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Verlogen und geheuchelt

Ja, die Meinungsfreiheit ist ein enorm wertvolles Gut, sie ist vielleicht das allerwichtigste Grundrecht, das die bürgerlichen Liberalen 1848 beziehungsweise 1867 erkämpft haben. Ja, die Meinungsfreiheit ist in Österreich in hohem Ausmaß bedroht. Jedoch Nein: Die konkrete Aufregung einiger Chefredakteure wegen einer angeblichen Bedrohung der Meinungsfreiheit durch den Innenminister ist geheuchelt und verlogen. Die Meinungsfreiheit ist ganz anderswo bedroht.

Denn die Chefredakteure tun so, als ob Meinungsfreiheit nur ein Privileg der Journalisten wäre. Was eine unverschämte Anmaßung ist. Die Meinungsfreiheit ist vielmehr ein Grundrecht jedes einzelnen Österreichers. Es gibt in der ganzen Verfassung keine privilegierte Meinungsfreiheit der Journalisten. Die konzertierte Aufregung einiger Mainstream-Journalisten ist aber auch deshalb verlogen, weil sie sich über die wirklichen Bedrohungen der Meinungsfreiheit nicht erregt haben – offenbar weil es nicht um sie selber, sondern nur um "Rechte"  gegangen ist.

Die wirklichen Bedrohungen der Meinungsfreiheit reichen von dem absurden Verhetzungsparagraphen, der auf Wunsch der EU-Innenminister und der SPÖ massiv zugespitzt worden ist und schon mehrfach von linken Staatsanwälten gegen Islamkritiker angewendet worden ist, bis zum noch absurderen Prozess gegen die Identitären. In jenem Punkt hingegen, worüber sich die Mainstream-Chefredakteure aufregen, gibt es überhaupt keine gesetzliche Verschärfung oder auch nur eine konkrete Aktion zur Einschränkung der Meinungsfreiheit.

Anlass ihrer akkordierten Empörung sind Äußerungen von Innenminister Kickl in Hinblick auf die BVT-Affäre: "Dort wo nämlich Verunsicherung betrieben wird, das ist nicht das Innenministerium und das ist auch nicht die Justiz, sondern das sind selbst ernannte Aufdecker, das sind gewisse Medien, die sich jeden Tag darum bemühen, irgendwelche Dinge, die als geheim eingestuft sind, die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, in die Öffentlichkeit zu bringen, und dort irgendwelche, ja sagen wir einmal sehr, sehr unvollständige Darstellungen des tatsächlichen Sachverhalts zu geben."

Man muss schon sehr einäugig und verhetzt sein, aus diesen Worten die Androhung von Hausdurchsuchungen bei Journalisten herauszulesen. Das ist vielmehr für jeden unbefangenen Zuhörer die Kritik am Verhalten bestimmter Medien. Und die steht auch dem Innenminister in seiner Meinungsfreiheit zu, egal ob man sie teilt. Tatsache ist, dass die Kritik an den "sehr, sehr unvollständigen Darstellungen" in vielen Medien auch von sehr vielen Österreichern geteilt wird.

Und wenn man aus diesen Worten des Ministers schon eine Drohung herauslesen will, wie es mit etlichen Tagen Zeitverzögerung einige Chefredakteure jetzt mit großen Entsetzensschreien tun: Dann muss man halt schon auf die Tatsache hinweisen, dass das "Amtsgeheimnis" seit langem in allen Fassungen des Strafgesetzes steht und geschützt ist. Und Tatsache ist ebenso eindeutig, dass man auch Beihilfe zum Delikt der Verletzung eines Amtsgeheimnisses begehen kann. Natürlich auch Journalisten.

Der Datenschutz-Schmäh

Das ist nichts Neues. Man kann nun mit gutem Grund sagen, dieser Paragraph gehört abgeschafft. Was auch ich mehrfach getan habe. Das hat die SPÖ in ihrer Regierungszeit unter öffentlichem Druck auch zugestanden – allein: Sie wollte das Amtsgeheimnis durch einen strafrechtlichen "Datenschutz" ersetzen, was keine Liberalisierung, sondern eine Verschärfung bringen würde. Dieser untergriffige Schmäh der SPÖ – bei dem auch große Teile der Mitterlehner- und Brandstetter-ÖVP mitmachen wollten! – ist jedoch von den Medien kaum attackiert worden.

