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Die kluge Ursula, die noch klügeren Ungarn und der europäische Eunuch

Es war durchaus eindrucksvoll, wie Ursula von der Leyen es geschafft hat, sowohl im Rat der Regierungschefs wie auch im EU-Parlament zu gewinnen, wenn auch im Parlament nur extrem knapp. Sie konnte damit – ein letztes Mal? –  verhindern, dass das giftige EU-Gemisch letal endet. Denn die EU leidet unter einem Multiorganversagen: unter einer tiefen inneren Ost-West- und einer ebenso tiefen Nord-Süd-Spannung, unter den Meinungsverschiedenheiten zwischen EU-Feinden und EU-Fanatikern, zwischen Russland-Freunden und Russland-Gegnern, zwischen Euro- und Nicht-Euro-Ländern, zwischen wohlhabenden und aus korruptionsverseuchten Ländern, zwischen fanatischen Migranten-Umverteilern und Migrations-Gegnern, zwischen disziplinierten und Schuldenmach-Ländern, sowie unter einer schier unübersehbaren ideologischen Parteienvielfalt. Auch wenn der Erfolg vorerst zweifellos für sie spricht, so darf nicht ignoriert werden, dass UvdL eine Fülle ungedeckter Schecks unterschrieben zu haben scheint, um EU-Kommissionspräsidentin zu werden. 

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie alle diese Schecks jemals bezahlen wird können. Denn ihre offenbar in verschiedene Richtungen abgegebenen geheimen Wahlkapitulationen sind inhaltlich zu widersprüchlich. Man kann nicht auf die Dauer gleichzeitig nach links und rechts gehen.

Auffällig ist insbesondere der Jubel aus Ungarn. Der Sprecher des ungarischen Premiers Viktor Orbán: "Anders als Weber (Anm.: Weber war der eigentliche Spitzenkandidat der als erster durchs Ziel gegangenen Europäischen Volkspartei) akzeptierte Von der Leyen unsere Unterstützung und gelangte (dadurch) zum Sieg." Diese Argumentation ist plausibel: Denn UvdL hatte nur 9 Stimmen mehr als notwendig, das von Orbán beigesteuerte Stimmenpaket machte wahlentscheidende 13 Stimmen aus.

Ebenso bekam die CDU-Politikerin die Unterstützung der mächtigen PiS-Partei aus Polen. Die Haltung der rechtspopulistischen Regierungsparteien aus diesen beiden Ländern ist besonders auffällig, weil viele andere ebenfalls als rechtspopulistisch geltende Parteien gegen UvdL stimmten. Aber ausgerechnet gegen Polen und Ungarn hat die bisherige Juncker-Kommission Verfahren wegen angeblicher Rechtsstaatswidrigkeit eingeleitet.

Es sind zwar keine Äußerungen der neuen Präsidentin zu diesen Verfahren bekannt. Und der Sozialdemokrat Timmermans – der diese Anklagen bisher führend betrieben hatte – betonte sogar, dass sie unverändert weitergehen würden. Aber das Abstimmungsverhalten der Ungarn und Polen im EU-Parlament ist ein ziemlich sicheres Indiz, dass UvdL sowohl nach Budapest wie Warschau Entspannungssignale in Sachen Rechtsstaatlichkeits-Verfahren geschickt hat.

Dies lässt sich auch aus folgenden Sätzen der neuen EU-Chefin indirekt ablesen: "Es ist mir wichtig, die Debatten zu versachlichen. In den mittel- und osteuropäischen Ländern herrscht bei vielen das Gefühl, nicht voll akzeptiert zu sein. Wenn wir die Debatten so scharf führen, wie wir sie führen, trägt das auch dazu bei, dass Länder und Völker glauben, sie seien im Ganzen gemeint, wenn einzelne Defizite kritisiert werden. Wir müssen lernen, dass volle Rechtsstaatlichkeit immer unser Ziel ist, aber keiner ist perfekt." Finanzielle Sanktionen kämen nur als das "allerletzte Mittel nach vielen Stufen, die vorher kommen".

Diese Sätze stehen im Parallelschwung auch mit den jüngsten Äußerungen von Bundeskanzlerin Merkel: Diese hat sich plötzlich ausdrücklich gegen Sanktionen für EU-Staaten ausgesprochen, welche bei der Aufnahme von Migranten bremsen.

Das bedeutet eindeutig eine erste Richtungsänderung sowohl in Brüssel wie auch Berlin. Das bedeutet einen Erfolg für die Visegrad-Staaten, die sich immer geweigert haben, "Flüchtlinge" aufzunehmen. Kein Wunder, dass darauf Sebastian Kurz mit dem erfreuten Kommentar reagiert hat, dass er schon drei Jahre gegen solche Sanktionen eingetreten ist.

Es ist auch ganz sicher kein Zufall, dass die entscheidenden Kontakte zugunsten UvdL Richtung Polen über Angela Merkel gelaufen sind. Merkel protegiert Von der Leyen seit Jahrzehnten. Merkel sieht deutschen Journalisten zufolge in der bisherigen Verteidigungsministerin sogar ihre eigene "außenpolitische Testamentsvollstreckerin".

Nun, man wird noch abwarten müssen, was das alles konkret bedeutet. Diese Sätze klingen jedenfalls weit klüger als die bisherige, Präpotenz ausstrahlende Politik der Herren Junckers und Timmermans.

Es deutet jedenfalls sehr viel auf einen Erfolg Ungarns und Polens hin.

