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Begräbnis dritter Klasse für die Sozialdemokratie

Hektik pur: Das strahlen die Parteien in der Schlussrunde vor der EU-Wahl aus. Ob es ihnen allerdings damit gelingt, den Parteien-Überdruss und das EU-Desinteresse der Wähler in den allerletzten Tagen noch signifikant umzudrehen, ist eher zweifelhaft. Außerdem scheint der größte Verlierer schon eindeutig festzustehen, und auch der Fake-Spin, mit dem die Medien das Ergebnis in ihrem Sinn interpretieren werden. Aber zugleich führt die Hektik zu ganz erstaunlichen neuen Konstellationen.

Der größte Verlierer werden die europäischen Sozialdemokraten sein. Das, was Bruno Kreisky einst als "Partei im historischen Sinn" bezeichnet hat, wird mit rapidem Tempo eine Partei der Geschichte. Aus manchen Ländern werden die Sozialdemokraten wohl nicht einmal mehr einen einzigen Abgeordneten ins EU-Parlament entsenden können.

Zwar gibt es in jedem Land auch sehr spezifische Konstellationen. So fehlen in der SPÖ komplett attraktive Persönlichkeiten. Solche hat die SPÖ nur noch in zwei, drei Bundesländern, aber weder auf nationaler noch europäischer Ebene.

Die europäischen Sozialdemokraten werden vor allem deshalb verlieren, weil sie für sehr viele Europäer die Hauptschuldigen an der Migrations- und Islamisierungs-Katastrophe sind. Sie haben zwar verzweifelt versucht, davon abzulenken und das Thema zu wechseln. Aber als Ablenkungsthema ist ihnen nur billigste linkspopulistische Forderungslizitation eingefallen, wie wenn sie in der Mottenkiste der verblichenen Kommunisten nach Überresten an Ideen gesucht hätten.

In Österreich etwa lautet das SPÖ-Programm: "zwei zusätzliche Feiertage" für alle; "eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich"; und – plakatierte – Hetze gegen die "Konzerne" (was auch immer das sein soll: Red Bull? Die Voest? Der ORF? Wienerberger? Oder gar jener deutsche Konzern, bei dem die Frau des SPÖ-Spitzenkandidaten untergekommen ist?). Das ist alles zu lächerlich, als dass man damit noch irgendjemanden hinter dem Ofen hervorholen könnte. Irgendwie fehlt nur noch die goldene Uhr für jeden.

Die Geschichte ist halt erbarmungslos. Sie entsorgt ohne Wehmut Parteien – ebenso wie einzelne Politiker, aber auch ganze Völker –, wenn sie zu nichts mehr zu gebrauchen sind.

Es ist dennoch ein erstaunliches Charakter-Signal, wie schnell die eigentlich von den Sozialdemokraten an staatlichen Trögen aufgepäppelte Unterstützerszene zu Grünen oder Linksliberalen wechselt. Sei es in der "Künstler"-Szene, sei es bei den Medien, sei es in einschlägigen Ideologie-Abteilungen der Universitäten, sei es bei städtischen Bobos. Selbst die Betriebsratschefs großer europäischer Industrieunternehmen wie etwa BMW haben jetzt öffentlich die Sozialdemokraten für unwählbar erklärt (sie wechseln allerdings sicher nicht zu den beiden anderen Linksfraktionen, sondern zu einer Rechtspartei).

Nachdem die ohnedies von den selbsternannten Intellektuellen immer verachteten kleinen Leute in andere Richtungen davongelaufen sind und Mitläuferei bei den Sozialisten daher keine Pfründe mehr verspricht, gibt es für all die genannten Szenen keinen Grund mehr, bei der Sozialdemokratie zu bleiben. Fast scheint überall Angst aufzukommen, dass derjenige aufräumen und das Licht abdrehen muss, der als letzter geht.

Bei Grünen und Linksliberalen kann man hingegen nobel elitär unter sich sein. Dort wird man vor allem am Wahlabend feiern können. So wie auch die Medien Grün und Linksliberal als Wahlsieger feiern werden – unabhängig von den viel größeren Erfolgen, die wahrscheinlich die Rechtspopulisten erzielen werden.

Wie läuft das Rennen zwischen den beiden linken Dazugewinnern im Konkreten?

Lange musste man ja glauben, dass sich die Überreste der Linken ganz massiv bei den Grünen sammeln werden. Diese haben etwa in Deutschland attraktive Spitzenleute, deren Wirkung dort sogar ins Bürgerliche hineinreicht. Diese argumentieren nicht so dumm wie die Sozialdemokraten. Diese haben sich Schritt für Schritt von ihren linksextremen Wurzeln und dem Dung der 68er Gewalttäter entfernt. Sie haben daher auch in Österreich inzwischen klar das Match gegen die kurzfristig von einigen Medien hochgeschriebene Veteranenpartie Pilz-Voggenhuber gewonnen, die wie prophezeit eine sehr kurzlebige Sternschnuppe bleiben wird.