95 Prozent des durch das Amtsgeheimnis Geschützten sollten nicht geheim gehalten werden dürfen, sondern jedem Staatsbürger zugänglich sein. Nur ganz wenige Dinge, wie ein Strafverfolgungsakt vor Anklageerhebung, Geheimdiensterkenntnisse oder militärische Geheimnisse sind wirklich schützenswert. Was genau die 5 strafrechtlich zu schützenden Prozent sind, sollte sicher nicht von der subjektiven Entscheidung eines Ministers oder Beamten abhängen, sondern präzise objektiviert sein. In diesen wenigen Fällen ist aber auch der volle strafrechtliche Schutz mehr als berechtigt. Auch wenn es Journalisten trifft.

Aber die letzten beiden Absätze sind eben nur das Verlangen nach einer Gesetzesänderung, die es nicht gibt. Das Verlangen, geltende Gesetze gegenüber Journalisten einfach nicht anzuwenden, ist hingegen ein Skandal.

Und es ist schlicht üble Anmaßung, wenn Chefredakteure verkünden, dass sie Ermittlungen gegen Journalisten "niemals akzeptieren" würden. Medien stehen nicht über dem Gesetz (auch wenn viele Politiker panische Angst vor den Medien haben)!

Wo wirklich die Meinungsfreiheit bedroht ist

Aber was noch viel blamabler für die Medien ist: Führende Rechtsprofessoren wie auch die Justizsprecher von SPÖ und Neos üben jetzt scharfe Kritik am skandalösen Identitären-Prozess, aber zum Teil auch am Verhetzungsparagraphen. Das ist genau die Kritik, die auch dieses Tagebuch immer wieder formuliert hat. Umso erfreulicher ist es, wenn jetzt – offenbar der APA gegenüber – die Genannten mutig und für Juristen erstaunlich klar ihre mehr als berechtigte Kritik an den Paragraphen zur "Verhetzung" und "kriminellen Vereinigung" beziehungsweise deren Anwendung äußern.

Da sie so wichtig sind, seien die wichtigsten Aussagen hier zitiert (und die so empörten Chefredakteure seien aufgefordert, sich einfach nur noch zu schämen, dass sie nicht selber zu dieser grundsätzlichen Kritik imstande gewesen sind, dass sie statt dessen nur für eigene Privilegien kämpfen):

Helmut Fuchs, der langjährige Vorstand des Strafrechtsinstituts der Uni Wien (gilt als eher bürgerlich): Er könne der Anklage der Staatsanwaltschaft gegen die Identitären nichts entnehmen, wodurch "Verhetzung" erfüllt wäre. "Verhetzung" laut Gesetz bedeute Aufruf zur Gewalt (was aber gar nicht behauptet und angeklagt wird) oder Aufstacheln zu Hass. Was angeklagt wird. Fuchs kritisierte in Bezug auf den Hass-Teil des Strafparagraphen nicht nur die Staatsanwälte, sondern auch den Gesetzgeber: Diese Gesetzesbestimmung sei "sehr unbestimmt" formuliert und sage nicht – was eigentlich geboten wäre – ganz klar, was verboten ist. Er warnt vor der Gefahr eines "politischen oder Gesinnungs-Strafrechts" und wörtlich vor dessen ideologischer Verwendung. Mit anderen Worten: Wenn der VfGH ähnlich denkt wie Fuchs, wird er mit Sicherheit diesen Teil des Verhetzungsparagraphen aufheben.

