Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (10 Euro pro Monat) ist jederzeit beendbar und endet extrem flexibel einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Vier Mal Zorn und Erbitterung

Noch nie war in diesem Land binnen weniger Stunden eine vielfach dokumentierte positive Stimmung so schnell in Wut, in Zorn, in Erbitterung, in Verachtung umgekippt (wenn man einmal die Jubelstimmung bei Rot-Grün-Pink und ORF beiseitelässt), wie am letzten Wochenende. Dieser Zorn richtet sich gleich gegen vier verschiedene Ziele. 

Bei vielen Österreichern gegen alle vier; etliche andere sortieren hingegen in diesen Stunden noch verunsichert und verblüfft ihren Zorn. Bei ihnen wird es noch einige Tage und Wochen brauchen, bis sie ihre Gedanken wieder ins Gleichgewicht gebracht haben. Wobei dieses Gleichgewicht in vielen Fällen auch eine dauerhaft massive Abwendung von allem Politischen hin in ein frustriertes Biedermeier bedeuten könnte.

Eine kollektive Aufbruchsstimmung wie im Jahr 2002 wird jedenfalls mit großer Sicherheit aus diesen Turbulenzen nicht erwachen. 2019 wie 2002 waren einander zwar in mancher Hinsicht ähnlich: Jeweils nach zwei knappen Jahren wurde ein sehr erfolgreiches und populäres bürgerliches Projekt abrupt beendet, obwohl es  von rund 60 Prozent der Österreicher unterstützt worden war. 2002 war aber völlig klar: Der Bösewicht und der Sprengmeister der Koalition ist ein und derselbe, nämlich die FPÖ mit Jörg Haider und Knittelfeld. Jetzt hingegen ist der Kreis, dem der Zorn vieler Bürger ob des Endes dieses Projekts gilt, ein viel größerer.

Es gibt noch einen zweiten Unterschied: Bei den Wahlen 2002 glaubten viele, dass danach der Aufbruch aus der deprimierenden "Wüste Gobi" (Copyright Andreas Khol) der rot-schwarzen Vergangenheit weitergehen werde. Heute glaubt das kaum noch jemand – zumindest im ersten Schock nicht. Zu groß, zu vielfältig ist der Bogen jener, denen der Zorn, der Hass gilt (auch wenn sich dieser oft nur privat äußert, weil ein halbtotalitär gewordener Staat ja seit einigen Jahren Hass zu pönalisieren versucht).

Erstens: Strache und Gudenus

Das erste Objekt des Zorns ist zweifellos das Duo Gudenus-Strache. Die beiden Freiheitlichen haben in dem geheim aufgenommenen Video ein Ausmaß an politischer Verkommenheit, aber auch grenzenloser Dummheit gezeigt, das nicht einmal durch Alkohol, sexuelle Verführung und politische Geldgier zu rechtfertigen ist. Auch wenn es eine "b'soffene G'schicht" war, wie manche in der FPÖ nun entschuldigend meinen, so ist doch andererseits Alkohol (ähnlich wie Drogen) ja nur ein Dosenöffner für Dinge, die in der Dose sind, die das Bewusstsein des Betreffenden prägen.

Zwar ist in ihrem Gelalle nicht wirklich klar ein Strafdelikt festzumachen gewesen. Nur wäre es völlig unakzeptabel, bei einem Spitzenpolitiker das Fehlen eines strafbaren Delikts schon für ausreichend zu halten. Grenzenlose Dummheit, Hemmungslosigkeit und Verkommenheit sind genauso schlimm. Zusätzlich unerträglich ist die Russlandfreundlichkeit der Strache-FPÖ gewesen.

Daher ist es eigentlich auch völlig unvorstellbar, dass die von einigen Medien ohne klare Quelle zitierten Informationen aus der FPÖ stimmen könnten, Strache könne eines Tages zurückkehren, falls er nicht verurteilt wird. Solche Gedanken sind jedenfalls keiner einzigen zuordenbaren Äußerung eines relevanten FP-Exponenten auch nur indirekt zu entnehmen.