Freilich läuft anderes für die Grünen gar nicht gut. Vor allem thematisch:

  • Haben sie doch einen reinen "Klimawahlkampf" angekündigt. Ein solcher treibt im europaweit kältesten Mai seit langem nun wirklich niemanden hinter dem Ofen hervor. Da hilft auch das Schulschwänzen der heiligen Greta nichts.
  • So fordern sie schon seit Jahrzehnten eine Verteuerung des Flugzeugtreibstoffes. Sie wissen nur halt weiterhin nicht, wie das global durchzusetzen wäre. Denn wenn das Flugbenzin in der EU teurer wird, wird sich halt sofort der Treibstoff-Verkauf radikal in andere Länder verschieben (soweit das flugtechnisch geht). Was ökologisch nichts ändert, aber Europa viel Geld kostet.
  • Auch der Kampf der österreichischen Grünen gegen die Ausgaben für die Dritte Flughafen-Piste ist lächerlich: Wollen sie doch durch einen Verzicht auf die Piste alles Mögliche andere finanzieren. Nur vergessen sie halt, dass die dritte Piste sich durch die Fluggebühren selbst finanziert, dass also durch deren Nichtbau kein Geld übrigbleibt.
  • Ebenso hat der grüne Kampf für eine "Republik Europa" einen unernsten Charakter, wenn man gleichzeitig verspricht, dass aber dennoch die Mitgliedsstaaten die gleiche Bedeutung haben werden wie bisher.

In den letzten Stunden haben sich aber auch bei den pink-gelben Linksliberalen einige Dinge getan. Diese zeigen eine leichte Rechtsbewegung, was zweifellos ihre Chancen verbessert, was aber gleichzeitig auch linksaußen den Spielraum für die Grünen vergrößert. Das heißt im strategischen Klartext: Die Hinterlassenschaft der Sozialdemokratie wird von links wie halblinks her angegriffen.

Die Liberalen haben nun offiziell das schon länger diskutierte Bündnis der bisherigen ALDE-Fraktion mit der Liste des französischen Präsidenten Macron verkündigt. Die Ankündigung lässt zugleich auch aus einem anderen Grund aufhorchen: Denn zumindest auf der veröffentlichten Liste dieses Bündnisses finden sich nicht mehr die allerübelsten der bisher bei ALDE angedockten Parteien. Also vor allem nicht mehr die rumänischen Linksliberalen, die als Regierungspartner der dortigen Sozialisten mitverantwortlich für schmutzige Korruption sind.

Noch viel dramatischer ist eine weitere Information über das Macron-Bündnis: Dort machen jetzt offenbar auch die portugiesischen Sozialisten von Ministerpräsident Antonio Costa mit. Das ist nicht nur eine respektable Verstärkung immerhin durch einen weiteren Regierungschef. Das ist vor allem eine weitere Schwächung der europäischen Sozialisten.

Andererseits wird die in die Krise gekommene Macron-Liste lange nicht mehr so gut abschneiden wie bei dessen eigener Wahl. Aber auf EU-Ebene ist natürlich dennoch jede Macron-Stimme ein Zugewinn.

Damit können die Mainstream-Medien schon jetzt ihre Schlagzeilen setzen: "Wahlerfolg für Grün und Pink-Gelb". Das passt gut, da ja diese Medien prinzipiell den eigentlich zu erwartenden Wahlsieger, die Rechtspopulisten, nicht positiv darstellen wollen. Und "Begräbnis für die Sozialdemokratie" wollen sie schon gar nicht schreiben.

Von den Rechtspopulisten selbst gibt es zwar keine neuen Nachrichten. Aber sie liegen weiterhin in allen Umfragen exzellent. Das große Fragezeichen ist freilich: Können die bisher auf drei Listen aufgeteilten Rechtspopulisten ihre inneren Gegensätze doch noch überwinden und sich zu einer gemeinsamen Fraktion zusammenfinden? Dann hätten sie sogar Chancen, Nummer eins zu werden. Allerdings sieht es ganz und gar nicht danach aus, dass das gelingt. Denn das Lager ist in zentralen Punkten uneinig.

  • So etwa über die Haltung gegenüber Russland, das insbesondere von der – sehr starken – polnischen PIS sehr kritisch gesehen wird, von etlichen anderen hingegen als Freund (etwa von der FPÖ).
  • So etwa über die Frage einer zwangsweisen Umverteilung von Flüchtlingen: Eine solche wird von der italienischen Lega (Salvini) vehement gefordert, von vielen anderen Rechtspopulisten hingegen ebenso vehement abgelehnt.
  • So etwa zum Selbstbestimmungsrecht von Minderheiten, wie der Katalanen oder Südtiroler. Dieses Recht wird von den spanischen und italienischen Rechtspopulisten vehement abgelehnt, von den österreichischen Freiheitlichen hingegen klar betont.

