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In welcher Welt lebt Sebastian Kurz?

Die Aufkündigung der Koalition durch den ÖVP-Obmann war zweifellos dessen bisher dümmste politische Aktion. Diese droht nicht nur seine Partei, sondern auch Österreich als Ganzes in eine Dauerkrise zu stürzen. Man kann zwar psychologisch seine Motivation und Empörung über das Verhalten des H.C. Strache im Jahr 2017 nachvollziehen. Seine Entscheidung war auch moralistisch, sie ist aber letztlich verantwortungslos. Und daher war sie in Wahrheit unmoralisch.

Sie ist aber auch dumm. Wenn Kurz die Aufkündigung der Koalition damit begründet, dass mit der FPÖ sein Reformprojekt nicht verwirklichbar wäre, dann hat er nur vergessen zu sagen, mit welcher alternativen Konstruktion sein Reformprojekt denn besser realisierbar wäre. Denn ganz ohne Zweifel ist in den letzten eineinhalb Jahren mehr vorangekommen als in der Dekade davor, in der noch dazu sehr vieles völlig in die falsche Richtung gegangen war. Denn die schikanöse Überregulierung, die Kurz in der EU zu Recht (neuerdings) tadelt – obwohl er selbst mit Othmar Karas einen Hauptschuldigen daran zum ÖVP-Spitzenkandidaten gemacht hat – ist ja auch von österreichischen Regierungen ausgegangen. Und so unerträglich Straches Worte von Ibiza waren, so klar ist dennoch, dass in der Realität nichts davon nachweislich ist.

Kurz hat sich mit seiner – an sich nachvollziehbaren – Empörung über die skandalöse Ibiza-Nacht des H.C.Strache auf eine Insel der Hochmoralischen zurückgezogen. Aber es ist unmoralisch und zeugt von fehlendem strategischen Denken und einem Mangel an Erfahrung, deswegen alle Brücken weg von dieser Insel abzubrechen. Die er zuerst ja schon, aus sachlich freilich viel besseren Gründen als jetzt, hin zu den Roten abgebrochen hatte.

Sebastian ist jetzt allein daheim.

Insgeheim träumt er offenbar von einer absoluten Mehrheit, wo er dann das ganze Land streng wie ein Mädchenpensionat halten kann. Oder wie eine Kadettenschule (er hat ja typischerweise auch einen Exoffizier zu seinem Generalsekretär gemacht). Diese seine Vorstellungen hat man ja etwa auch daran gesehen, wie er mit eigenen Parteifreunden umgeht. Siehe etwa den lächerlichen Hinauswurf des Efgani Dönmez wegen eines einzigen gedankenlos formulierten Schmähtweets gegen eine rote Islamistin.

Zum ersten Mal muss ich Kurz seine Jugend vorhalten. So lobenswert es ist, dass er nach Perfektion strebt, so dumm und weltfremd ist es zu glauben, die Menschen wären perfekt. Erfahrene Führungspersönlichkeiten haben gelernt, mit mangelnder Perfektion umzugehen und gelassen zu reagieren (was ja noch nicht Gleichgültigkeit heißt), vor allem, wenn man keine Alternativen hat. Und wer weiß: Vielleicht ist auch Kurz selber nicht perfekt und weiß es nur nicht?

Noch einmal sei es gesagt: Der Ibiza-Exzess von Strache und Gudenus war völlig unakzeptabel, fetzendumm und widerlich. Er hat die beiden völlig disqualifiziert für jedes politische Amt. Nur: Es gibt überhaupt keinen Grund, aus ihrem Verhalten auf das der ganzen FPÖ zu schließen.

Es gibt wohl auch in der ÖVP (und in allen anderen Parteien) genug Männer, die den Verlockungen einer halbseidenen attraktiven Blondine erliegen würden, die sie mit Alkohol und wohl noch anderen Stoffen anfüllt und ihnen Geldsegen vom Himmel verspricht. Nur sind auf diese halt noch keine Lockvögel dieser Art angesetzt worden. Soviel man weiß.

