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EU-Verfahren gegen Ungarn und Polen? Dann jetzt auch für Deutschland!

Die EU hat die Dicke Berta, ihre größte verfügbare Waffe, gegen Polen und Ungarn ins Feld geschickt: nämlich das erstmals angewendete Artikel-7-Verfahren, das am Ende zur Entmündigung, zum vollkommenen Stimmrechtsentzug wegen "schwerwiegender Verletzung der Grundwerte" führen kann. Es ist aber ganz eindeutig: Wollen die EU-Gremien einen Minimal-Standard an Gerechtigkeit und Anstand wahren, müssten sie jetzt genau das gleiche Verfahren gegen Deutschland einleiten, aber auch gegen Frankreich, Spanien und Kroatien, ebenso wie gegen Rumänien, Malta und die Slowakei, wo überall die Grundwerte viel stärker bedroht sind.

 Polen: Dessen gravierende Grundwertverletzung wird von der EU darin gesehen, dass dort das Pensionierungsalter für Höchstrichter auf 65 Jahre gesenkt worden ist. Das verstößt zwar gegen keine konkrete EU-Regel, geschieht aber nach Ansicht der Mehrheit nur dazu, um politisch unliebsame Richter zu entfernen. Und das stelle daher eine Verletzung des Grundwerteprinzips dar. Nach Ansicht der Verteidiger Polens hingegen sollten durch dieses polnische Gesetz jene Richter nach einem objektivierten Maßstab entfernt werden, die noch im Kommunismus ihre Karriere begonnen haben. Diese seien – so wie in Österreich NS-belastete Richter und Beamte – nach der Wende viel zu spät gesäubert worden.

Ungarn: Die Vorwürfe gegen Ungarn sind vielfältiger, aber noch viel nebuloser und substanzloser als die gegen Polen. So wirft der vom EU-Parlament mehrheitlich angenommene Bericht einer grünen(!) Abgeordneten Ungarn vor, Ungarns Regierungsmehrheit habe bei Verfassungsänderungen nicht ausreichend die "Zivilgesellschaft" kontaktiert (die Grünen bezeichnen mit diesem rechtlich völlig undefinierten Wort immer die ihnen nahestehenden – aber demokratisch in keiner Weise legitimierten – NGOs). Überdies gehe Ungarn gegen NGOs vor, die illegalen Migranten helfen. Solche Hilfe ist aber eigentlich auch in anderen Ländern als Schlepperei verboten.

Bei keinem einzigen Vorwurf geht es also um eine konkrete Verletzung europäischer Normen, sondern immer nur um die Behauptung, dass nationale Gesetze europäische "Grundwerte" gravierend verletzen. Dabei ist völlig klar: Wenn so schwammige Worte wie "Grundwerte" zum Anknüpfungspunkt für eine – noch dazu massive – Strafe werden, dann ist totalitärer Willkür wieder wie einst Tür und Tor geöffnet.

Akzeptieren wir aber einmal, dass es da wirklich um gravierende Verletzungen von definierbaren "Grundwerten" gehen würde. Dann ist man geradezu verpflichtet, die Vorwürfe gegen diese beiden Länder mit dem zu vergleichen, was in etlichen anderen Mitgliedsstaaten vor sich geht, gegen die es jedoch kein solches Verfahren gibt.

Slowakei und Malta: In beiden Ländern wurden Internet-Blogger ermordet, die bis in die unmittelbare Regierungsspitze hinein reichenden Korruptionsverbrechen nachgegangen sind. Die Morde sind bis heute nicht aufgeklärt. Es ist auch kein Regierungsmitglied deswegen zurückgetreten. Solche "mutmaßliche" blutige Staatskriminalität ist zweifellos gravierender als möglicherweise politisch motivierte Frühpensionierungen durch ein Gesetz.

Rumänien ist überhaupt das schwerstkorrupte Land der EU. Dort ist der Parteichef der größten (sozialistischen) Partei schon schwer vorbestraft, amtiert aber dennoch als Parlamentspräsident und hat bis heute die gesamte Regierung durch dort sitzende Marionetten unter Kontrolle. In diesem Land werden überdies die zahllosen Strafanzeigen gegen die Polizei torpediert, die durch ihr brutales Vorgehen nicht weniger als 500 regierungskritische Demonstranten verletzt hat, weil das Innenministerium alle Akten dazu zur Verschlusssache erklärt hat.

Ganz zufällig stehen alle drei genannten Länder unter sozialdemokratischer Führung, während Polen und Ungarn von rechten Regierungen geführt werden. Muss man ein Verschwörungstheoretiker sein, um einen Zusammenhang zwischen dieser Tatsache und dem überaus unterschiedlichen Interesse des links dominierten EU-Parlaments und der links tickenden EU-Kommission daran zu erkennen?