Abgesehen von dem fast auszuschließenden Fall, dass solche absurden Rückkehrpläne doch stimmen sollten, bedeutet der Fall Strache-Gudenus zweifellos noch nicht das Totenglöckchen für die FPÖ, auch wenn sich viele Medien das inbrünstig wünschen. Man denke etwa an den im Vergleich zu dem blauen Duo infernal von Ibiza viel eindeutiger kriminellen Fall des bestechlichen ÖVP-Europaabgeordneten Ernst Strasser. Die ÖVP hat ihn und die durch ihn ausgelöste Krise gut überlebt. Ebenso hat - ausgerechnet - der "Spiegel" den Fall Relotius überlebt, den mit zahllosen Medienpreisen ausgezeichneten Erfinder linker Reportagen, dessen Enttarnung eigentlich der absolute Worst case für ein Medium gewesen ist (ähnlich hat vor einem halben Jahrhundert die "Presse" übrigens den Fall Barcata überlebt, der ebenfalls reine Fiktion als Sensationsreportagen ausgegeben hat, und dessen Texte ich als Gymnasiast verschlungen habe).

Es gibt jedenfalls kein seriöses Anzeichen, dass etwa die nunmehrige Rest-FPÖ, insbesondere das Führungstrio Kickl-Hofer-Heimbuchner, in irgendeiner Weise zu ähnlich verkommenem Verhalten imstande wäre wie Gudenus und Strache. Diese Drei haben ja auch in der Vergangenheit niemals ähnliche Primitivität wie Strache an den Tag gelegt, der etwa die Rauchmöglichkeit in Beiseln zu seinem zentralen politischen Projekt erklärt hatte.

Zweitens: Die Mafia und die SPÖ

Das zweite Ziel des Bürgerzorns ist zweifellos die SPÖ. Sie gilt für alle Menschen, mit denen ich gesprochen habe, als heimliche Drahtzieherin der massiv rechtswidrigen Falle, in die der dumme Strache gepurzelt ist. Das sind eindeutige Mafia-Methoden, die insbesondere vom russischen Geheimdienst nachweislich mehrfach angewendet worden sind. Mit solchen ist immer wieder Männern speziell bei Auslandsreisen eine Sex-Falle gestellt worden. Oder jemand ist bei illegalen Geldtransfers gefilmt worden.

Der Verdacht fast aller fällt insbesondere deshalb auf die SPÖ, weil die Mafia-Aktion genau zu jenem Zeitpunkt passiert ist, da der Kriminelle Silberstein für die SPÖ gearbeitet und erwiesenermaßen ähnlich widerliche Aktionen gegen die damals aufsteigende Kurz-ÖVP inszeniert hatte; und da ein Silberstein-Mitarbeiter heute wieder für die SPÖ arbeitet. Vor allem: Im Juli 2017 hat die Anti-Strache-Aktion wenige Stunden vor dem Zeitpunkt stattgefunden, da die Affäre Silberstein (mutmaßlich durch eine anständige Übersetzerin) geplatzt ist. Da konnte man eine solche Schmutzaktion nicht mehr veröffentlichen, ohne sich zu blamieren.

Freilich fehlt im Fall Ibiza-SPÖ noch die rauchende Pistole. Und ehrlicherweise muss man auch hinzufügen: Selbst wenn sie gefunden werden sollte, kann deswegen nicht gesagt werden, dass die ganze SPÖ für solche Mafia-Methoden steht.

Drittens: "Spiegel" und "Süddeutsche"

Damit sind wir aber auch schon beim dritten Objekt des sich tsunamiartig ausbreitenden Zorns. Das ist die breite Empörung über die Rolle vieler Medien. Vor allem über die sich für seriös gebenden deutschen Print-Produkte "Spiegel" und "Süddeutsche". Sie haben sich als Werkzeuge einer Mafia missbrauchen lassen. Sie haben dabei sogar eindeutig aktiv mitgewirkt, indem sie bewusst nur ausgewählte Passagen des geheim aufgenommenen Strache-Videos veröffentlicht haben.

Das macht sie unabhängig vom Motiv besonders widerlich: Entweder sie wollten (oder wollen) noch weitere kompromittierende Passagen veröffentlichen, um den Vernichtungswert noch zu erhöhen. Oder sie haben jene Passagen weggelassen, die das Bild Straches ein wenig relativieren würden. Oder sie haben dann doch medienrechtliche Bedenken gehabt.

