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Der Verfassungsschutz ist endgültig atomisiert

Jetzt passiert genau das, was zu erwarten war: Das BVT, ein theoretisch zentraler Nachrichtendienst der Republik, wird endgültig zum Gespött gemacht. Selbst die persönlichen Aufzeichnungen und Adressbücher eines BVT-Mitarbeiters werden jetzt mit Gejohle in den Medien breit zur Staatsaffäre hochgejubelt. Daraus können alle Dienste dieser Welt, die bisher noch mit dem BVT kooperiert haben, nun endgültig schließen: Im Vergleich zu diesem BVT und zum Umgang der Republik Österreich mit ihm ist ein Vogelkäfig ein luftdichter Faradayscher Käfig.

Es ist in der Wirkung ziemlich gleichgültig, wie diese "Sensations"-Nachricht über das private Notizbuch an die Medien gelangt ist. Also, ob die wegen ihrer grob fahrlässigen Unfähigkeit nun um Rechtfertigung ringende Staatsanwältin die Täterin ist, die jetzt eigentlich unters Amtsgeheimnis fallende Dinge zur vermeintlichen Besänftigung an die Medien hinausspielt (Möchtegern-Motto: Seht doch, was die von mir angeordnete Hausdurchsuchung für schwere Verbrechen aufgedeckt hat). Oder ob die Oppositionsabgeordneten jetzt schon intensiv dabei sind, die eigentlich verpflichtende Geheimhaltung aller dem Parlamentsausschuss übergebenen BVT-Unterlagen zu durchbrechen. Staatsanwältin wie Abgeordnete haben jedenfalls starke Motive – die nur nicht mit den Interessen der Republik übereinstimmen.

In jedem Fall ist da ein weiterer Skandal im Skandal passiert, in jedem Fall besteht dringender Handlungsbedarf für den Gesetzgeber. Und zwar auf mehreren Ebenen.

Wir brauchen BVT-Gesetz

Denn es gibt in keinem einzigen Land der Welt einen nationalen Nachrichtendienst, der sich so vorführen lassen muss, so lächerlich machen lassen muss wie jetzt das BVT. Und wenn der Gesetzgeber nicht handelt, dann wäre es besser und vor allem für den Steuerzahler billiger, den Verfassungsschutz ganz zuzusperren. War er doch schon bisher wenig effizient.

Wir brauchen vor allem ein Schutz- und Kontrollgesetz für den Verfassungsschutz, wenn wir endlich einen effizienten haben wollen. Dazu müsste gehören:

  • Strenge Regelungen müssten es verhindern, dass Inhalte eines Nachrichtendienstes welcher Art immer gegen dessen Willen nach außen getragen werden.
  • Es müsste klar festgelegt werden, welche Methoden ein effizienter Nachrichtendienst anwenden darf. Wenn man ihm alles verbietet und ihn einem formalistischen Legalitätsprinzip unterwirft, wird er total sinnlos. Es darf aber gewiss auch nicht alles erlaubt sein.
  • Und jeder Nachrichtendienst bräuchte zugleich eine starke Kontrolle. Wie auch immer die konstruiert wird: Klar muss sein, dass die Kontrollore für totale Verschwiegenheit haften. Dass das möglich ist, so etwas zu konstruieren, zeigen andere Staaten, von den USA bis Deutschland, wo entweder das Parlament oder die Regierung diese Pflicht haben.

Es kann einfach nicht sein, dass jeder beliebige Staatsanwalt mit genau dem gleichen Instrumentarium und der gleichen Machtfülle gegen den BVT durchgreifen kann wie etwa gegen die Gemeindeverwaltung Lienz, wenn dort ein Kassier in die Kassa greift.

Wir brauchen neues Staatsanwaltsgesetz

Das zweite, was wir genau deshalb bräuchten (und was nicht nur der Anlassfall BVT aktuell als dringend notwendig zeigt): Das ist eine viel stärkere auch persönliche Verantwortung von Staatsanwälten für ihr Tun, für den Umgang mit der unglaublich großen Macht, die ihnen anvertraut ist. Die in der Wirkung oft viel größer ist als die eines Richters (Wenn ein Staatsanwalt nicht anklagt, bleiben Verbrechen ewig ungesühnt; wenn ein Staatsanwalt zehn Jahre lang ohne Prozess "erhebt", sind die Opfer oft viel strenger bestraft als dann durch einen eventuellen Prozess – oder gar Freispruch)! Sie verdienen ja auch mehr als die Richter.

Bleiben wir heute aber nur beim Fall BVT (viele andere Fälle eines ebenso schockierenden Machtmissbrauchs durch die Staatsanwaltschaft sind in den letzten Wochen in diesem Tagebuch ja schon aufgelistet worden):

Die Hausdurchsuchungen beim BVT und in zahllosen Privatwohnungen auf Grund von anonymen und substanzarmen (Juristen sagen: nicht schlüssigen) Vorwürfen hätten niemals angeordnet werden dürfen. Noch dazu ohne ausreichende Absicherung beim vorgesetzten Justizministerium. Für eine Hausdurchsuchung sind alle bekanntgewordenen Vorwürfe viel zu dünn. Und bei einem Nachrichtendienst hätten solche Durchsuchungen – selbst ohne Vorliegen des oben skizzierten BVT-Gesetzes – erst recht mit zehnmal erhöhter Sensibilität angegangen werden müssen.