Diese selektive Inaktivität stinkt seit Monaten zum Himmel. Neu sind hingegen die Vorgänge, derentwegen auch gegen Deutschland und Frankreich ein Rechtsstaatsverfahren eröffnet werden muss – werden müsste, wenn man mit den gleichen Maßstäben vorginge wie bei Polen und Ungarn.

Natürlich wird es weder gegen das eine noch das andere Land ein Verfahren geben. Das zu erwarten wäre ja total naiv. Können doch Deutschland und Frankreich seit Jahrzehnten die EU fast wie ihr Privateigentum behandeln. Sind doch diese beiden Länder nach dem Brexit die alleinigen Schwergewichte der EU. Wird doch die EU immer nur gegen kleine Länder energisch.

Deutschland: Wir haben am Fall Polen gesehen: Die EU-Mehrheit sieht in einer mutmaßlich politisch motivierten Entfernung von älteren Höchstrichtern eine gravierende Rechtsstaatsverletzung. Dann aber ist der politisch motivierte Hinauswurf des obersten Chefs des deutschen Verfassungsschutzes das eindeutig auch. Hat er doch keinerlei Normenverletzung begangen, sondern nur öffentlich die von seiner Behörde nach bestem Wissen und Gewissen erhobenen Fakten ausgesprochen, die halt den von Medien und Regierungsspitze verbreiteten Behauptungen widersprechen.

Das ist sogar genau das Verhalten, das man sich von einem aufrechten und unabhängigen Verfassungsschützer erwarten müsste. Zu dem ihm schlicht zu gratulieren ist. Dieses aufrechte Verhalten stört jedoch einen Teil der deutschen Regierung so sehr, dass diese ihn gefeuert hat.

Die Tatsache, dass in Deutschland nur ein einziger Mann hinausgeworfen worden ist, kann rechtlich keinen Unterschied zu Polen bedeuten, wo es um mehr Köpfe geht. Überdies gelingt es durch die Köpfung des Verfassungsschutz-Chefs der deutschen Linken (im konkreten Fall also SPD plus Angela-Merkel-Flügel), gleich Tausende Mitarbeiter des Verfassungsschutzes einzuschüchtern.

Genauso wenig kann der Umstand einen echten Unterschied darstellen, dass der Verfassungsschutz-Chef im formellen Sinn kein Richter ist. Aber er ist ganz eindeutig sogar weit wirkmächtiger als große Teile der Justiz. Wenn der deutsche Verfassungsschutz eine Organisation auch nur unter "Beobachtung" stellt, ist das in der Wirkung weit vernichtender als die meisten Gerichtsurteile gegen Funktionäre dieser Organisation. Gerade erst hat sich eine Organisation deswegen selbst komplett aufgelöst.

Weil sie wissen, wie wirksam dadurch jemand zum Außenseiter gestempelt wird, fordern die politischen Parteien ja auch ständig, dass der Verfassungsschutz politische Feinde unter Beobachtung stellt. Das hat sich als weit zielführender zur Diskreditierung von Feinden erwiesen denn Strafanzeigen (wie sie in Österreich etwa ein Peter Pilz am Fließband produziert), weil es nie ein  objektiviertes öffentliches Verfahren dazu gibt.

Künftig wird vermutlich der kopflos gemachte deutsche Verfassungsschutz solchen Aufforderungen gegenüber weit gefügiger sein als bisher. Das ist ein gefährlicher Toröffner zu einer totalitären Entwicklung. Das müsste daher eigentlich Anlass eines europäischen Grundwerteverfahrens sein – würde es in der EU um eine unabhängige Verteidigung von Rechtsstaat und Grundwerten gehen und nicht nur um die Vernichtung mutiger Andersdenkender.

Frankreich. Dort geht die Justiz neuerdings sogar mit stalinistischen Methoden gegen die Oppositions-Chefin Marine Le Pen vor. Gegen die Politikerin wurde ein Verfahren begonnen, weil sie auf sozialen Netzwerken islamistische Gräuelfotos verbreitet hat. Der scheinheilige Vorwand einer schwer politisierten Justiz: Le Pen habe damit gegen den Schutz von Minderjährigen verstoßen.

Schon dieses Verfahren ist ein Skandal, weil es eine klare Einschränkung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit darstellt. Die Meinungsfreiheit ist zweifellos das zentrale Grundrecht jedes Rechtsstaats. Und dessen Verletzung ist umso heikler, wenn damit eine Regierung gegen einen Oppositionspolitiker vorgeht. Genau das tun ja etwa auch Russland und die Türkei ununterbrochen, womit sie sich eindeutig außerhalb der Reihe der Rechtsstaaten gestellt haben.