Das Verhalten Ungarns und Polens ist aber auch deshalb besonders interessant, weil die meisten westeuropäischen Rechtspopulisten keineswegs für die Deutsche gestimmt haben; weil sie von ihr keine ermutigenden Signale bekommen haben, sondern von UvdL sogar öffentlich provoziert worden sind: Sie wolle von den Rechtspopulisten gar nicht unterstützt werden.

Das ergibt ein ziemlich widersprüchliches Bild, von dem viele nur jeweils eine Seite mitbekommen. Der renommierte deutsche Journalist Steingart hat jedenfalls den Auftritt Von der Leyens vor dem EU-Parlament ganz anders empfunden als Polen oder Ungarn: "Sie setzte auf die Konfrontation mit den EU-Kritikern, die gemeinhin als Populisten bezeichnet werden, und umarmte demonstrativ die Frauenbewegung, Grüne und Sozialdemokraten". Auch die FAZ meinte, dass UvdL den Linken "nach dem Mund geredet" habe, indem sie sich für eine EU-weite Arbeitslosenversicherung, ehrgeizige Klimaschutzziele, eine Reform der Dublin-Regeln (denen zufolge Asylwerber in jenem Land zu bleiben haben, in dem sie als erstes EU-Boden betreten haben) und "Flexibilität" beim Stabilitätspakt (=Toleranz gegenüber Schuldenmachern) eingesetzt hat.

Weil das total links klingt, hat die Mehrheit der Sozialdemokraten für von der Leyen gestimmt. Diese Links-Rhapsodien halfen ihr aber ausgerechnet bei den deutschen Roten und Grünen (und deren österreichischen Schleppenträgern) nicht. Diese stimmten gegen die eigene Landsmännin, während etwa die italienischen Linkspopulisten – im Gegensatz zur rechten Lega – und insbesondere die starke spanische SP-Gruppe für sie waren.

Was gilt nun also? Wie ist die Frau wirklich einzuschätzen? Ist sie die Verkörperung der Widersprüchlichkeit und der taktischen Doppelköpfigkeit?

Gewiss ist sie das – wie viele erfolgreiche Politiker. In der EU ist es 2019 wohl überhaupt nur noch durch Aussendung so widersprüchlicher Signale möglich, noch irgendwie eine Mehrheit zusammenzubasteln.

Wofür UvdL aber genau steht, wird man also erst nach einiger Zeit sehen. Sie ist gewiss kein radikaler Bruch zur unglückseligen Juncker-Ära. Sie ist aber deutlich intelligenter und geschickter als ihr Vorgänger. Sie dürfte sich bewusst sein, dass ein Kommissionspräsident kein Diktator ist, der irgendetwas alleine bestimmen könnte. Sie ist zwar eindeutig die Wunschkandidatin von Merkel und Macron gewesen, scheint aber im Gegensatz zu Juncker begriffen zu haben, dass man die EU nicht mehr bloß als gehorsamen Filialbetrieb der beiden Nachfolgestaaten des Reichs von Karl dem Großen führen kann. Vor allem Osteuropa lässt sich das nicht mehr gefallen.

Die neue Kommissionschefin wird darüber hinaus wohl auch bald begreifen müssen, wie ohnmächtig die EU in Wahrheit ist. Dabei ist sie eigentlich einwohnermäßig deutlich größer als die USA oder Russland.

Iran führt Europa vor

Diese Schwäche Europas zeigt sich erst in diesen Stunden wieder mit besonders demütigender Dramatik: Denn der Iran hat einfach ein Schiff eines EU-Staates – und das ist Großbritannien eindeutig noch immer – entführt. Und die EU reagiert hilflos. Das einzige, worüber man sich (über verbale Proteste und Entsetzen hinaus) einig ist: Militärisch will man nichts tun.

Selbst der Vorschlag, künftig Schiffe in der von Iran bedrohten Straße von Hormuz mit ihrem dichten Öltanker-Verkehr durch westliche Flottenverbände zu schützen, stößt sofort auf Widerstand. Vor allem die SPD hat das sofort abgelehnt. Und die Berliner Regierung drückt sich mit dem absurden Argument um eine Antwort: Die USA hätten ja noch nicht darum angesucht.

Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Ein EU-Schiff wird von einer islamistischen Gangsterpartie entführt. Und die einzige konkret zur Diskussion stehende Reaktion wird mit Verweis auf das Fehlen eines US-Vorschlags abgelehnt! Als ob es da nicht primär um ein ureigenes europäisches Problem ginge. Als ob die USA wirklich der oberste Weltpolizist wären. Dabei brauchen die USA selber im Gegensatz zu Europa gar kein nahöstliches Erdöl. Haben sie doch inzwischen selbst genug davon im eigenen Land.

Dieser Offenbarungseid Europas führt zu einer zwingenden Schlussfolgerung: Ohne USA wird Europa noch auf Jahrzehnte ein jämmerlicher Eunuch bleiben.

Wer jenseits der vielen hohlen Worte ehrlich um die Zukunft der EU besorgt ist, sollte deren Ziele auf das beschränken, wo die Union sinnvoll und erfolgreich sein kann und ist: also auf die Rolle einer Wirtschaftsgemeinschaft und eines Binnenmarktes. Das Träumen von einer Weltmachtrolle ist genauso Zeitverschwendung wie der Glaube, die EU habe die Aufgabe, das Pensionsalter von Richtern in Polen oder die Zulassung von Privatuniversitäten in Ungarn diktatorisch zu regeln.

Eine hochintelligente Frau in Brüssel macht aber jedenfalls mehr Hoffnung, das alles recht bald zu begreifen, als ein alkoholbeeinträchtigter Witzemacher.

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