Aber ein Staatsanwalt darf das offenbar alles konsequenzenlos.

Eine Reform des Staatsanwaltschaftsrechts wäre doppelt dringend, wenn es zutreffen sollte, dass tatsächlich Staatsanwälte für das Hinausdringen von Aktenteilen verantwortlich gewesen sein sollten. Was allerdings im Fall BVT ungewiss ist (weil da eben viel Material auch bei Abgeordneten gelandet ist). In vielen anderen Fällen – man denke nur an das jahrelange Hinausspielen selektierter Hetz-Informationen im Fall Grasser – ist die üble Rolle der Staatsanwaltschaft viel eindeutiger.

Deren zentrale Verantwortung im Fall BVT wird auch durch die merkwürdigen Begleitumstände nicht gemildert:

  • Die dubiose Rolle des anonymen Anzeigers (den viele zu kennen meinen);
  • das anscheinend große Interesse der neuen Machthaber des Innenministeriums an der Affäre (das zumindest von der Staatsanwältin – als Schutzbehauptung? – betont wird);
  • die wilden Intrigen im seit langem schwach geführten BVT, wo sich schwarze, rote und blaue Seilschaften gegenseitig zu blockieren scheinen;
  • die von der Opposition ständig behaupteten angeblichen Spannungen zwischen Schwarz und Blau im und rund um das BVT;
  • das offenbar recht rüde Vorgehen der die Staatsanwaltschaft unterstützenden Polizisten bei den Hausdurchsuchungen.

All das ändert aber absolut nichts an der alleinigen Verantwortlichkeit der betreffenden Staatsanwältin. Diese bezeugt durch ihre Aktenvermerke sogar selber die eigene Unfähigkeit, in denen sie behauptet, vom Innenministerium unter Druck gesetzt worden zu sein. Das ist entlarvend, gerade wenn es stimmen sollte: Denn eine Staatsanwältin darf sich von überhaupt niemandem unter Druck setzen lassen, außer den eigenen Vorgesetzten!

Die hanebüchenen Enthüllungen

Ganz ins Bild dieser Staatsgroteske passen schließlich auch die Inhalte der an die Medien gespielten Informationen. Sie sind so hanebüchen, wie es umgekehrt auch die Methoden der BVT-Mitarbeiter sind.

Es ist jedenfalls absolut schleierhaft, was daran aufregend oder auch nur erwähnenswert ist, dass ein BVT-Mitarbeiter ein Adressbuch mit Politikeradressen und Notizzetteln mit von ihm gesammelten Informationen bei sich aufbewahrt hat. Oder dass ein schwarzer BVT-Mitarbeiter sich an schwarze Machtträger angebiedert hat (so wie sich mit Sicherheit umgekehrt die BVT-Roten an rote Machtträger angebiedert haben – was ja auch absolut typisch für das Verhalten vieler österreichischer Beamter ist).

Die einzige von den sich groß aufplusternden "Aufdeckern" behauptete "Rechtswidrigkeit" ist überhaupt nicht an Lächerlichkeit zu überbieten: Das ist die Möglichkeit, dass der BVT-Mann die Adressen in seinem Notizbuch aus einem "geheimen" Computer des Innenministeriums hat. Selbst wenn das stimmen sollte, kann man nur fragen: Na und? Glauben die Aufreger, dass ein BVT-Mann immer nur am Schreibtisch sitzt, wo er in dem "Geheim"-Computer eine Telefonnummer nachschauen kann?

Diese ganze Aufregung ist ebenso lächerlich, wie es vor einigen Wochen die über die Kooperation des BVT mit dem Nachrichtendienst Südkoreas gewesen ist. Es ist sogar gut so, dass das BVT mit diesem Dienst befreundet ist, schon auf Grund der beiden Ländern gemeinsamen demokratischen Rechtsstaatlichkeit (Diese Kooperation ist etwa durch Austausch von nordkoreanischen Pässen erfolgt). Denn auch wenn Donald Trump jetzt möglicherweise einen Abrüstungs-Durchbruch erreicht, ist doch Nordkorea noch immer eine der gefährlichsten Bedrohungen des Weltfriedens.

Das einzige, was durch all die bisherigen Aktionen und Veröffentlichungen erreicht wird: Das BVT steht blamiert da. Jeder weiß nun, wie amateurhaft man dort arbeitet. Jeder weiß nun auch, dass dort wirklich nichts geheim bleiben kann. Und wir alle müssen uns künftig deutlich unsicherer, deutlich weniger geschützt fühlen, seit wir wissen, was für einen Verfassungs-"Schutz", was für Staatsanwälte und was für Abgeordnete wir haben.

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