Bernd-Christian Funk, der prominente und immer sehr SPÖ-nahe Verfassungsrechtler, ist in seiner Kritik ganz ähnlich: Er kritisiert, dass die Tatbestände der kriminellen Vereinigung und Verhetzung "sehr weit gefasst" sind, "sehr breit streuen" und "in Richtung des Gesinnungsstrafrechts" weisen. Die Staatsgewalt sollte da sehr zurückhaltend sein und nur dort einschreiten, wo es handfeste Straftaten gibt. Der restliche Teil seiner Kritik an der Staatsanwaltschaft ist vor dem Hintergrund von Funks eigener politischer Gesinnung zu sehen, aber dennoch interessant: Bei den Identitären handle es sich um "Menschen mit anderer Einstellung, weltfremd, spinnerisch". Nur wenn sich eine solche Gesinnung in Handlungen – sei es auch nur Kommunikation – manifestiert, wäre der Straf-Tatbestand erfüllt. Wobei sich für Funk die Frage stellt, ob man solchen Gruppierungen – wenn es nur um Gesinnungsfragen geht – mit einer Anklage erfolgreich begegnen kann. "Die scharfe Variante der Strafverfolgung könnte auch die Überzeugungen stärken" – und damit könnte sich ein solches System festigen. Sinnvoller wäre es vielleicht, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, den Dialog zu führen. Wobei auch zu kritisieren sei, dass es zu wenig Spielraum für präventive Maßnahmen gibt. Die Polizei bräuchte eine Möglichkeit, solche Gruppierungen "im Auge zu behalten, ohne gleich das Fallbeil der Verurteilung" bemühen zu müssen. Mit der geltenden Rechtsordnung sei die Staatsgewalt "in der Falle der schweren Geschütze".

Irmgard Griss, ehemalige OGH-Präsidentin und jetzt Neos-Justizsprecherin, ist noch eine Umdrehung schärfer: "Da muss man sehr aufpassen, dass nicht die Gesinnung bestraft wird." Wenn es in erster Linie darum gehe, "Ideen zu verbreiten, ist das ein zu scharfes Schwert. Man sollte nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen." Ursprünglich war der Paragraf der kriminellen Vereinigung gegen Mafia-Gruppierungen gedacht gewesen. Mit einer solchen Anklage "wird die kriminelle Vereinigung ein bisschen bagatellisiert." Sachbeschädigungen an der Uni und die anderen aufgelisteten Aktionen seine keine Verschwörung zum Umsturz. Möglicherweise habe die Staatsanwaltschaft diesen Paragraphen nur deshalb eingesetzt, weil dann Maßnahmen wie Überwachung und Hausdurchsuchung leichter eingesetzt werden können (was, so sei hinzugefügt, zusätzlich ein ganz ungeheuerlicher Verdacht gegen die Staatsanwaltschaft ist).

Hannes Jarolim, der SPÖ-Justizsprecher, startet zwar erwartungsgemäß eine Attacke auf Bundeskanzler Sebastian Kurz. Diesem sei es "offensichtlich ein Anliegen, Gruppen, die ihn stören oder lautstark kritisieren, aus der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen". Die Luft werde "dünn im demokratischen Rechtsstaat Österreich". Jarolim begründet diesen eher seltsamen Vorwurf damit, dass gegen Gegner des türkischen Präsidenten Erdogan nach einer Kundgebung wegen krimineller Vereinigung ermittelt werde (ich kenne diese Ermittlungen nicht, die jedenfalls noch zu keinerlei Prozess geführt haben. Aber wenn die Aussage Jarolims stimmt, wäre das ebenfalls eine Riesensauerei – nur klingt es reichlich absurd, ausgerechnet dem von Erdogan geradezu gehassten und ständig beschimpften Kurz angebliche oder wirkliche Ermittlungen gegen die Erdogan-Gegner vorzuwerfen). Jarolim hält aber auch ausdrücklich fest, dass die Anklage gegen die Identitären überzogen sei. Für diese hege er zwar keine Sympathien, aber "entweder gilt etwas oder es gilt nicht, und zwar für alle". Denn wenn es um politische Inhalte geht, müsste "größtmögliche Sensiblität" gelten. Es wäre sehr darauf zu achten, "dass es nicht in Richtung Gesinnungsstrafrecht geht" – und solche Paragrafen nicht sinnfremd verwendet werden, um Demonstrationen oder Aktivitäten zu verfolgen, die aus Kritik an Zuständen oder aus politischer Überzeugung gesetzt werden.

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