So widerlich das Verhalten von Strache ist, noch viel widerlicher ist jedenfalls die kriminelle Energie, die eine solche Sex-Falle inszeniert hat; noch viel widerlicher ist eine Partei, die regelmäßig mit Silberstein-Methoden arbeitet.

Ebenso widerlich sind auch alle Mainstream-Medien, die sich darüber empören, dass man verlangt, dass auch diese Methoden angeprangert werden, und dass zwei deutsche Medien dabei willige Instrumente hergeben. Es geht in keiner Weise darum, Strache zu rechtfertigen, aber so etwas sollte doch keinesfalls unter den Tisch gekehrt werden, wie es jetzt aber überall geschieht. Oder hat man etwa von Herrn Van der Bellen, der jetzt von den Mainstream-Medien als Moralist gefeiert wird, auch nur ein Wort der Kritik an diesen Methoden eines linken Netzwerkes gehört?

Sebastian Kurz mag bei den vorgezogenen Wahlen zwei oder drei Prozentpunkte dazugewinnen, wenn alles für ihn gut geht. Aber von der absoluten Mehrheit, die die einzig logische Schlussfolgerung aus seinen Worten wäre, wird er mit Sicherheit weit entfernt bleiben. Aber dann wird er halt keine Koalitionspartner mehr für sein (einst auf zwei Perioden angelegtes!) "Reformprojekt" finden. Jedenfalls keinen, der auch nur annähernd so kooperativ wäre wie die Freiheitlichen.

Oder glaubt er ernstlich, mit den Grünen auch nur eine der notwendigen und sinnvollen Reformen verwirklichen zu können (von denen in seiner kurzen Regierungszeit zumindest ein paar realisiert worden sind)? Ganz abgesehen davon, dass Kurz selber verantwortlich ist, dass die wichtigsten der eigentlich notwendigen Reformen ausgeblieben sind: Erhöhung des Pensionsalters; direkte Demokratie; Abschaffung der ORF-Zwangsgebühren; Abschaffung des Kammerzwanges.

Auf Österreich kommt nun mit Sicherheit eine neue lange Phase der Stagnation zu.

Kurz wird sich auch zweifellos nur sehr kurz des Beifalls der Mainstream-Medien über die Beendigung der bürgerlichen Koalition erfreuen können. Denn sehr bald wird von diesen vor allem darüber debattiert werden, dass die ÖVP in einem Vierteljahrhundert nun schon zum vierten Mal vorzeitige Neuwahlen ausgelöst hat.

Viele Menschen erkennen auch, dass das vierte Mal das am wenigsten gerechtfertigte war. Denn diesmal war der Stein des Anstoßes – also Strache und Gudenus – vom Koalitionspartner sofort selbst entfernt worden. Hingegen waren einst die Koalitionsaufkündigungen durch Wolfgang Schüssel – 1995 die Weigerung der SPÖ, das Defizit zu reduzieren, und 2002 die freiheitliche Implosion von Knittelfeld – für die Wähler voll nachvollziehbar gewesen.

Kurz kann nicht glaubwürdig werden, wenn er jetzt plötzlich versucht, die FPÖ, mit der er eineinhalb Jahre den Eindruck exzellenter Zusammenarbeit erweckt hat, als unerträglichen Koalitionspartner hinzustellen. Wenn er das nun tut, hat er uns eineinhalb Jahre Theater vorgespielt. Er hat jedenfalls mit der FPÖ viele wirtschaftsfreundliche Reformen durchziehen können, die früher völlig undenkbar gewesen wären.

Das wahrscheinliche Ergebnis seines Harakiri ist nun, dass viele schwarze und blaue Wähler frustriert daheimbleiben werden. Dadurch ist nicht einmal ausschließbar, dass der Wunschtraum der großen Mehrheit der heimischen Medien doch noch realisiert wird, nämlich eine Mehrheit für eine Linkskoalition unter Führung jener Partei, die höchstwahrscheinlich für die Drecksaktion von Ibiza verantwortlich ist.

Gratulation, Herr Bundeskanzler! Dann kann er daheim sitzen und nachdenken, warum alle Menschen so schlecht sind und niemand seinen hohen moralischen Ansprüchen entspricht.

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