Der Zorn richtet sich aber auch auf die heimischen Medien, die fast allesamt diesen Medienskandal unter den Tisch gekehrt haben (lediglich der exzellente ORF-Jungmoderator Pötzelsberger, der völlig ungeplant durch den ganzen Samstag führen durfte, stellte mehrfach die Frage danach, die aber von fast allen als ORF-Experten auftretenden ORF-Gestalten ignoriert worden ist, weil es nicht in ihre Weltbild passt). Nur ein – ausgerechnet – deutscher Datenschutzexperte hat öffentlich massiv das Verhalten der beiden Medien kritisiert.

Tatsache ist: Wenn solche Methoden durchgehen und trotz ihrer kriminellen Dimension unkritisiert bleiben, dann werden sie bald zum allgemeinen Instrumentarium der Politik werden.

Medien, mir graut vor euch! Eine solche Entwicklung wird vor allem euer Verschulden sein.

Viertens: Sebastian Kurz und seine Taktik

Das vierte Ziel des Zorns heißt eindeutig Sebastian Kurz. Der Mann hat in einer entscheidenden Stunde nicht die Führungsstärke gezeigt, die sich viele von ihm nach seinem Auftreten in den letzten Jahren eigentlich erwartet haben. Wobei auch hier wieder egal ist, was ihn genau zum Zerstören der gesamten bürgerlichen Regierung veranlasst hat.

Die eine Vermutung ist, dass er das linke Denunziations-Trommelfeuer der künstlichen politisch-korrekten Empörung ernst und persönlich genommen hat, das seit Jahrzehnten jedes Mal einsetzt, sobald die FPÖ dafür sorgt, dass die SPÖ nicht mehr in der Regierung ist (während die FPÖ als Mehrheitsbeschaffer für die SPÖ ja immer willkommen geheißen und fast nie kritisiert wird).

Der Anlass ihrer Empörung kann den Linken gar nicht lächerlich genug sein. Ob das einmal die Aufpudelung ob der Verwendung des Wortes "konzentriert" gewesen ist, oder über einen blauen Provinzpolitiker, der sich selbst und Migranten aus der seltsamen Rattenperspektive bedichtet hat; oder ob sich Freiheitliche mit den strafrechtlich unbescholtenen Identitären getroffen haben. Das sind in Wahrheit alles absurd aufgeblasene Nichtigkeiten.

Wenn dem Sebastian Kurz das bürgerliche Reformprojekt ernst gewesen wäre, hätte er das stoisch und eisern durchhalten müssen. So wie einst Wolfgang Schüssel in ähnlicher, aber in Wahrheit noch viel schlimmerer Situation Kurs gehalten hat (man erinnere sich an die niederträchtigen Anti-Österreich-Sanktionen, wo Minister aus anderen EU-Staaten österreichischen Ministern etwa nicht einmal die Hand geben wollten, wo ausländische Schulklassen Skikurse in Österreich abgesagt hatten).

Die andere Erklärvariante für das Verhalten des ÖVP-Chefs wäre noch viel schlimmer: Er hat nur zynisch die Situation genützt und vorzeitige Neuwahlen ausgerufen, weil er glaubt, jetzt den Freiheitlichen ein paar Prozentpunkte abnehmen zu können. Wenn diese Variante stimmen sollte, wird es sehr fraglich, ob jemals irgendjemand selbstmörderisch genug sein wird, mit einem solchen Kurz zu koalieren (Grüne und Neos werden es natürlich sein …)

Eine weitere Erklärungsmöglichkeit: Kurz will im Kreis der EU-Europäer geliebt werden. Deswegen ist er auf peinliche Distanz zum Ungarn Viktor Orban gegangen, mit dessen Freundschaft er im letzten Wahlkampf noch geprahlt hatte. Auch das wäre keineswegs eine ehrenvolle Erklärung für das Verhalten von Kurz.

Dazu kommt, dass zumindest die von den Freiheitlichen konstant kommunizierte Version für den Ablauf des Wochenendes den ÖVP-Chef nicht als sonderlich intelligent gezeigt hat. Denn dieser Version zufolge hat Kurz den Freiheitlichen ein Ultimatum gestellt: Ihr könnt bleiben, wenn ihr das Innenministerium hergebt. Sollte Kurz das wirklich getan und ernst gemeint haben, wäre er besonders dumm: Er konnte doch keine Sekunde ernsthaft erwartet haben, dass die Freiheitlichen ihr wichtigstes Ministerium und ihren besten Mann ohne Grund opfern.

Die Österreicher sind zu Recht angewidert. Vierfach angewidert.

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)
Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print



© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung