018 enthüllten die ungarische Ermittlungswebsite Direkt26 und die ungarische Nachrichtenwebsite 444.hu, dass Ungarn zehn russische Geheimdienstler wegen Operationen, die diese seit 2010 in Ungarn durchgeführt haben, ausgewiesen hat. Die Informationsquellen stammen aus dem Umfeld des Nationalen Sicherheitsausschusses des ungarischen Parlaments. Die zehn russischen GRU-Offiziere, die bei der russischen Botschaft in Budapest arbeiteten, haben demnach ungarische Neonazis der rechtsextremen parlamentarischen Organisation Ungarische Nationale Front (MNA) militärisch ausgebildet.
  • Montenegro: Im Mai 2019 werden rund ein Dutzend Angeklagte in Podgorica nach einem Marathonprozess wegen eines gescheiterten Putschversuchs verurteilt. Die zwei Hauptangeklagten sind abwesend: Es sind die russischen GRU-Offiziere Eduard Shishmanko und Aleksandar Popov. Beide erhalten die Höchststrafen von 12 bzw. 15 Jahren. Moskau wird beschuldigt, einen erfolglosen Staatsstreich in Montenegro geplant zu haben, um den Nato-Beitritt des Landes zu verhindern. Die beiden GRU-Agenten fungierten als Drahtzieher. Sie hatten 2016 prorussische serbische Nationalisten für den Coup rekrutiert, der am 16. Oktober 2016, dem Tag der Parlamentswahlen in Montenegro, über die Bühne hätte gehen sollen. Dass er in letzter Sekunde noch verhindert werden konnte, lag an einem Putschisten, der kurz zuvor kalte Füße bekam und alles den montenegrinischen Behörden gestand. Die Beweise für Moskaus Urheberschaft sind erdrückend: Umfassende Geständnisse der Angeklagten, mitgeschnittene Telefonate zwischen russischen Geheimdienstlern und am Coup beteiligten serbischen Nationalisten sowie direkte Geldflüsse aus Moskau gehören unter anderem dazu. (Es gibt zahlreiche detaillierte Berichte dazu, etwa hier und hier.)

Wohlgemerkt: Das waren ein paar der weniger bekannten Fälle. Es gibt auch die vieldiskutierten "Einzelfälle", wie illegale Annexion georgischer Gebiete im Jahr 2008, einen Zwischenfall vor der Krim im November 2018, bei dem russische Marineschiffe das Feuer auf ukrainische Schiffe eröffnen und ukrainische Seeleute als Geiseln nehmen, und den Mordversuch am ehemaligen russischen Geheimagenten Sergei Skripal. (Zum versuchten Giftanschlag an Skripal hat die internationale Rechercheplattform Bellingcat kürzlich wichtige Infos bezüglich der Identität der beteiligten GRU-Agenten enthüllt.)

Wenn Europa geopolitisch zu einer einheitlichen Linie finden will, ist die Verteidigung seiner gemeinsamen Sicherheitsinteressen hierfür die absolute Grundvoraussetzung. Gegenwärtig kommt daher eine Allianz mit den Russen nicht in Frage.

Fünftens: Russland ist unverlässlich. Salvinis in Verdacht geratener Mitarbeiter ist kein Einzelfall. Die russische Regierung besticht laufend Europäer im öffentlichen Dienst, damit diese dort russische Interessen vertreten. Erst vor wenigen Monaten flog in Bulgarien der Fall des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Nikolay Banev auf, der sich wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung in Haft befindet. Wie sich herausstellte, beschaffte er sich im Gefängnis ein geschmuggeltes Handy und schmiedete von dort aus mit russischen Lobbyisten Pläne, um eine Medienkampagne gegen die Staatsanwaltschaft und einen Hybridkrieg gegen Bulgarien zu entfesseln, und um eine eurasische Volkspartei zu gründen.

Man soll Russland sicher nicht unnötig provozieren. Wer sich aber als Schoßhündchen Moskaus gebärdet, macht sich in den russischen Augen nur verächtlich und wird vom Kreml zwar freundlich behandelt, aber nicht ernst genommen. Sofern Russland auf europäischem Territorium staatsfeindliche Aktivitäten setzt, sollte ihm Europa daher entschlossen entgegentreten. Gerade selbstbewusste Politiker wie Salvini müssten das einsehen.

Werner Schmidt ist österreichischer Journalist und arbeitet in Wien für mehrere Medien. Er schreibt hier aus Sicherheitsgründen unter Pseudonym.

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