Bedeutet also schon dieses Verfahren an sich einen gravierenden Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip, so tut das die neueste Entwicklung in diesem Verfahren noch viel mehr: Jetzt wird wegen dieser Veröffentlichung allen Ernstes auch der "geistige Zustand" von Frau Le Pen psychiatriert!

Und das ist nun nicht mehr bloß eine Methode auf der Linie Putin-Erdogan, was schon schlimm genug ist. Das gleicht sogar der Vorgangsweise der einstigen totalitären kommunistischen Regime gegen Dissidenten. Denn bei denen hat ja auch gegolten: Wer den Kommunismus kritisiert, muss geisteskrank sein. Diese Methode ist unzweifelhaft noch weit übler als eine vorzeitige Pensionierung mit 65 Jahren.

Kroatien: Eine gravierende Rechtsverletzung ist auch Kroatien vorzuwerfen. Dieses Land weigert sich konsequent, einen völkerrechtlichen Schiedsspruch über die Seegrenze zu Slowenien zu akzeptieren. Dennoch hält sich die EU-Kommission aus diesem Streit zwischen zwei Mitgliedsstaaten weiterhin komplett heraus.

Dabei war das Schiedsgericht sogar auf Empfehlung der EU und mit Mitwirkung Kroatiens zustandegekommen. Dabei gefährden Grenzkonflikte nicht nur das Rechtsstaatsprinzip und Völkerrecht, sie sind in der Geschichte vielmehr auch häufig die Anlässe blutiger Kriege geworden. Aber Friede ist offenbar kein EU-Grundwert mehr.

Griechenland: Ähnlich skandalös hat sich die EU auch im Konflikt zwischen dem Mitgliedsland Griechenland und dem Nichtmitglied Mazedonien verhalten. Griechenland hat seit mehr als einem Vierteljahrhundert die Aufnahme Mazedoniens in die EU (und andere Organisationen) verhindert. Athen spricht dem früher zu Jugoslawien gehörenden Nachbarn nämlich mit krausen jahrtausendealten Argumentationen das Recht ab, seinen eigenen Namen frei wählen zu dürfen. Dabei ist die Wahl des Staatsnamens eindeutig zentraler Teil der Souveränität – und Würde – eines Landes. Das Mazedonien jetzt nachgeben dürfte, ändert nichts am Verstoß Griechenlands gegen die Grundwerte des friedlichen Zusammenlebens.

Spanien: Und schließlich muss auch Spanien die eindeutige Verletzung grundlegender Rechtsstaatsregeln vorgeworfen werden. Denn in Spanien sitzen politische Gefangene in Haft, was sonst in keinem EU-Land der Fall ist. Die spanischen Strafprozesse gegen katalonische Politiker, nur weil diese – ein völlig friedliches – Unabhängigkeitsreferendum organisiert haben, sind eindeutig politische Prozesse.

Dabei haben die Katalanen anfangs zur Durchsetzung ihres Selbstbestimmungsanspruchs sogar auf die EU gehofft. Aber offenbar ist das Selbstbestimmungsrecht nur für Drittweltstaaten ein Grundwert.

Hier schweigt die Kommission

Zu all diesen Fragen und Rechtsstaatsverletzungen schweigt die EU-Kommission. Augen, Ohren und Mund werden fest zugehalten.

Gewiss kann man in all diesen Fragen auch sagen: Das sind innere Angelegenheiten eines Landes, das sind bilaterale Konflikte, die mit keinem konkreten EU-Gesetz kollidieren. Aber wenn man sich auf diesen Standpunkt zurückzieht, kann man doch um Himmels Willen nicht gleichzeitig die Sünden Polens und Ungarns zum Anlass nehmen, die schwerste Waffe der Union einzusetzen. Denn deren Sünden sind ganz genauso innere Angelegenheiten – und noch dazu weit harmloser.

Während man sich von roten und vor allem grünen Abgeordneten sowieso immer nur ein sehr gebrochenes Verhältnis zum Rechtsstaat erwarten hat können, ist das Verhalten von 115 EU-Abgeordneten der EVP – darunter alle der ÖVP – besonders beschämend. Sie haben im Gegensatz zu 85 Fraktionskollegen der einsamen Anprangerung Ungarns zugestimmt. Sie sind in blindem Gehorsam dem nach links abgedrifteten Trio Juncker, Merkel und Karas gefolgt, obwohl diese drei in Wahrheit überhaupt nichts mehr mit wertkonservativen und christdemokratischen Werten zu tun haben.

Blinder Gehorsam statt Mut zur Wahrheit hat schon ganze Völker ins Unglück gestürzt.

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