Bleibt die Europäische (und Österreichische) Volkspartei. Noch immer spricht zwar viel dafür, dass die Christdemokraten als Nummer Eins ins Ziel gehen werden. Aber die Zweifel sind gewachsen. Denn der europäische Spitzenkandidat Weber hat seine niedrigen Bekanntheits- und Beliebtheitswerte im Wahlkampf überhaupt nicht verbessern können. Jetzt ist sogar die CDU-Parteichefin Kramp-Karrenbauer zu ihm auf Distanz gegangen, weil Weber den Iran skurrilerweise als "Freund" bezeichnet hat.

Und in Österreich raubt die Doppelspitze Karas–Edtstadler der ÖVP viel Glaubwürdigkeit. Die EU-Liste der ÖVP schneidet bei Umfragen deutlich schlechter ab, als wenn es um rein österreichbezogene Umfragen mit einem Spitzenkandidaten Sebastian Kurz geht (die ÖVP liegt freilich angesichts der Zersplitterung der Parteienlandschaft dennoch auch für die EU-Wahl noch immer klar voran). Das bleibt aber unerfreulich.

Freilich war es – gerade auch in diesem Tagebuch – der ÖVP immer prophezeit worden: Der Nichthinauswurf von Karas sowie die verwirrende Doppelspitze werden der Partei schaden. Das hat nun offensichtlich der für diese Entscheidung verantwortliche Kurz erkannt und ihn veranlasst, sich voll selbst im Wahlkampf zu engagieren.

Dabei hat er jetzt auf einen auffallend EU-kritischen Kurs geschaltet. Das war zwar auch schon der Kurz-Kurs im Nationalratswahlkampf. Aber während der EU-Präsidentschaft und in den ersten Wochen der Karas-Kampagne hat sich Kurz auffallend EU-gläubig gegeben und praktisch auf jeden kritischen Ton gegenüber der Kommission verzichtet.

Die wenig begeisternden Umfragen haben ihm aber offensichtlich nun doch klargemacht, dass mit Karas und dessen Anhängern zwischen Christian Konrad, Erhard Busek und Reinhold Mitterlehner kein Blumentopf zu gewinnen ist. Und dass Frau Edtstadler ganz klar an Popularität gewonnen hat (was wohl nicht nur auf die gegenüber Karas viel größere Regierungsnähe, sondern auch auf ihre im Vergleich zu den anderen Kandidaten auffallende optische Attraktivität zurückgeht).

Allerdings könnte Kurz nun selbst ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommen, da sein Kurs in Sachen EU nun sicher nicht mehr als geradlinig bezeichnet werden kann. Diesen Fehler versucht er derzeit durch sein persönliches Gewicht noch einmal aufzuholen, indem er jetzt mit auffallender Schärfe die "Bevormundung" durch die EU und deren "Regelungswahnsinn" kritisiert. Den Kurz-Wählern wird vielleicht – so hofft man in der ÖVP – nicht allzu deutlich auffallen, dass der ÖVP-Chef monatelang viel Brüssel-freundlicher geredet hat als vorher und nachher. Sie freuen sich jedenfalls, denn die große Mehrheit teilt die nunmehrige Haltung aus tiefer Überzeugung.

Geradezu amüsant ist, dass Karas es nicht mehr wagt, zur neuen Kurz-Position auf Distanz zu gehen. Das hätte er noch vor wenigen Monaten mit absoluter mikrophongeiler Sicherheit getan. Aber auch er kennt wohl seine Umfragewerte, die ganz und gar nicht überragend sind, und flüchtet daher unter den Rock des Sebastian K.

Das Überraschendste der letzten Tage war aber die plötzliche Absage der Rest-Sozialisten an das seit etlichen Jahren gemeinsam mit der EVP hochgehaltene Prinzip, dass der Spitzenkandidat der stimmenstärksten Fraktion auch automatisch Kommissionspräsident werden soll. Das ist eine ziemliche Brüskierung für die EVP (aber auch Kurz), die ganz auf dieses – freilich nirgendwo in den Verträgen stehende – Prinzip pocht. Warum tun die Sozialisten das? Einzige logische Erklärung: Sie hoffen, dass sie – trotz der zu erwarteten roten Verluste – zusammen mit Grün und Gelb-Pink, sowie der Unterstützung durch einige außerhalb stehende Linksradikale doch noch eine Mehrheit zusammenbringen.

Darüber sollte man daher auch bei der EVP genau nachdenken. Denn die Sozialisten bestätigen damit jene konservativen Stimmen wie den Ungarn Orban, die vor einer Koalition mit den Linken warnen und die für eine europäische Rechtskoalition nach österreichischem Muster plädieren. Wenn man sieht, wie sehr die Sozialdemokraten nach links rudern, hat man ja in der Tat selbst alles Recht, Alternativen zu suchen.

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