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Die Kernspaltung oder: Warum die SPÖ nicht aus der Krise kommt

Die SPÖ-Funktionäre wären froh, hätte ihre Partei nur diese beiden Probleme: Erstens das Problem mit der Person Christian Kern, mit dem fast niemand auch noch in die nächsten Wahlen gehen will, der in weiten Wählerkreisen primär Antipathie erregt. Zweitens das völlig ungelöste Problem, wer Kern denn eigentlich nachfolgen könnte. Diese zwei Aspekte werden aber angesichts des dritten noch viel größeren Problems zum unbedeutenden Detail.

Dieses dritte Problem heißt: Wer sind wir Sozialdemokaten eigentlich? Wofür stehen wir? Wofür stehen unsere Wähler? Wie können wir wieder relevant werden?

Solche Fragen nach dem Sinn der eigenen Existenz sind zwar für jede Gemeinschaft fundamental, oft schwierig und schmerzhaft, aber für niemanden so explosiv, so unbeantwortbar, so selbstzerfleischend wie für die Sozialdemokratie. Und zwar nicht nur für die in Österreich, sondern europaweit.

In Europa verlieren sie seit Jahren nämlich fast überall Wahlen, und zwar ganz massiv. Sie werden von Linkpopulisten, Linksliberalen und Linksradikalen ebenso unterminiert wie vor allem von einer europaweit Richtung rechts schwappenden Welle.

In kaum einem Land werden sie noch von einem Viertel der Wähler unterstützt (da steht die SPÖ noch relativ gut da, die zwischen 26 und 29 Prozent liegt). Wenn überhaupt, dann kommen die Sozialdemokraten fast nur noch als Juniorpartner in Regierungen, siehe zuletzt Deutschland, Tschechien und Slowenien. In Rumänien, Malta und der Slowakei halten sie sich nur durch zutiefst kriminelle Methoden bis hin zu Morden an der Macht (was skandalöserweise die EU viel weniger erregt als die Tatsache, dass in Polen die Verfassungsrichter ein früheres Pensionierungsdatum bekommen haben). Und in den Niederlanden, Griechenland, Tschechien oder Frankreich haben sie überhaupt nur noch einstellige Prozentanteile. Nur in Spanien haben die Sozialdemokraten trotz ihres geringen Anteils von knapp 23 Prozent mit Hilfe einer instabilen Regenbogenkoalition einschließlich der Separatisten den Regierungschef neu errungen (freilich außerhalb von Wahlen).

Die Existenzkrise einer Bewegung, die einst in ihrer Überheblichkeit geglaubt hatte, sie hätte die besten Rezepte, sie wäre die einzig mögliche Zukunft, zeigt sich auch an den rasch wechselnden Parteivorsitzenden: So hatte Labour seit dem Jahr 2000 fünf Vorsitzende, die deutsche SPD sogar acht – während die CDU in dieser Zeit mit einer einzigen Vorsitzenden ausgekommen ist.

Die SPÖ hat zwar seit 2000 nur vier Vorsitzende gehabt, die ÖVP hingegen sechs. Aber während sich letztere nach einem Krisenjahrzehnt heute wieder personell wie inhaltlich eindeutig stabilisiert hat, scheint der SPÖ mindestens ein ähnliches Krisenjahrzehnt bevorzustehen. Sie stand aber auch schon in den letzten Jahren alles andere als stabil da, wie ein Blick auf die Liste der Generalsekretäre zeigt: In der findet man nämlich seit 2000 gleich zwölf verschiedene Namen. Und wenn man dann auch noch den Namen Renate Brauner an der Spitze der Liste der Kern-Stellvertreter sieht, dann ahnt man die Größe des Dilemmas.

Die einzige Überlebenschance des Christian Kern beim bevorstehenden SPÖ-Parteitag  besteht darin, dass sich weit und breit kein Konsens über einen eventuellen Nachfolger abzeichnet. Der einzige, zu dem ein solcher Konsens herstellbar wäre, will zumindest derzeit nicht. Denn Peter Kaiser fühlt sich als Kärntner Landeshauptmann weit besser denn als machtloser Oppositionsführer. Er steigt – wenn überhaupt – wohl frühestens knapp vor der nächsten Wahl in die Bundesarena ein.

Auch ihn lässt überdies das grundlegende Identitätsdilemma der Sozialdemokratie zögern. Dieses kann man auf zwei Ebenen beschreiben:

  • Erstens auf personeller Ebene: Die Mehrheit der Funktionäre und Parteimitglieder will in eine total andere Richtung als die Mehrheit der potenziellen Wähler. Wer ist da wichtiger? Christian Kern hat sich jetzt ganz für die Funktionäre entschieden. Aus einem logischen Grund: Denn nur die haben im Herbst die Macht, ihn als Parteichef zu verlängern. Bei den Wählern hingegen wird der Trick des von Kern jetzt zum Vorbild erhobenen Van der Bellen kein zweites Mal funktionieren: Der Altgrüne hat den Österreichern kiloweise Sand in die Augen gestreut, indem er plötzlich in Riesenlettern "Heimat" plakatiert hat. Das ist für Linke eigentlich immer ein Brechmittel-Wort gewesen, weshalb etliche naive Wähler an eine Läuterung des grünen und so freundlich wirkenden Altparteichefs geglaubt hatten.
  • Zweitens auf ideologischer Ebene: Die SPÖ hat nicht nur eine ideologische Identitäts-Möglichkeit, sondern gleich eine ganze Reihe, die aber großteils miteinander total unvereinbar sind:
      1. Eine grün-linke -will ausgerechnet grüne Ideologien wie den sogenannten Klimaschutz zum Hauptanliegen der SPÖ machen. Sie prägt ganz den jetzt vorgelegten Entwurf für ein Parteiprogramm. Damit aber kann die SPÖ im Grund nur den zwei im Kleinstbereich liegenden Grün-Listen Stimmen abnehmen.
      2. Die altmarxistische Richtung schien zwar längst ausgestorben, bekommt aber immer wieder durch Studenten Nachschub, die sich regelmäßig ein paar Jahre lang für totalitäre Ideologien begeistern.
      3. Eine andere Option möchte Begeisterung für die EU zur Hauptidentität der SPÖ machen: Das klingt aber einigermaßen erstaunlich bei einer Partei, die so lange gegen einen EU-Beitritt gewesen war; das ist jedenfalls nur ein weiteres Programm für eine kleine Elite.
      4. Traditionalisten wollen die SPÖ ganz als Partei der Industriearbeiter und als politischer Flügel der Gewerkschaften positionieren. Das würde zwar an die großen Zeiten der SPÖ anknüpfen, übersieht aber einerseits das rasche Schrumpfen von Gewerkschaft und Industriearbeiterschaft und andererseits, dass diese mehrheitlich längst zu treuen FPÖ-Wählern geworden sind. Das blamable Scheitern der mit Hilfe des ORF groß aufgezogenen Kampagnen gegen die Möglichkeit von Zwölfstunden-Tagen hat jedenfalls gezeigt, dass solche Themen als Kristallisationskern für eine SPÖ-Renaissance kaum mehr taugen.
      5. Eine andere Parteirichtung will sich primär ganz nach den dominanten Wählersorgen richten. Dieser basisorientiert-demokratische Ansatz wird aber innerparteilich als Populismus denunziert. Inhaltlich würde das vor allem ein totales Umdenken in der Migrations- und Ausländerthematik bedeuten, wie es nur die SPÖ-Burgenland zu wollen scheint.
      6. Eine innerparteilich starke Gruppe will die SPÖ zu einer gesellschaftspolitischen Kampfpartei des schwulen und feministischen Aktivismus machen. Auch damit erreicht man nur Minderheiten und damit würden vor allem noch mehr Stammwähler vertrieben.
      7. Eine sechste Orientierungslinie wäre die SPÖ als neoliberal-linksliberale Reformpartei mit einer marktorientierten Wirtschaftspolitik und zugleich einer linken Gesellschaftspolitik. Das aber ist keine denkbare Option mehr. Denn genau das, was einst die Sozialdemokraten Blair und Schröder verkörpert haben, besetzen heute die Neos (beziehungsweise früher das LIF). Deren Gründer bekamen zwar einst viel SPÖ-Hilfe, schaden aber heute der SPÖ mehr als der ÖVP.

Zwischen all diesen möglichen Kristallisationskernen der SPÖ findet der ständig herumschwurbelnde Christian Kern nicht die richtige Kernfusion. Er signalisiert vielmehr ständig nur Angst, mit irgendeiner Festlegung die Anhänger der anderen Orientierungen zu verärgern. Dabei hat er sich selbst dieser Tage ein absolut vernichtendes Zeugnis ausgestellt, als er sagte, die SPÖ müsse "Glaubwürdigkeit zurückgewinnen". Damit hat er ja selbst zugegeben: Die SPÖ und natürlich insbesondere er als Chef haben die Glaubwürdigkeit verloren. Härter könnte kein politischer Gegner über Kern urteilen.

Aber das liegt nicht nur an seiner schwachen Persönlichkeit, sondern auch an den völlig widersprüchlichen und unvereinbaren inhaltlichen Positionen, über die sich weit und breit kein Konsens abzeichnet. Der wohl auch gar nicht mehr möglich sein dürfte.

In Wahrheit ist eine Parteispaltung wahrscheinlicher, wie sie von Deutschland bis Spanien oder Griechenland ja schon passiert ist. Wie sie de facto ja auch hierzulande durch das Entstehen von Grünen und Linksliberalen schon zweimal passiert ist. Sie droht jetzt ein drittes Mal. Die burgenländische SPÖ hat jedenfalls mit den Genossen aus anderen Bundesländern absolut nichts gemein. Und die in Wien sind intern so gespalten, dass sie in sensiblen Grundsatzfragen überhaupt keine Meinung mehr äußern können.

Solange all das nicht geklärt und überwunden ist, hat die SPÖ jedenfalls keine Wiederbelebungs-Chance – es sei denn, ÖVP und FPÖ würden politischen Selbstmord begehen. Bis dahin ist es ziemlich egal, wer SPÖ-Vorsitzender wird. Daher wird es wohl noch sehr viele verschiedene Chefs der SPÖ geben, bis diese – vielleicht – wieder von den Toten auferstehen kann.

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